Dylan, Baez, Santana


Mi it Decken und Picknick-Korben zogen die Mittdreißiger ins Fußballstadion nahe der Reeperbahn. Jugend war hier vor allem durch Kinder vertreten, denen Eltern ihre Idole zeigen wollten. Als Veranstalter Fritz Rau am frühen Nachmittag ein Heimspiel des Ex-Lake-Musikers Alex Conti ankündigte, waren die später rund 15000 Gäste der familiären Nostalgie-Orgie bei weitem noch nicht vollzählig. Die Gruppe des Gitarristen und Sängers wirkte verloren zwischen den monströsen Aufbauten ihrer Nachfolger auf der europabrav beflaggten Bühne. So ertönte Contis versiert amerikanischen Vorbildern nachempfundener Mainstream eher beiläufig; das freundliche Klatschen wollte sich noch nicht zu massenhaftem Applaus zusammenschließen. Bei Coverversionen wie Robert Palmers „You Are In My System“ waren die Herren von ihrem Gesang offenbar selbst nicht so ganz überzeugt.

Nun geht’s richtig los: Die Buhne wird umsortiert für Carlos Santana und seine auf zehn Mann verstärkte Truppe. Reichlich Percussion natürlich, am Schlagzeug der legendäre Zappa- und Genesis-Drummer Chester Thompson und am Baß kein Geringerer als Alphonso Johnson. Als Zweit-Keyboarder läßt David Sancious unselige Erinnerungen an den Rockpalast mit Jack Bruce schnell vergessen. Der eigentliche Knüller aber ist das schwarzweiße Sänger-Duo: Greg Walker und sein schottischer Kollege Alex Ligertwood, beide schon einzeln bei Santana beschäftigt, übertreffen sich in Sachen Soul-Power, daß der jungenhaft freundliche Gttarren-Heroe Carlos gelegentlich in den Hintergrund rückt. Aber der bescheidene Chef fühlt sich zwischen Räucherstäbchen und einem Porträt seines indischen Gurus sichtlich wohl.

Bevor dann Joan Baez mit ihrem seit den 60ern unverdrossen vorangetriebenen Singout-Protest für einen krassen Wechsel der musikalischen Welten sorgen kann, gibt Petrus ein feuchtes Gastspiel. Doch die Baez-Gemeinde ist Open-airerfahren, zieht Planen und gelbe Friesennerze unterm strapazierten Sitzfleisch hervor und läßt sich die Stimmung nicht verregnen. Mit Andacht lauscht man einer 43jährigen Dame im gelben Rock und schwarzen Pulli, die mit dezent steifer Eleganz und wenig dezentem Vibrato verkörpert, was sie erklärten Verächtern schier unerträglich macht: Aufrechtsein – 24 Stunden am Tag. „Singt mit mir“, ruft sie allen blauäugig Gutwilligen zu und vergewaltigt Lennons „Imagine“, indem sie während des Songs die Textzeilen kurz vorbetet. Beifall braust auf, wenn sie ein Lied“.allen politischen Gefangenen in der Welt“ widmet. Das Publikum kann sich selbstzufrieden feiern und mit Begrüßungsbeifall für die ersten Takte altbekannter Nummern seine Zugehörigkeit kundtun.

So viel geballter Goodwill ist auf Dauer nicht jedermanns Sache. Hinzu kommt noch Carlos Santana mit Klampfe und Percussionisten. Er steuert drei angenehm trockene Soli bei und stimmt der hilflosen Kollegin die Gitarre. Unmöglich, sich diese beiden Abstinenzler in der gleichen Hotel-Suite nächtigend vorzustellen!

Es soll Joan Baez gewesen sein, die einst Bob Dylan ermunterte, seine nasale Stimme vor fremden Menschen zu erproben. In den frühen 80ern schob sie ihn dann ins politische Abseits (..zu bürgerlich geworden“). Und in ihrer Version von „A Hard Rains A Gonna Fall“ parodiert sie seine Sprechgesang-Kadenzen überraschend frech. Trotzdem bleibt heute dem hageren Männlein mit Strohhut und schwarzer Lederjacke der Beweis vorbehalten, daß man als Mythos aus der späten Hippie-Epoche heute nicht zum schlichten Anachronismus verkommen muß. Plötzlich steht er auf der Bühne, der vom Christentum retourgeläuterte Protestpoet.

Bob Dylan hat tatsächlich zum Rock zurückgefunden. Statt Gospel-Damen bringt er für satte Gitarrenriffs den seit Stones-Zeiten unerschütterlichen Mick Taylor mit. Treibende Orgelfetzen (Ex-Smallface lan McLagan) und Dylans ungewohnt kraftvoller Gesang müssen anfangs über einen mehr als lausigen Sound hinwegtrösten. Anstelle der Baß-Läufe Greg Suttons hört man nur ein schlappes Fell wummern, auf das die Fußmaschine des Drummers Colin Allen unbarmherzig eindrischt.

Während „Highway 61“, der aktuelle „Jokerman“ und „Maggies Farm“ beinahe den Tontechnikern zum Opfer fallen, braucht man ab „I And I“ die neue INFIDELS-LP nicht mehr im Kopf zu haben, um der Musik folgen zu können.

Die Reggae-Akzente hätten Sly Dunbar und Robbie Shakespeare zwar noch zwingender in den Griff gekriegt, aber ansonsten gibt es nichts zu meckern. Und obendrein ein phänomenales Bottleneck-Solo Mick Taylors bei „Got My Mojo Workin“ (vom Bassisten gesungen).

Auch im Alleingang weiß Dylan zu packen. Erstaunlich, wie unverbraucht sein „Don’t Think Twice“ rüberkommt. Dabei hatte er vor Journalisten verkündet, die alten Songs würden ihn nicht mehr anturnen und wären ein Zugeständnis an die Hörer. Vier Stunden lang soll Dylan beim Tourneestart in Verona durchgehalten haben. In Hamburg werden es vor einem erschöpft-euphorischen Publikum nur knappe 120 Minuten, abgerundet durch eine ebenso kurze wie demonstrative „Wiedervereinigung“ von Bobby und Joan, bei der auch Carlos nicht fehlen mag.

Die alte Frage nach den ,.how many roads“ wird zweistimmig aufgeworfen – ein wahrhaft erhebender Ausklang, obwohl von einem Zusammenspiel der beiden Herren auf der Gitarre keine Rede sein kann, und die Rührungsträne der Dame nur bei hartgesottenen Gläubigen auf fruchtbaren Boden gefallen sein dürfte. Wer nicht schon das Weite gesucht hat, bekundet seine Zufriedenheit durch lautstarke Unterstützung: WE SHALL OVERCO-ME – wenn auch nicht mehr an diesem Abend; den hat Papa Rau nämlich mit seinem“.Ja, das war’s und fahrt vorsichtig nach Haus“ für beendet erklärt.