„Ey, klingt doch alles gleich, nennt euch einfach Team Scheisse“: Das wichtige Interview
Linus Volkmann macht in dieser Kolumne, was er am besten kann: Mit Team Scheisse sprechen.

Instagram verlassen, Scherben von unzähligen Weizengläsern aufkehren und 20 Jahre Drehorgel feiern. Linus Volkmann hat mit Team Scheisse gesprochen.
Die Pop-Kolumne im magischen Musikexpress füllen … das stellt selbst in Friedenszeiten bereits eine große Verantwortung dar. Insofern unterscheidet sich der Job kaum von der Kanzlerschaft der Bundesrepublik Deutschland. Es geht nicht um einen selbst, sondern viel mehr um die Gemeinschaft aller Pop-Interessierten des Landes. Welche Dinge beschäftigen die Menschen vor ihren Vinyl-Plattenspielern oder in ihren plüschig ausgekleideten Streaming-Zimmern?
Vielleicht also mal wieder etwas Ranschmeißerisches schreiben über zum Beispiel … die Ticketpreise bei Oasis? Oder über dieses Gerücht, dass Kid Rock und Vanilla Ice auf große „Woke is whack“-Tour gehen wollen? Besonders letzterer aus dem verstopften Abfluss gezogenen „Idee“ könnte ich mit meinem freundlich fiesen Schreibstil schön „eins reinwürgen“. Allerdings – Stichwort Kanzlerschaft – sollte man sich auch nicht selbst in all diesem elendigen Populismus verlieren.
Also … in einer wöchentlichen Kolumne ist für die Bürger:innen vor allem etwas Wochenaktuelles am nachvollziehbarsten. Auf welches popkulturelle Phänomen sollte ich dieser Tage meine trübe Laseraugen richten, was dämmert dieser Tage? Okay, vergesst die Oscars oder den deutschen Beitrag zum ESC. Natürlich ist es das dritte Album der Bremer Meme’n‘Achtsamkeits-Punkband Team Scheisse. 20 JAHRE DREHORGEL.
Vorab erschienen schon etliche Songs, die uns angesäuselten Staatsfeinden wirklich gut in die schlechten Karten (Pik 7 und Karo 2) spielten. Team Scheisse bleiben auch 2025 im Bandgefüge amorph (Besetzung hat bis heute ihr Fenster auf Kipp) und stellen ihren pointierten, sprühenden Minimal-Punk auf der neuen Platte nicht in Frage, sondern führen ihn zu einer neuen pointiert rumpeligen Meisterschaft. Ich habe die freche Rockgruppe für ein Interview virtuell in ihrem Proberaum getroffen. Überall stehen dort zuckerlastige Softdrinks herum. Dementsprechend aufgekratzt entwickelt sich das Gespräch.
Das ganz große Team Scheisse Interview
Wie alles begann
Thomas (Bass): Vor Team Scheisse gab es eigentlich nur Hannes und Timo, die sich Songskizzen hin und her geschickt haben, um lustig Musik zu machen – vor allem für sich selbst. Auf diese Sachen ist Simon dann aufmerksam geworden.
Simon (Schlagzeug): Ich war mit Mello damals noch in einer anderen Band (Schutt) und Thomas war zusammen mit Hannes Mercedes Jens. Die 21 Plays, die Team Scheisse auf Soundcloud hatten, stammten von uns. Aber wir waren uns alle sicher, das ist richtig geiles Zeug.
Timo (Gesang): Es hat dann allerdings noch Jahre gedauert, alles lag ewig rum.
Simon: Die Idee war außerdem, dass bei dieser frühen Team Scheisse Sammlung jeder Song für sich stehen sollte – also dass quasi jedes Stück von einer anderen Punkband stammt.
Timo: Wir hatten uns echt Mühe gegeben, so unterschiedlich wie möglich zu klingen.
Simon: Ich bin dann allerdings zu Timo und habe gesagt, „ey, das klingt doch alles gleich, nennt euch einfach Team Scheisse“.
