Freddy fliegt – Mercurys Metamorphosen


Selbst Pfaue kommen in die Jahre. Der Mann, der das Pathos auf die Bühne brachte, schmückt sich heute nur noch fürs Publikum mit bunten Federn. Als Rudi Dolezal & Hannes Rossacher ihn in seinem abgeschirmten Londoner Domizil besuchten (r.), entpuppte sich die exzentrische Diva als braves Hausmädchen. Seine Flügel, so Freddie, lege er nur noch an, wenn er in die Arena steige.

Noch vor einem Jahr hätten wir genau gewußt, wie man eine Queen-Story beginnt. Inzwischen ist die Lage etwas komplizierter geworden. Im letzten Jahr hatten wir durch unsere gemeinsame Arbeit mit Queen an verschiedenen Musik-Videos Gelegenheit, einen Einblick in die innere Struktur dieser Band zu nehmen, sie bei der Arbeit zu beobachten und auch persönlich gut kennenzulernen. Und trotzdem: Inzwischen wissen wir noch weniger, wo wir anfangen sollen.

Vielleicht dort, wo wir zum ersten Mal den Eindruck hatten, den Menschen Mercury wirklich kennenzulernen. Es war nach den Video-Dreharbeiten in London für die Queen-Single „One Vision“. Drehschluß nach einem anstrengenden Arbeitstag, zwei Uhr morgens. Als sich alle zurückziehen wollten, meinte Freddie: „So kann man nach einem Queen-Video nicht auseinandergehen!“ und lud uns zu sich nach Hause ein.

Wir saßen in einem Zimmer, an dessen Wänden rundum nur Gold- und Platin-Platten aus aller Welt hingen. Freddie saß in der Mitte am Boden, schaute in die Runde und sagte: „In New York habe ich ein Zimmer, das ebenso voll ist mit Gold- und Platin-LPs; und in unserem Office stehen noch Dutzende, die ich gar nicht mehr aufhängen kann. Was soll ich noch erreichen? Noch fünf Gold-LPs mehr? Der kommerzielle Erfolg unserer Musik kann für mich kein Anreiz mehr sein. Ich mache daher nur mehr das, was ich wirklich will, woran ich Spaß habe. Wenn die Musik dann den Leuten gefällt — um so besser! Aber ich arbeite nicht mehr bewußt auf den Erfolg hin. „

Es war inzwischen etwa vier Uhr früh und Freddie wurde gesprächig. Wobei man den Eindruck hatte, daß er völlig offen und ungeschminkt sprach, nicht als Pop-Star, der eine Rolle erfüllen muß. Er erzählte uns, daß genau in diesem Raum, wo wir saßen, schon des öfteren eine ganze Runde von namhaften Pop-Größen beisammen gesessen war. An einem Abend David Bowie, Elton John, Rod Stewart und Mick Jagger.

Elton war für Freddie seit Beginn seiner Karriere ein Idol. „Als ich vor zehn Jahren Elton kennenlernte und ihm meine Ambitionen erzählte, ganz an die Spitze kommen zu wollen, verstand ich gar nicht, was er meinte, als er zu mir sagte: ,Ich warne dich vor dem Berühmt-Sein. Für jeden Schritt, den du die Erfolgsleiter hinaufsteigst, mußt du irgend etwas, woran du hängst, hinter dir zurücklassen.‘ Damals wußte ich nicht, was er meinte. Heule weiß ich, daß er recht hatte. „

London, April „86. Wir sitzen wieder einmal im Taxi auf dem Weg zu Mercurys Haus, das er sich im Londoner Stadtteil Kensington mit einem für diese Gegend unüblich großen Garten gekauft hat. Eine Villa mit allem, was dazugehört — beginnend bei der Videokamera an der Eingangstür. Im Haus empfängt uns Freddie und führt uns nicht ohne Stolz durch die mehrstöckige Villa, die er erst vor kurzem bezogen hat. Er ist freundlich, bemüht, sympathisch.

