Fury In The Slaughterhouse: Nackt im Wind


Sechs Jungs aus Hannover schießen sich ihren Weg durch den Dschungel des Rock-Geschäftes selber frei - mit harten Gitarren und Songs wie Silberkugeln. Sie sind eine der besten Rock-Bands im Lande, aber beim Video-Dreh auf Sylt, im Studio und auf Tour müssen sie sich selber helfen. Ohne große Firma, nackt im Wind. Nur der wird immer wärmer für Fury.

Kommt ein Musiker zum Arzt. Der Arzt sagt: „Es tut mir furchtbar leid, aber sie haben nur noch drei Monate zu leben.“ Darauf der Musiker: „Drei Monate noch ?? Wovon denn?“ Ha Ha. Humor ist wenn man trotzdem lacht.

In Hannovers Wedekindstraße Nummer 4 wird viel gelacht, wenn die Nacht kurz ist. Heute ist sie besonders kurz. Bereits seit drei Uhr morgens brennen in der Band-WG die Lichter. Verschlafen sitzen W66 (im normalen Leben heißt er Thorsten) und Chris, die beiden Gitarristen der Truppe, auf einem durchgesessenen Sofa in der anheimelnd improvisierten Küche. Um diese Uhrzeit kann so etwas tödlich sein für den Rest des Tages. Oder zumindest genauso gefährlich wie ein gemeines Küchenmesser. mit dem die beiden Bataillone von Semmeln. Käse, Salami und Gurken bearbeiten. „Wie war das nochmal, Marion, zwei Scheiben Käse auf die Semmeln oder eine?“ – „Eine, und vergiß die Gurkenscheibe nicht. “ – „Das Leben als Rockstar habe ich mir auch anders vorgestellt. „

Fury In The Slaughterhouse drehen ein Video zu ihrer neuen Single auf Sylt. „Low Budget“, grinst Bassist Hannes und hievt einen Rollstuhl in den Kofferraum. Nichts ist einfacher als eine Kamerafahrt mit der professionellen Ausrüstung …

Und als die dreistündige Fahrt zur Küste in drei geliehenen Autos (Freunde sind billiger als Inter-Rent) um vier Uhr endlich losgeht, seufzt Sänger Kai (auch W59 genannt, er und die andere Nummer sind Brüder): „Vielleicht sind wir ja doch eine typische Indie-Band, so wie Rainer immer sagt: ein unorganisierter Haufen schlechter Musiker.“

Fury In The Slaughterhouse sind keine typische Indie-Band. Vor drei Jahren standen die langjährigen Freunde zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. „Eine völlig spontane Aktion. Wir sind als Vor-Band aufgetreten, ohne jemals ein einziges Stück zusammen geübt zu haben.“

Was ihnen anfangs an Planung fehlte, machten sie später durch Arbeitseifer wett. „Als wir erst mal zusammen waren, haben wir gespielt wie die Bekloppten. Wir sind überall aufgetreten, wo sie uns gelassen haben, und das immer. Die 50 oder 80 Mark, die man am Anfang pro Nase so bekommt, die haben wir dann nicht versoffen, sondern Aufkleber drucken lassen. Damit wurde dann die ganze Stadt zugeklebt – und beim nächsten Konzert kamen schon wieder 50 Leute mehr.“ Kai grinst sichtlich zufrieden über die Beifahrerlehne.

So simpel kann der Rechenweg nicht sein. Musik läßt sich nicht per fotokopiertem Handzettel verkaufen wie das ALDI-Sonderangebot der Woche. Aber Fury In The Slaughterhouse ist auch nicht eine von vielen Bands in der Peripherie deutscher Großstädte. Fury sind einfach ideenreicher und verbraucherfreundlicher als die durchschnittliche Keller-Band. Ihre Musik macht Spaß und jongliert spielend mit Traditionen und Standards, springt vom Rock-’n‘-Roll-„Brett“ zu schmachtenden Popballaden, will nicht verkrampft anders sein und hebt sich genau deswegen so locker ab von vielen in der deutschen Szene. „Wenn Brett denn Brett, und wenn Pop denn Pop, und wenn dann richtig. “ Rainer bringt die Sache auf den Punkt. Das muß an seinem Beruf liegen: Schlagzeuger.

Vor drei Jahren noch haben sich die Sechs ihren Lebensunterhalt mit Jobs finanziert. Sänger Kai spielte wechselweise Kellner in Kneipen oder Statist am Staatsschauspiel, Tastenmann Gero klimperte auf Tanzabenden, Gitarrist Chris kutschierte Stahltransporte durch die norddeutsche Landschaft. Bassist Hannes folgte seinen Pflichten als Zivildienstleistender. Mit der ersten in Eigenregie organisierten Tour – „Wir sind durch viele Städte gekommen und haben allabendlich gebetet, daß uns das Geld zum Weiterfahren reicht“ -, war das geregelte Berufsleben bald vorbei. „Als Hannes noch Zivildienst gemacht hat, habe ich ihn nachts nach dem Gig nach Hannover gefahren, habe ihn um sieben Uhr morgens zur Arbeit gebracht, um vier wieder abgeholl – und dann ging’s zum nächsten Gig“, erzählt Chris. Wege zum Ruhm führen nun mal weite Strecken über die Autobahn.

