Review

„Du gegen die Wildnis“: Als ob Bear Grylls auf unsere Hilfe angewiesen wäre (Kritik)


Netflix schickt für sein zweites interaktives Streaming-Projekt den Überlebensexperten Bear Grylls in die Wildnis. Der Zuschauer darf für ihn wichtige Entscheidungen treffen – oder eben auch nicht.

„Ich bin Bear Grylls und habe schon die härtesten Orte der Welt überlebt. Aber dieses Mal brauche ich deine Hilfe bei einem neuen interaktiven Abenteuer, bei dem du die Entscheidungen triffst“ – ähnlich direkt und schnörkellos, wie der sympathische Ex-SAS-Soldat seine Zuschauer in Netflix‘ neuem „Choose Your Own Adventure“-Format begrüßt, geht es in den folgenden acht etwa 20-minütigen Folgen weiter. Grylls, dem deutschen Zuschauer bekannt aus den von DMAX ausgestrahlten Serien „Ausgesetzt in der Wildnis“ und „Bear Grylls: Get Out Alive“, schlägt sich darin unter anderem durch den dicht bewachsenen Dschungel Mittelamerikas, eine verlassene europäische Minenstadt und die schneebehangenen Schweizer Alpen. Der Zuschauer darf sich per Mausklick oder mit der Fernbedienung im Laufe der Handlung immer wieder zwischen zwei Handlungsoptionen entscheiden und so bestimmen, wie das jeweilige Abenteuer für Grylls weitergeht. „Bandersnatch“ lässt grüßen.

Bear Grylls ist nicht totzukriegen

Während einige Episoden eine klare Mission verfolgen (Rette Dana, den Bernhardiner!), geht es in anderen um das nackte Überleben. Ganz so existenziell wird es dann aber doch nicht. Zum einen, weil nun mal bekannt ist, dass Grylls derzeit weiterhin gesund und munter durch Wildnis und Medienlandschaft springt, und sich dementsprechend bei den Dreharbeiten nicht ernsthaft verletzt haben kann. Zum anderen handelt es sich bei den Abenteuern des Überlebensexperten ausnahmslos um fiktive Szenarien, bei denen jede Problemsituation klar platziert und kalkuliert wirkt. All diejenigen unter uns, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, dem scheinbar unkaputtbaren Überlebensspezialisten den Garaus zu machen (und das sind vermutlich nicht wenige), werden sich an diesem Masterplan also die Zähne ausbeißen.

Bear Grylls in den Canyons

Von wegen allmächtiger Zuschauer!

Aber wie schafft es Grylls, trotz der diabolischen Absichten des Zuschauers immer wieder von Messers Schneide zu springen? Indem die Person an der Fernbedienung eben doch nicht die volle Entscheidungsgewalt erhält. Versucht man den hungrigen Briten mit einem virenverseuchten Wurm zu füttern, spuckt er diesen einfach wieder aus (eine Frechheit!), lässt man ihn an einem zu kurzen Seil einen Berghang hinunter hangeln, ruft er einfach einen Helikopter zu Hilfe (als wäre es so einfach!). Auch die Verweigerung einer Entscheidung ist keine Option, denn Netflix entscheidet einfach selbst, was Grylls als nächstes tut, wenn der Zuschauer sich zu viel Zeit lässt.

„Du gegen die Wildnis“ besticht somit nicht durch eine anhaltende und von unvorhersehbaren Momenten geprägte Spannungskurve, wie dies bei Netflix‘ erstem interaktiven Projekt „Black Mirror: Bandersnatch“ der Fall war. Stattdessen wandert die Abenteuerserie auf vertrauten Pfaden, die dem erfahrenen Zuschauer schon aus Grylls‘ vorherigen Survival-Fernsehformaten  bekannt sind. Sowohl durch Treffen der richtigen als auch der falschen Entscheidung gelangt der Zuschauer an nützliche Informationen über die effizientesten Überlebensstrategien in der Wildnis. Mehr Lehrauftrag als Nervenkitzel also.

Bear Grylls im Dschungel

Altbewährte Unterhaltungsstrategien

Doch auch der Unterhaltungswert wurde nicht vergessen. Zum einen gibt es in „Du gegen die Wildnis“ selbstverständlich altbewährte Ekel-Delikatessen, die selbst den größten Trash-TV-Liebhabern aus dem Promi-Dschungel bekannt sein sollten. Neben fetten Raupen (die beim Hineinbeißen in alle Richtungen spritzen), Regenwürmern (die man wegen ihres Darminhalts lieber nicht essen sollte) und rohem Fisch (der im Vergleich mit den anderen Optionen extrem verlockend erscheint), darf der sadistische Zuschauer sich sogar dafür entscheiden, Grylls halbverdaute Nüsse aus Bärenkot picken und verspeisen zu lassen. Sein hierdurch verursachter Gesichtsausdruck zaubert all denjenigen ein Lächeln ins Gesicht, die sich in der Schule manchmal heimlich vorgestellt haben, was passieren würde, wenn der Tischnachbar beim Kippeln ein kleines bisschen zu viel Schwung nimmt.

Zum anderen erfährt das Netflix-Original von der sechsten Folge an dramatischen Aufwind, wenn sich Grylls etwa auf die Suche nach Vogelspinnen, Skorpionen und Klapperschlangen begibt, um deren Gift für einen Impfstoff zu gewinnen. Obwohl wir wissen, dass auch diese hochgiftigen Kontrahenten dem erfahrenen Raubtierbezwinger nichts anhaben werden, wecken die vergleichsweise spannungsgeladenen Mensch-Tier-Begegnungen einen primitiven Urinstinkt im Zuschauer, dessen Puls im Alltag höchstens von Komplikationen im Nah- und Fernverkehr in die Höhe getrieben wird.

Bear Grylls in den Schweizer Alpen

Fazit

Obwohl „Du gegen die Wildnis“ außer der interaktiven Entscheidungsoption wenig Neues zu bieten hat, eignet sich die Serie für einen kurzweiligen Zeitvertreib erstaunlich gut. Um den Spaß aber in seinem vollen Umfang auskosten zu können, sollte man sich am Besten nicht alleine auf das Abenteuer begeben. Und sollte die familiäre/romantische/kollegiale/freundschaftliche Beziehung doch an der Herausforderung, eine gemeinschaftliche Entscheidung zu treffen, zerbrechen, so kann man sich im Nachhinein immerhin ein ganzes Poesiealbum voll inspirierender Bear-Grylls-Lebensweisheiten ins mentale Bücherregal stellen. Denn: „Angst überwindet man am besten, wenn man sich ihr direkt stellt und einfach weitermacht“, und: „Es ist immer besser, vorbereitet zu sein.“

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„Du gegen die Wildnis“ von und mit Bear Grylls (Produktion und Hauptrolle) seit 10. April auf Netflix im Stream verfügbar.

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