Timo: Dann wurde das von Thomas und Simon noch mal in die Hand genommen, die haben richtige Instrumente dazu gespielt, das auf eine Kassette gepackt und angefangen, das zu verkaufen. Davon habe ich anfänglich gar nichts mitbekommen – allerdings auch kein Geld gekriegt! Ich weiß noch, als es dann doch bei mir ankam, dass offensichtlich 100 Leute diese Musik über die Team-Scheisse-bandcamp-Seite bestellt haben sollen. Mein Gedanke war: „Wie weird ist das denn?!“
Der Rest ist Bremer Punkrock-Geschichte – mindestens so erschöpfend wie die der Mimmi‘s. Team Scheisse werden von Fizzle (Teil des erfolgreichen Producer-Teams KitschKrieg) angeschrieben, man möchte die Band aus Gründen galoppierenden Irrsinns signen, obwohl sie Lichtjahre von allen bisherigen KitschKrieg-Veröffentlichungen entfernt ist. Eine der fünf besten Schnapsideen des neuen Jahrtausends, wie sich bald herausstellen sollte. Spätestens als „Karstadtdetektiv“ zu dem Signature-Hit von Team Scheisse wird, ist die Sache klar.
Dass Team Scheisse trotz des Raketenstarts nicht als greller Punkgag mit geringer Halbwertszeit am Nachthimmel verpufften, dürfte auch daran liegen, dass ihr vorher alle schon lange Musik gemacht habt, oder?
Thomas: Das hat uns auf jeden Fall geholfen. Wir sind seit 15 oder sogar 20 Jahren in Bands – und stehen schon immer auf kleinen Bühnen im DIY-Bereich. Bühnen, die wir uns in Bremen zusammen mit anderen zum Teil selbst erschaffen haben. Wir haben selbst viel veranstaltet, viel organisiert …
Simon: Viel plakatiert, viele Poster illegal an irgendwelche Hauswände geballert [verjährt, Anm.].
Thomas: Diese Erfahrung auf kleinen Bühnen hat dazu beigetragen, uns auch auf großen Bühnen Sicherheit zu geben. Aber natürlich hast du mega Schiss, wenn du das erste Mal vor 1000 Leuten spielst.

Als es losging, war gefühlt jedes neue Team-Scheisse-Konzert schon wieder der nächste Peak. Alles ausverkauft, alles immer größer. Eine Veranstaltung habe ich als sehr skurril in Erinnerung. 2022 als Vorband der Toten Hosen in Flensburg – in einer Riesenhalle …
Thomas: Das war wirklich witzig. Wir haben auf 6000 Menschen geschaut und es gab ein paar Grüppchen aus jeweils so drei, vier Leuten, die sich richtig doll bewegt haben, als wir anfingen. Die konnte man vor allem deshalb so gut erkennen, weil alle anderen stillstanden und überhaupt nicht wussten, was das soll.
Timo: Die hielten sich entsetzt an ihren 5-Euro-Bieren fest …
Thomas: … und dachten „Ich will ‚An Tagen wie diesen‘ sehen – holt diese Rumpelkinder von der Bühne und lasst endlich die Erwachsenen spielen“. Aber es war trotzdem sehr nett! Wir sind von der Band und deren Team mit offenen Armen begrüßt worden.
Timo: Das war auch beeindruckend, so eine Produktion von innen zu erleben. Keiner von uns hatte je einen Berührungspunkt mit Messehallengrößen. Die viele hundert Leute, die da arbeiten … allein wie viele Köche!
Simon: Ich kann mich auch erinnern, dass uns gesagt wurde, gleich kommt die Security. Da dachte ich, jetzt erscheint halt so ein Typ und macht eine Ansage – aber die Tore haben sich geöffnet und da marschiert eine Armee rein! Fühlte sich an, als wären wir in einem „Star Wars“-Film!
Ein schönes Bild. Also nicht nur die martialische Security-Armee der Ersten Ordnung – um in der „Star Wars“-Analogie zu bleiben –, sondern auch wie Team Scheisse stellvertretend für uns alle staunend durch die große Welt der Rockmusik stolpern. Die Band als AAA-Pass!
Doch es ist natürlich nicht alles Zufall in dieser Geschichte. Im Gegenteil.
