Ein wahres Ding


Rock against technology - aus dem kleinen Rock-Katechismus des so wilden wie einzigartigen Billy Childish.

„Ich zähle sie nicht mehr“, sagt Billy Childish. Sind es mehr als 1oo? Billy grinst. „Mehr als genug.“ Gibt es einen Menschen, der alle Schallplatten besitzt, die er je veröffentlicht hat? Jaja, das sind Menschen, die sich ruinieren wollen.“

Die Popgeschichtsschreibung muß angesichts des Outputs von Childish kapitulieren: Wahrscheinlich über 1oo Alben, 2000 Gemälde, 30 Gedichtbände und Erzählungen gehen auf das Konto des einzigen noch lebenden Punkrockers und selbsternannten „Devolurionärs“. Unterwegs seit einer gefühlten Ewigkeit, mit Wiederholungen von Wiederholungen, die abenteuerlicherweise nicht langweilig werden wollen. Immer-mal-wieder-Darling des britischen Kunstbetriebs. Der Mann, dem Kylie hinterhertelefonierte, nur um einen seiner Buchtitel für ihr Album verwenden zu können. Gefeiert von alten und neuen Rock-Heroen, von Cobain, von Beck und den White Stripes, die Childish zu einem gemeinsamen Top-Of-The-Pops-Auftritt einluden. Er aber spielt lieber mit seinen Kumpels in der Küche Songs von Son House. Und er hat eine einfache Erklärung dafür, daß er Musik macht: „Man hat was zu tun. Es ist besser Platten aufzunehmen, als auf der Straße herumzuhängen.“ Die neueste hat er mit den Buff Medways gemacht. Die Buff Medways haben das Erbe von Billys Super-Amateurgruppen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte angetreten: The Pop Rivets, The Milkshakes, die im Hamburger Star-Club spielten, als dort Dildos an die Wand gehängt wurden, Thee Mighty Caesars, The Del Monas, Thee Headcoats, die die Sherlock-Holmes-Gedächtnismütze im Pop erfanden. Er ließ seinen Schepper-Rock durch Vox-Verstärker kommen, als das Gros der britischen Indie-Bands Platten für Shoegazer produzierte. Irgendwann hat jemand „wild“ dazugesetzt. Wild Billy Childish spielte fortan den Garage Rock, als hätte er gerade beides erfunden: Garage und Rock. Er singt von den Mädchen, von Freunden und vom Fahrradclub seiner Mutter – es sind dies Songs, die sich einen Katzensprung von seiner Haustür entfernt zutragen. Um wichtige Songs zu schreiben, sagt Childish, dürfe man keine Angst davor haben, unwichtig zu bleiben.

Im kleinen Rock-Katechismus des Billy Childish steht: Du sollst keine Studio-Technologie haben! Denn sie verhindert Rockmusik, integre Rockmusik jedenfalls. „Nach den ersten Aufnahmen mit den Pop Rivets haben wir uns gefragt, warum Drums immer wie ein nasser Pappkarton mit einem toten Fisch drin klingen müssen. Technologie steht der Musik im Weg.“ Childish schreibt dazu gerne die simpelsten Wegwerf-Reime, die man sich vorstellen kann, weil er virtuose Texte und Literatur verabscheut und lieber bei den Dadaisten klaut: „Arbeite schnell und so, wie du es magst. Die Dinge sollen sich selbst ausdrücken.“

Childish lebt und arbeitet in Chatham/Kent, wo er 1959 geboren wurde. Er schmiß die Schule mit 16, jobbte als Steinmetz, besuchte Zeichenkurse an der Art School, lernte Gitarre, da war er schon 21. Eines Tages wurde die Gründung der Headcoatees im Vorprogramm der Headcoats verkündet. Die All-Girl-Fan-Band um Holly Golightly machte munter Platten aus dem Geist des Billy und wurde fast bekannter als der eigenartige Junge in seinen viktorianischen Uniformen. Seine musikalische Sozialisation beginnt mit einem Song der Swinging Blue Jeans: „Hippy Hippy Shake“. „Die Beatles, Stones, Who. Nimm Hendrix noch dazu. Das hat mich geprägt. Nach Hendrix mochte ich lange nichts mehr, bis Punkrock passierte. Und nach Punkrock mochte ich bislang gar nichts mehr. Nach Punkrock entdeckten wir Link Wray und die alten Blues-Leute, das war interessanter als Spandau Ballet. Wenn du jemanden magst, möchtest du herausfinden, was er mag. So gelangst du zum Kern der Dinge. Zum wahren Ding. Wir sind auch so ein wahres Ding.“

Was wäre passiert, wenn er, das wahre Rock-Ding, vor 20 Jahren berühmt geworden wäre? „Tod durch Alkoholismus… Das hätte mir viele Probleme bereitet, das hätte mich damals richtig wütend gemacht.“ Und wenn Jack White Childish doch noch berühmtmacht? „Es wird eher passieren, dass Holly berühmt wird, sie ist einfach besser in der Lage, mit Leuten zu reden. Wenn ich mit Jack White spreche, kann ich ihm nicht vorheucheln, dass ich seine Musik mag. Die Hives wollten mit uns spielen, weil sie uns verehren. Für mich klingen sie wie eine Mixtur aus einem jugoslawischen Beitrag zum Eurovision Song Contest in den 70er Jahren, schlechten Rolling Stones und – ähh – den Osmonds. Und wenn ich ihnen sage, was ich von ihnen denke, wird das kein gutes Warm-Up für einen Auftritt sein.“

>>> www.theebillychildish.com