In Niebüll geht die Sonne auf, die Thermoskannen sind leergetrunken, der kleine Video-Troß sammelt sich vor der Küste zur Überfahrt. Der Himmel strahlt, draußen ist es klar und kalt, ein Berliner Mercedes-Kombi biegt um die Ecke. Hannes schlägt sich auf die Schenkel: „Mist, verloren, ich hätte darauf geschworen, daß Jim als erster kommt!“ Jim Rakete, „Nena-Macher“, Hans Dampf in allen Gassen und seit einiger Zeit „nur noch“ Starfotograf, ist der Mann, der für Fury zwei Tage hinter der geliehenen Super-Acht-Kamera stehen soll.

Rakete paßt nicht ganz selbstverständlich in das Spesenkonto einer jungen deutschen Band, die gerade die zweite LP auf einem Indie-Label veröffentlicht. Trotzdem konnten Fury In The Slaughterhouse schon bei der Promotion ihrer ersten Maxi-Single 1987 mit Fotos Eindruck schinden, die seine Unterschrift trugen. Der Kontakt zu Rakete war – breites Grinsen – „ganz einfach“. In frühester Fury-Zeit bekam Rakete ein Demo zu hören, fand die Musik gut und erklärte sich spontan dazu bereit, die Band mit Künstlerhand abzulichten. Zwei freie Tage in seinem Terminplan sind auch jetzt noch ein Freundschaftsdienst zum Freundschaftspreis. Sein Gegenhonorar: Rakete hat Spaß, wenn der Fahrer des roten Chevrolet-Pick Up für eine Flasche Flens zum Video-Statisten wird oder wenn die Westerland-Omis verschreckt von den sechs verwegenen Gestalten die Straßenseite wechseln. Reiner stapft lachend hinter seinen Kollegen die Sanddünen hinauf: „Wahrscheinlich sehen wir aus wie eine Gruppe Schwererziehbarer auf Wandertag.“

Der Hausdetektiv der Firma Teldec dürfte ähnliches gedacht haben, als er sich vergangenes Jahr mit einem Fax aus dem Hause „Hidden Force Music“, dem Management der Furies konfrontiert sah. Aus Zeitungschnipseln sauber zusammengeklebt .stand dort zu lesen: „Auf ihrer Damentoilette ist eine Bombe versteckt. Wenn sie sich nicht am 6. abends im Hamburger ‚Logo‘ einfinden, wird das ein böses Ende nehmen.“ Lektion eins aus dem alternativen Handbuch „Wie angele ich mir eine Major-Company?“ Der Erfolg war durchschlagend, die Damentoilette der Hamburger Firma war für zwei Tage gesperrt und Fury-Manager Michael Smilgies wurde zu 500 Mark Strafe verdonnert, wegen „groben Unfugs“.

Smilgies ist ein ehemaliger Schulfreund von Gitarrist Thorsten. Von Musikmanagement hatte er vor ein paar Jahren noch keine Ahnung. „Irgendwann hat er sich halt ein Telefon beschafft und den Rockkalender 1987 gekauft, um überhaupt mal zu wissen, wo man überall so auftreten kann als Band.“ Seither ist er ein unabkömmliches Mitglied der ‚Familie‘, ein Bild, das die Sechs gerne verwenden, um zu erklären, warum und wie sie trotz aller Widrigkeiten bis heute durchgehalten haben.

Der Tag war lang, zehn Mann hoch flegeln wir uns im Standarddoppelzimmer einer Sylter Pension. Das Aufnahmegerät läuft. Sänger Kai erklärt die Firmenphilosophie: „Wir sind gut, weil wir zusammengehören, weil wir uns kennen, teilweise zusammen wohnen und uns bisher selbsttätig und gemeinsam um alles gekümmert haben. Zusammen können wir was einstecken, das wissen wir. Wenn wir zur Industrie gehen, haben wir sicher doppelte Chancen, daß diese Familie kaputt geht.“

Betretenes Schweigen, Keyboarder Gero prustet unter der Bettdecke hervor: „Ja, die bringen dann ihre Schwiegermutter mit! Die Majors sind die bösen Schwiegermütter der deutschen Rockmusik.“ Befreiendes Gelächter. Wir schenken unsere Gläser nach, und ich denke an den Text der neuen Fury-Single, einer wehmütigen Popmelodie von hitverdächtiger Größe, die inzwischen für Fury-Verhältnisse sehr oft im Radio gespielt wird: „We dreamt our life, we lived our dreams, we’ve sacrificed our future for the heart of rock ’n‘ roll. “ Klingt ein bißchen wie der Grabgesang eines Woodstock-Veteranen.

Kai schmunzelt. „Es ist sehr pathetisch, ich weiß, aber ehrlich. Ich habe wirklich ein Jahr lang nur Linsensuppe gegessen und Leberkäse mit Spiegelei. Wir können alle nicht besonders gut von der Musik leben, aber es gibt immer wieder Leute, die von unserer Band angesteckt werden und uns weiterhelfen, so wie Jim oder Ed Mann.“

Der Zappa-Percussionist hat Fury In The Siaughterhouse für einen Track ihrer weiten LP JAU! („Jau! ist ein Ausdruck für alles Gute im Leben.“! einen Tag im Studio ausgeholfen, gegen ganze hundert Mark. „Wenn wir ’ne Million Platten verkaufen, will er noch einen Schein, hat er gesagt. Das haben wir auch zugesagt – schließlich sind wir ja fair.“