Das bestätigt nur eine Erkenntnis, die wir schon am Anfang unserer Zusammenarbeit mit Queen ziehen konnten. Denn der erste Eindruck von der inneren Struktur dieser Band war überraschend. Natürlich weiß man, daß Queen eine Band von vier Individualisten ist,die den kreativen Wettstreit zur Maxime erhoben haben, die selten einer Meinung sind und oft streiten. Die Überraschung dabei war die Rolle von Freddie Mercury in diesem Spiel.

Er, der Frontmann und Superstar, ist nicht etwa — wie vermutet — die eitle Diva als Anstoß für gruppeninterne Streitereien. Nein, Mercury ist der große Schlichter, der trouble-shooter, das gute Herz der Band, der vieles kittet und zusammenhält. Streitereien und Auseinandersetzungen entstehen eher zwischen den anderen Bandmitgliedern -— Freddie schlichtet sie. Mercury ist der ständig unruhige Motor, der oft ein Feuerwerk an Ideen abläßt. Da ist May, der ruhige und zurückgezogene Träumer, der trotzdem im richtigen Augenblick auf seiner Meinung beharrt. Dann Taylor, der eigentliche Popstar der Band, der das Rock ’n‘ Roll-Leben zu seiner Lebensphilosophie erhoben hat, und schließlich Deacon, der unglaubliche Zyniker, der mit seinen trockenen Kritiken die Band oft vor Unüberlegtheiten bewahrt.

Das Haus hat Mercury bereits vor sieben Jahren gekauft, aber eingezogen ist er erst vor wenigen Monaten. Ganze sieben Jahre hat er nämlich einen Architekten mit dem Umbau und der Einrichtung dieser Villa beschäftigt. Details, wie drei Badezimmer, die jeweils in einem andersfarbigen Marmor gehalten sind, oder Stiegen und Stiegengeländer aus teuersten Hölzern spielen da nur am Rande eine Rolle. Das ganze Haus ist äußerst geschmackvoll eingerichtet.

Mercury hat die Ideen dazu selbst verwirklicht. Während wir durch die Stockwerke der Villa schlendern, meinte er: „Weißt du, ich habe jetzt sieben Jahre lang dieses Haus eingerichtet, es war wie ein Spiel, von allem nur das Beste und Schönste. Und jetzt ist es fertig — und eigentlich ist es gar nicht so toll. Das Einrichten war interessanter als das Einziehen. „

Im riesigen Wohnsalon nehmen wir schließlich Platz und beginnen mit dem verabredeten Interview. Schließlich ist Queen wieder einmal ganz oben und drauf und dran, Europa erneut im Sturm zu erobern.

Eine neue LP ist auf dem Markt, ein Kinofilm mit der Musik von Queen, dazu eine Europa-Tournee, die ausschließlich in riesigen Hallen oder Stadien stattfindet. Wie groß Queen allein in England ist, zeigt der Kartenvorverkauf: Innerhalb nur einer Woche nach Ankündigung des Konzertes im Wembley-Stadion wurden 125.000 Tickets verkauft. Da nur etwa 70.000 Zuschauer in das Wembley-Stadion passen, hat Queen praktisch eine zweite Show ausverkauft, bevor sie das Konzert überhaupt angekündigt hatten!

Freddie erzählt von den Proben in London und davon, wie frisch die Band wieder zusammenspielt. Darauf unsere Frage: Was macht die Frische dieser Tour aus?

„Ich und meine herrlichen Kostüme natürlich (lacht). Nein, im Ernst: Wir haben in den letzten Wochen auch viele alte Songs wieder einstudiert. Das hat mich nachdenklich gemacht. Mir wurde bewußt, daß ich schon 15 Jahre mit Queen spiele! Bei manchen allen Titeln habe ich ein komisches Gefühl, wenn ich sie heute wieder singe. Wenn man mich so reden hört, dann klingt das so, als wäre ich ein alter Mann, nicht wahr? Naja, für 39 schau ich gar nicht so schlecht aus, das sag ich dir, Darling! Jeder dachte, nach meinem Solo-Album würde ich die Band verlassen. Fehlanzeige! Es gibt uns noch immer —- und die vier alten Damen rocken kräftiger denn je.