Bei euren Konzerten gibt es klare Ansagen gegen vor der Bühne tobenden Mackerkult. Ich habe live erlebt, wie Mello (spielt live Gitarre) geduldig den Leuten was über cis-Männlichkeit erzählt hat – und ihr einen Moshpit nur für FLINTA-Personen ausgerufen habt. Könnt ihr da ein bisschen die Hintergründe öffnen?
Thomas: Wir fühlen uns verantwortlich für das Publikum und das Ziel ist, dass am Ende alle Menschen dieselbe Chance hatten, Spaß zu haben.
Mello: Gerade auch wenn Freunde uns erzählen, sie hätten bei uns keine so gute Zeit gehabt, gehen alle Alarmglocken los. Spätestens da erinnere ich mich, dass wir intern richtig mal über alles geredet haben.
Thomas: Da haben wir festgestellt, dass wir eine Richtung vorgeben müssen, denn wir können das nicht einfach laufen lassen, ohne selbst sofort den Spaß zu verlieren. Also war klar, entweder wir kriegen das irgendwie gemeinsam hin mit dem Publikum – oder wir müssen das Ganze beenden.
Timo: Wir wurden mit all dem sehr früh konfrontiert. Es war erst der zweite Gig außerhalb Bremens. In Hannover im Chez Heinz, vierhundert Leute … da brach das alles über uns herein. Ohnmachtsanfälle, nackte Männer, Ficki-Ficki-Gesten zu „Rein ins Loch!“, zerborstene Gläser, alles getränkt in Bier. Gesus Grandus [Teil der Team-Scheisse-Meme-Force; Anm.] stand wie eine Wikingerin vor der Bühne und hat versucht die Meute in Schach zu halten. Und am nächsten Tag waren wir einfach schon wieder in der nächsten Stadt, fürs nächste Konzert. Wir haben zu Beginn links, rechts immer wieder eine gescheuert gekriegt.
Simon: Wir haben vorher in besetzten Häusern in Bremen gespielt, Sielwall. Da passen 50 Leute rein – alles Crust-Punker, du siehst das Gesicht vor Piercings nicht – und es gibt dort ein Awareness-Team und 30 Mitarbeitende. Das ist Punkrock, dachte ich – aber nee, Punkrock, das sind hunderte halbnackte, besoffene Männer, die Weizenbier-Gläser auf die Bühne werfen. Da war ein Reality Check. Wir haben dann darüber diskutiert, darf man den Leuten sagen, dass sie ihr T-Shirt anlassen sollen? Stört das nicht die Stimmung? Aber okay, wir machen das jetzt einfach. Mal gucken, wie es läuft. Und unsere Erfahrung ist immer die gleiche: Die Leute nehmen das an und die paar Leute, die es doof finden, die kommen einfach nicht mehr an, die vermisst man aber auch nicht. Dann ergab es sich, dass aus dem Publikum mal ein FLINTA-Pit gefordert wurde – wir haben das spontan gemacht, später drüber geredet, ob wir das regelmäßig bringen können? Daraufhin war wieder das Gleiche: Wir haben es einfach gemacht und es wurde super angenommen.
Mello: Unsere Erfahrung ist, dass so mehr Leute Spaß haben. Man muss sich ohnehin auch fragen, wer hat an sowas keinen Spaß, aber wer hat dafür umso mehr?
Simon: Ich kann mich an ein kleines Festival in Osnabrück erinnern. Wir haben nachmittags gespielt, Stimmung war noch gar keine. Als wir den FLINTA-Pit initiiert haben, das hat die Menge befeuert, darüber ging es richtig los. Klar, manche Sachen muss man sich erst mal trauen – aber es reicht manchmal schon, wenn man Sachen sagt …
Mello: Gender! FLINTA!
Simon: Genau. Das erwähne ich gern in Interviews, weil ich mir wünsche, dass Leute das vielleicht mitnehmen, auch kleinere Bands. Es reicht schon, dass du die Sachen zwei, dreimal sagst auf der Bühne, oder dass die Leute es sonst über dich mitkriegen. Die Mega-Idioten sind dann schon so getriggert davon, dass ein Wort wie „Awareness“ fällt, dass die sowieso nie wieder zu deinem Konzert kommen. Uns hat es am meisten gebracht, dass die Idioten wegblieben.
