Ein Freund ist zurück


Nach ihrem überraschend erfolgreichen Debüt erzählen Kettcar wieder davon, wie es ist - nicht lustig, sondern traurig nämlich.

Hamburg, St. Pauli, Feldstraße. Da hinten ist das St.-Pauli-Stadion, da guckt man Fußball. Davor ist die Tanke, da kauft man Bier. Auf der anderen Straßenseite ist das Knust, da geht man auf Konzerte. Und ziemlich im Zentrum von alldem steht ein Bürohaus, in dem residiert die Plattenfirma Grand Hotel Van Cleef. Marcus Wiebusch und Reimer Bustorff sind die Anführer von Kettcar und zwei Drittel der Firma. Das andere Drittel heißt Thees Uhlmann (Tomte). Marcus und Reimer sitzen in der Küche, die auch Konferenzzimmer und Lager ist. Alles sehr funktional hier, schmucklos und unglamourös.

Vor zwei Jahren erschien das Kettcar-Debüt du und wieviel von deinen freunden. Ein Album zum Anlehnen und Selbstfinden. Es war die erste Platte, die auf dem aus Ermangelung an vernünftigen Alternativen gegründeten Grand-Hotel-Label erschien. Fast 30.000 CDs wurden davon verkauft. Seitdem läuft der Laden-und sehr viele Leute warten auf das zweite Kettcar-Album, wie man auf die Rückkehr eines alten Freundes wartet. Hier ist es: Es heißt VON SPATZEN UND TAUBEN, DÄCHERN UND HÄNDEN, und es klingt traurig. „Die erste Platte war durch einen harten Blick aufs eigene innere Selbst geprägt, hat aber auch immer den Weg raus gezeigt“, sagt Sänger und Texter Marcus. „Das ist auf der neuen Platte nicht mehr so. Heute trauen wir uns, verletzlich zu sein.“ Hört man die elf neuen Lieder, erinnert man sich hinterher an Worte wie „böse, fiese Welt“, „geplatzte Träume“, „Enttäuschungen“, und man spürt den Nachhall der kraftvollen, aber dunkelblauen Töne im Magen wie ein Drücken. Irgendwas ist hier komisch, denn eigendich müßte das Aufsteigerteam Kettcar jubilieren. „Mir scheint die Sonne aus dem Arsch“, sagt Marcus ohne Lächeln. „Ich bin seit drei Jahren glücklich mit meiner Freundin zusammen, bin Vater eines gesunden Jungen, hab ’ne geile Firma und ’ne geile Band. Aber diese Traurigkeit ist immer in mir.“

Kettcar machen Musik Zum Sich-drin-Wiederfinden mutwillig. „Ich wollte immer eine Identifikation anbieten. Ich fand immer die Songs gut, bei denen der Sänger gesagt hat, was ich gedacht habe“, sagt Wiebusch, 35. Jetzt schreibt er selber solche Lieder, was zu einer Nähe zu den Hörern führt, die dem Sänger nicht behagt. Der Mann steckt in einem Zwiespalt – er will eine Schulter bieten, aber wenn sich Fremde an ihn anlehnen, will er sie und sich entziehen. „Diese Nähe zu den Leuten da draußen gestaltet sich zunehmend schwieriger… dieses Gefühl, daß alle an einem zerren und was von einem wollen. Das heißt nicht, daß ich mit den Leuten nichts zu tun haben will. Aber je mehr es werden, desto schwieriger wird es.“ Der Mann will kein Mitleid, aber man muß verstehen, daß er geht, wenn du kommst.

Hier geht es nicht um Leichtigkeit und die gute Seite. Es geht ums echte Leben, das auf die Seele drückt, und um Bodenständigkeit in jeder Hinsicht – auch in der Musik. „Wir könnennicht wie Kanteneue Sound-Entwürfe anbieten. Da sind wir realistisch genug. Und genau für diesen Realismus schätzt man uns“, sagt Marcus. Kettcar sind bei dir. Wo steckt man sie hin im derzeitigen Pop-Land? Wiebusch überlegt und sagt: „Es bilden sich in Musik-Deutschland gerade zwei Lager: Das eine sind die alten ehrwürdigen Bands mit einem sehr dezidierten, wichtigen und richtigen politischen und künstlerischen Anspruch-Blumfeld, Tocotronic, Die Sterne und Kante. Unddann gibt es die neuen naiven Bands- Mia, Juli, Silbermond, Virginia Jetzt! und die Sportfreunde Stiller. Wir bewegen uns zwischen diesen beiden Lagern. Wir sind eine Band, die aus einer sehr politischen Ecke kommt und sehr politische Songs gemacht hat, davon aber lange Zeit die Schnauze voll hatte. Aber dieses politische Moment schwirrt immer um uns rum.“ Ein Textauszug aus dem Stück „Deiche“: „Du weißt. Der Kuchen ist verteilt -und spürst: Die Krümel werden knapp.“ Kettcar beschreiben Zustände, ohne Auswege aufzuzeigen. „Wir wollen dem sehr intellektuellen Weg von Blumfeld und Tocotronic nicht folgen, aber wir wollen uns auch auf gar keinen Fall in die Jauchegrube begeben, in der sich die anderen Bands aufhalten“, so Marcus. „Wir sind nicht cool und hip und werden es nie werden. Wir sind immer die knochigen Typen, die diese Emo-Knaller raushauen.“ So ist das, draußen vor dem Millerntor, neben der Tanke, um die Ecke das Knust. Kettcar – das echte Leben.

www.kettcar.net