Ich gehe eigentlich nur ungern auf Tournee, weil ich sehr lange brauche, um mich körperlich vorzubereiten. Die Bühnen werden immer größer, ich muß für meine Fitneß trainieren, denn ich will mich gut fühlen, wenn ich auf der Bühne stehe. Touren ist harte Arbeit, aber es lohnt sich. Das Gefühl, auf der Bühne zu stehen und vom Publikum geliebt zu werden, ist einfach mit nichts vergleichbar. „

Mercury beschäftigt sich intensiv damit, wie er die einzelnen Lieder auf der Bühne anlegt: „Mir macht es Spaß, manche Lieder live zu übertreiben, mich richtig aufzuführen. Dann gibt es Songs, die ich auch im Sitzen vortragen könnte. Ich mag die Freiheit auf der Bühne.

Als ich aber diesmal bei den hoben unsere Bühne zum ersten Mal sah, dachte ich mir: .Die ist ja noch größer als das letzte Mal, mein Gott, was soll ich denn da machen.‘ Ich dachte zunächst, daß ich Rollschuhe brauche, um von einem Ende zum anderen zu kommen.“

Queen treiben auch diesmal wieder gigantischen Aufwand. Wegen der langen Auf- und Abbauzeit können sie nur alle drei Tage ein Konzert spielen. Und trotzdem wird auch diese Tournee wie immer perfekt organisiert sein. Mit der verhältnismäßig kleinen, aber ungeheuer effizient arbeitenden Organisation von „Queen Productions“ ist Queen in der Lage, all ihre administrativen Arbeiten zu erledigen. Hinter den Kulissen zieht schon seit Jahren Jim Beach die Fäden, für die Tourneeabwicklung ist der langjährige Queen-Mitarbeiter, Gerry Stikkells verantwortlich, der übrigens in den späten 60er Jahren Jimi Hendrix gemanagt hat.

Die Tournee fällt in Europa zusammen mit dem Start eines Spielfilms, in der Hauptrolle Christopher Lambert. Titel „Highlander“, zu dem Queen die Filmmusik beigesteuert haben. „Eigentlich war nur geplant, daß wir zwei Songs fiir den Film beisteuern. Doch dann begannen alle vier vor uns, an Songs zu arbeiten. Und als wir ins Studio gingen, hatten wir insgesamt acht Songs für den Film fertig — und somit eine neue LP, mit der wir eigentlich gar nicht gerechnet hatten. „

Auslösendes Moment dafür, daß die vier überhaupt wieder zusammen ins Studio gingen, war das Live-Aid-Konzert. Mercury: „Bei einer Band wie Queen sind neue Projekte zunächst eine Frage der Motivation. Beim Live-Aid-Konzert wurde das Feuer innerhalb der Band wieder entfacht. Uns hat ganz einfach der Ehrgeiz wieder gepackt.“

Obwohl alle vier Bandmitglieder in verschiedenen Teilen der Welt bereits Verpflichtungen hatten, kam man überein, gemeinsam ins Studio zu gehen und diesen neuen Ehrgeiz zu einem neuen Queen-Hit zu nützen. Ursprünglich hatte die Band nämlich vor, ein gutes Jahr Pause zu machen. Bei „One Vision“, dem Single-Produkt dieser Session, wagten Queen nämlich erstmals ein Experiment. Sie versuchten, im Studio ein Lied zu viert zu schreiben. Und mögen während der langen Nächte auch noch so harte Worte gefallen sein, Türen zugeknallt worden sein — jeder hat vor jedem künstlerischen Respekt. Auch wenn alle das Studio verlassen, wenn Brian May stundenlang Riffs für „One Vision“ ausprobierte: jeder der vier weiß und respektiert, daß Brians Gitarre für den Queen-Sound genauso essentiell ist wie etwa Freddies Stimme.

„15 Jahre Queen“ müssen natürlich auch gebührend gefeiert werden. Mit einer Plattenbox THE COMPLETE WORKS machte man den Anfang, ein Buch über die 15jährige Geschichte der Band wird folgen, ebenso eine 90-Minuten-TV-Dokumentation über die gesamte Geschichte der Band.