Timo: Da muss man betonen, dass da jetzt lange Jahre harter Arbeit drin stecken. Schon seit diesem zweiten Konzert mit den – ich übertreibe ein bisschen – 400 nackten Leuten. Das war ganz früh eine Zäsur, ein Wake up call – wir mussten uns entscheiden: Wollen wir eine Ballermann-Band sein oder nicht? Aber natürlich wird es Idioten immer geben – in einer Masse von mitunter 1000 oder 2000 Leuten. Wir können die Welt nicht ändern, aber wir können immer wieder deutlich machen, dass wir keine Arschgeigen auf unseren Konzerten wollen. Natürlich haben wir durch unsere gewachsenen Strukturen eine gewisse Luxusposition. Wir können Ansprüche an Veranstalter haben. Normalerweise muss man heute schon sagen: „Natürlich nehme ich 50 Tickets selbst ab und verkaufe die dann hoffentlich an meine Leute. Danke für die Chance!“ Das sind bizarre Unverhältnismäßigkeiten, die sich eingestellt haben in der Livemusik-Landschaft – durch viele Faktoren. Wir können jedoch sagen: „Ihr habt kein Awareness-Konzept? Das ist aber unser Mindestanspruch.“ So entgeht uns auch mal ein Auftritt mit 5000 Euro Gage, aber für uns ist es wichtig, es genauso zu machen. Trotzdem kann ich verstehen, dass andere Bands sich sowas nicht trauen – oder auch schlichtweg nicht leisten können.
Mello: Wir sind ja selbst erst noch am Anfang. Die Bedingungen für das FLINTA-Publikum sind sehr präsent bei unseren Konzerten, aber was ist mit Leuten im Rollstuhl? Was ist mit Leuten mit Epilepsie, was mit nicht-weißen Menschen? Darüber machen wir uns auch Gedanken. Wir versuchen step by step weiterzukommen.
Ihr habt euren 50K-Instagram-Account Anfang des Jahres gelöscht. Die Hintergründe dürften klar sein – wie geht es euch jetzt ohne?
Thomas: Uns geht’s auf jeden Fall besser. Timo hat ganz viel Lebenszeit gewonnen.
Timo: Ich lern‘ jetzt arabisch!
Thomas: Aber das hat natürlich Konsequenzen. Wir merken das sofort, das war unser größtes Promo-Tool. Das nimmt Einfluss auf die Ticketverkäufe. Wir verlieren Geld, die Tour für den Herbst, die haben wir jetzt anders gebucht, da geht es mitunter in kleinere Läden. Aber es ist eine Entscheidung. Es gibt bestimmt viele Bands, die sagen würden: „Genau davor haben wir Angst“. Und diese Angst ist komplett berechtigt. Wir teilen sie selbst, aber am Ende ist es uns wichtiger, diese unserer Einschätzung nach faschistischen Plattformen nicht mehr weiter zu bespielen.
Simon: Adolf Hitler hat jetzt ja auch einen verifizierten Twitter-Account, das soll angeblich was Historisches sein. Dort werden einfach Bilder von SS-Paraden gezeigt. Die Fähigkeit, die man braucht bei all diesen Entwicklungen zwischen den Zeilen zu lesen, ist wirklich sehr gering – und wir wundern uns, dass in Deutschland immer noch nicht ankommt, was gerade in den USA passiert. Wenn wir unsere komplette Medienwelt und unsere komplette Kultur finanziell abhängig machen von diesen Leuten, dann ist das eine riesige Katastrophe. Der reichste Mann der Welt hat Twitter gekauft und nutzte das, um den Wahlkampf in den USA zu gewinnen. Auf der Bühne sieht man ihn den Hitlergruß machen und hier betreibt er Werbung für die AfD. Und der ganze Kommentar bei uns ist, „Ja, ja, die Trolls. Die lassen wir mal trollen.“ Nein, wir können uns eher diese ganzen Gedenktage und Mahnmale sonst wohin stecken, wenn wir dem realen Faschismus nicht nur nichts entgegensetzen, sondern seine Existenz nicht mal wahrnehmen!
Timo: Das, was er sagt! Druck‘ nur, was er gerade gesagt hat!
Habe ich es doch geahnt, dieser Artikel schreibt sich von ganz allein …
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