Gebt den Affen Zucker – Brot und Spiele für müde Medien-Partner


Bestechung ist nicht erlaubt, aber einladen wird man ja wohl noch dürfen. So mir nichts dir nichts läßt sich das partymüde Journalistenvolk allerdings nicht auf die Beine bringen -— da muß sich die Plattenindustrie schon was einfallen lassen. Motto: Wenn nicht exotisch, dann wenigstens absurd. Wie dem überreizten Medienmenschen neue Produkte schmackhaft gemacht werden sollen, schildert Buffet-Schlachtenbummler Teddy Hoersch.

Der Volksmund formuliert treffend, was der Rock-Jetset ganz trefflich tut: Feste feiern, wie sie fallen.

Meistens fallen sie zeitlich zusammen mit einem Tournee-Ende, einer Goldverleihung oder einer Plattenveröffentlichung. Ob da nun Supertramp in den Orient-Expreß laden, um mit den reisefreudigen Medienleuten von Paris nach Venedig zu rollen, ob Queen in New Orleans eine gigantische Party mit stripfreudigen Transvestiten werfen, ob die Stranglers ihre Interviewpartner in Island empfangen, ob man die Journalisten auf Boote oder Bergspitzen schickt, in Strip-Schuppen oder in Fesselballons —- immer steht dahinter die Absicht, den zu bewerbenden Künstler mit der Aura des Besonderen, ja Einmaligen zu umgeben. Gebt den Affen Zucker!

Schon an der Höhe der getätigten Investitionen kann man ablesen, wie bedeutend und vielversprechend die jeweilige Firma ihren jeweiligen Künstler einschätzt. Kommerzielle Anfänger werden sich in puncto Lokalität mit den Firmenbüros vor Ort und einem kalten Happen begnügen müssen. Der Mittelklasse-Interpret darf auf eine warme Essens-Variante hoffen, vielleicht sogar auf einen kleinen „Event“. (Im Fachchinesisch der Branche ein Ereignis, das die Journalisten erwartungsgemäß zu mehr als einer 10-Zeilen-Meldung veranlaßt.) Das schwerste Geschütz — und hier kommen die Top-Journalisten zu ihrem Recht — sind PR-Parties. Die kosten je nach Ambiente, Transport und Verpflegungs-Niveau bis zu einigen hunderttausend Mark.

Bei all seinen Attacken muß der PR-Manager mit einem Krebs der modernen Seele rechnen: dem Abstumpfungs-Faktor: Gerade der weit- und weitläufige „homo redaktoribus“ ist kaum mehr zu beeindrucken. Aus eben diesem Grunde denkt man sich auf Industrie-Seite immer neue Lustbarkeiten aus, wie z.B. den „Samba 1680“.

Diese denkwürdige Veranstaltung fand Anfang August statt. Man stelle sich folgende Szene vor: High Noon auf dem Kölner Neumarkt. Der Sonderwagen der Verkehrsbetriebe —- genannt Samba 1680 -— erwartet seine Gäste. Die PR-Damen der EMI Electrola kredenzen warmen Schaumwein, verteilen Küßchen und gackern aufgeregt in Erwartung ihrer Stars: Sigue Sigue Sputnik, die konkurrenzlosen Promotion-Genies dieses Jahres.

Wir haben die Ehre, die „fünfte Generation des Rock ’n‘ Roll“ nach Bonn West begleiten zu dürfen. Unmittelbarer Nutzen der einstündigen Fahrt entlang des Rheins: Man darf/ muß die Sigue Sigue-LP FLAUNT IT in voller Lautstärke und Länge über sich ergehen lassen.

Und prompt bringt ein Schlaumeier den Zweck dieser Reise-Übung auf den Punkt:

„Anders hätte man wohl keinen dazu veranlassen können, dieses Machwerk in einem durchzuhören. „

Aber die Tortur bringt auch andere Erkenntnisse: Später weiß man immerhin, daß Mastermind Tony James wirklich an die „Mega Media Manipulation“, die hausgemachte PR-Revolution, glaubt.

„In England“, so behauptet der SSS-Vordenker kühn, „fürchtet man uns, denn wir haben ganz neue Strategien entwickelt. Wir liefern nämlich nicht nur ein Produkt ab, wir sind das Produkt. Jeder Aspekt der Sputnik Corporation wird von uns selbst kontrolliert: Präsentation, Promotion, Marketing. Das ist heutzutage die halbe Miete.“

Nach einer knappen Stunde ist der Sputnik-Spuk vorbei — und ich habe von Tony James meine Lektion gelernt: „Promotion ist die Seele des Geschäfts. Ob man ein Instrument spielen kann oder nicht, das ist doch von nachgeordnetem Interesse. „Wie schon mein Onkel sagte: Junge, man kann Scheiße in Tütchen verkaufen. Man muß sie nur schön verpacken. “ Auf der Rückfahrt sind die nun voll informierten Journalisten unter sich. Man hat also Zeit und Muße. Gedanken auszutauschen und vielleicht sogar eigene PR-Pläne zu schmieden. Jochen Hülder, seines Zeichens auch Toten Hosen-Manager, möchte die nächste Single seiner Schützlinge in einem Düsseldorfer Stripladen präsentieren. Bei der Vorstellung von schummriger Rotlicht-Atmosphäre, Topless-Bedienung und der (zumindest theoretischen) Möglichkeit sexueller Gymnastik gerät er richtig ins Schwärmen. „Das Problem ist nur, die Gunstgewerbler sehen den Gag an der Sache nicht.“

Den zu finden, fallt auch wirklich manchmal schwer.