Freddie: „Es wird von Jahr zu Jahr schwieriger, an der Spitze zu bleiben. Man braucht unglaubliches Durchhaltevermögen. Unlängst hat mich ein Journalist gefragt: ,Du hast alles erreicht, was man im Popgeschäft erreichen kann. Was kann da noch kommen ?‘ Es ist ganz einfach: Ich kann nichts anderes als Musik machen. Ich kann nicht einmal Küchenchef werden, weil ich nicht kochen kann. Ich weiß, daß ich heute aufhören könnte und von meinem Geld bis an mein Lebensende gut leben könnte — aber dazu bin ich einfach nicht der Typ. Ich muß arbeiten, sonst langweile ich mich fürchterlich‘.“

Auch der Konkurrenzkampf wird laut Mercury für Queen immer härter: „Man muß sehr wachsam sein. Ich stehe immer auf den Zehenspitzen, um aufmerksam zu verfolgen, was die Konkurrenz gerade tut. Es wäre für mich zu einfach zu sagen: ,lch habe jetzt 10 Jahre lang das Gleiche gemacht, ich wiederhole mich einfach immer wieder, das reicht aus. um weiterhin Erfolg zu haben: Ich hasse es, immer wieder das Gleiche zu tun.“

Wo sieht Mercury den Unterschied zwischen dem Popstar, den er auf der Bühne darstellt, und seinem Privatleben?

„Die Leute sehen mich auf der Bühne und glauben, so muß er auch im wirklichen Leben sein: exzentrisch, arrogant, verrückt. Wenn ich mich so ansehe, bin ich privat eigentlich ziemlich langweilig. Mein Image als Popstar lasse ich meistens auf der Bühne zurück.

Das war nicht immer so. Am Beginn unserer Karriere versuchte ich. das Image, das ich auf der Bühne hatte, auch privat weiterzuleben. Heute langweilt mich das. Ich mache mir keine Gedanken darüber, ob mich die Leute sofort erkennen: das kümmert mich einen Dreck.“

Auch in seinem Verhalten als Privatperson hat sich in den letzten Jahren einiges geändert: „Wenn ich früher ausging, habe ich mir eingebildet, auch ein bißchen Theater spielen zu müssen, damit die Leute von Freddie Mercury nicht enttäuscht sind. Ich habe eine Zeitlang ein falsches Image von mir selbst gelebt. Heute bin ich wohl reif genug, um zu sagen: ,Es kümmert mich nicht, was die Leute über mich denken. ‚“

Es stellt sich natürlich auch die Frage, wie lange die Band noch zusammenbleiben wird, wie lange Mercury noch auf der Bühne stehen will und wann ihre Meinungsverschiedenheiten zum Split der Band führen könnten.

Mercury: „Wir streiten nicht erst, seit wir erfolgreich sind: das war immer schon so. Und ich glaube, das Streuen hält uns zusammen. Normalerweise ist es doch so: Eine Band hat eine besonders starke Persönlichkeit, die alles bestimmt. Dann bricht die Bund auseinander, weil die anderen irgendwann einmal sagen: ‚Dieses Arschloch ist zu sehr im Vordergrund, er unterdrückt uns.‘ Bei uns ist das nicht das Fall, weil wir alle vier starke und sture Persönlichkeiten sind. Keiner will nachgeben.“

Und auf die Frage, wie lange er noch weitermachen will als Popstar um die 40? „Ich weiß nicht, ich mach‘ weiter, solange die Musik gut ist und die Leute unsere Platten kaufen. Wenn das einmal nicht mehr so ist, bin ich der erste, der abhaut. Dann mach‘ ich etwas anderes. Dann werde ich Striptease-Tänzer.“

Zu welcher Musik wurdest du dich am liebsten ausziehen?

„Natürlich zu meinen eigenen Songs. Dafür hab‘ ich sie ja geschrieben.“ (lacht) Letzte Frage: Wie würde er sich selbst beschreiben?

„Ich bin bloß eine Rock ’n‘ Roll-Hure. Ich bin, wie ich bin. Das reicht. Oder?“