Immerhin muß man feststellen, daß kleinere Firmen mit begrenzten Werbe-Budgets oft mehr Phantasie entwickeln als die betuchten Konzerne. Der (finanziellen) Not gehorchend, entdecken sie Lokalitäten, die nicht unbedingt teuer, dafür aber oft um so reizvoller sind. Hage Hein, Manager und Vorsitzender der Firma „Shitmann & Blau“, schickte vor Jahren die bayrischen Dialekt-Rocker „Sigurd kämpft“ auf die Zugspitze, um sie dort vor versammelten Journalisten (und einigen entrüsteten Schmalspur-Louis-Trenkern) live auftreten zu lassen.

Womit nicht gesagt sein soll, daß PR-Phantasie ausschließlich auf die Winz-Firmen beschränkt ist. Die großen können das durchaus auch.

Nehmen wir noch einmal Sigue Sigue-Sputnik: Ursprünglich stand zur Diskussion, zu einer Havel- und Spree-Bootsfahrt einzuladen. Clou daran: Man wollte in russische Hoheitsgewässer tuckern, wäre festgenommen worden, hätte diplomatische Verwicklungen verursacht, die Nacht bei Brot und Wasser im Spandauer Gefängnis zugebracht und vielleicht sogar den 3. Weltkrieg angezettelt.

Wo sich die einen in bizarren Phantasien vom Promotion-Overkill ergehen, begnügen sich andere mit netten Familienausflügen. Die Erste Allgemeine Verunsicherung etwa lud zum Spaziergang auf eine bayrische Alm ein. Bei Radi und Brotzeit konnte man anschließend entspannt über das neue Album plaudern.

Noch ruhiger war’s in dem Fesselballon, mit dem sich NDW-Sänger Markus samt schwindelfreien Journalisten in die Lüfte erhob. Yellos Plan, ihre neue LP im Flugzeug vorzustellen, das ständig über Zürich kreisen sollte, scheiterte allerdings am Veto ihrer Plattenfirma. Die Kosten waren — angesichts der zu erwartenden Einnahmen — einfach zu hoch.

Von Einfallsreichtum zeugen auch PR-Feldzüge von Supertramp. Am Tag der weltweiten Veröffentlichung ihrer LP BREAKFAST IN AMERICA belieferte ein internationaler Party-Service die sogenannten „key media people“ mit einem amerikanischen Frühstück.

Für die im Mai 1985 erschienene LP BROTHER WHERE YOU BOUND zog es Supertramp in nostalgische Fernen. Man lud zu einem PR-Trip im Orient-Expreß, der Band und Anhang auf seiner teuren Route von Paris nach Venedig aufnahm. Doch was in goldenen Zeiten als touristisches Sahnehäubchen galt, entpuppte sich im Jet Age als ziemlich unkomfortabel: Die edlen, holzvertäfelten Abteile waren fürs Blumenpflück-Tempo gebaut. Umgerüstet für die zeitgenössische Schienenbreite, rüttelte es im Gebälk, daß sich so mancher Journalist ins heimische Federbett sehnte.

Und daß Züge keine unabhängige Stromversorgung besitzen, hatte natürlich vorher auch keiner bedacht: Als man die LP per Tonband vorstellen wollte, war auf einmal der Saft weg. Ein unschuldiges Signal in der oberitalienischen Tiefebene brachte nicht nur Zug und Strom, sondern auch die großangelegte Präsentation zu einem plötzlichen Halt. Daß es dann auch noch in Venedig vom Himmel hoch regnete, konnte da kaum noch überraschen.

Weniger Probleme mit dem Wetter hatten CBS-Manager, die im kalifornischen Santa Monica eine große Beach Party veranstalteten. Feuerschlucker, Gaukler, Illusionisten sorgten für Kurzweil — und wer genau hinschaute, konnte unter den 1000 Medienleuten Showgrößen wie Springsteen, Barbra Streisand oder Neil Diamond entdecken.

Schon die Römer haben gewußt, wonach das darbende (Journalisten-) Volk verlangt: panem et circenses, Brot und Spiele. Und richtig: Es gibt immer was zu essen. Was wechselt, sind die Lokalitäten.

So präsentierten die Schwermetaller Iron Maiden eine neue LP auf einem britischen Kriegsschiff. Eleganter ließen es Orchestral Manoeuvres angehen. Sie mischten sich — ganz britisch — unters reitbegeisterte Völkchen von Windsor. Die Pogues wiederum verrichteten ihre Öffentlichkeitsarbeit als Piraten und stachen in See, ELO spielten Stars in der Manege. Was für ein Zirkus!

In puncto Promotion sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Anlässe und Aufhänger bieten sich immer — und wenn nicht, werden sie eben geschaffen. Allein der Geldbeutel hält da allzu hochfliegende Pläne auf dem Boden der Wirklichkeit zurück. 120 internationale Journalisten zu einem Springsteen-Konzert nach London zu düsen (so geschehen 1975), dürfte heutzutage von allen Plattenfirmen als indiskutabel und unfinanzierbar abgelehnt werden.

Bleiben also die Lokalitäten mit halbwegs finanzierbarem Flair: Wenn sich Queen im Pariser Alcazar fürstlich breitmachen, wenn Paul McCartney seine Wings für LONDON TOWN auf einem Boot unter der London Bridge vorbeifahren läßt, wenn die Stranglers für AURAL SCULPTURE jedes Besucher-Ohr fotografieren, dann mag man zwischen Produkt, Person und Party noch einen Zusammenhang herstellen.

Wenn aber musikalische Dünnbrettbohrer mit umgekehrt proportionalem Werbeaufwand in den Pop-Himmel gehievt werden sollen, hilft nur Geduld und ein Lied:

„There’s no business like showbusiness…“