Gefühls Gewühl


Nikolai ist der Märchenprinz aus der Musik-Provinz: Von Mönchengladbach kommend, schwingt sich der Sanges-Recke auf zum Kampf für den ungehinderten Tränenfluß. Bei seiner Band Poems For Laila darf wieder gekuschelt werden, notfalls bis zur Melancholik. ME/ Sounds-Mitarbeiter Christoph Becker ordnete das Gefühls-Gewühl.

Nikolai Tomas ist nicht nur der Sänger und Songschreiber, sieht nicht nur aus wie ein Märchenprinz und trägt gern Rüschenhemden — nein, er kommt auch aus Reit, einem kleinen Kaff in der Nähe von Mönchengladbach. Seit friihester Jugend ist er Anhänger der Borussia und seit Jahren stolzer Besitzer eines Original-Autogramms von Günther Netzer. Logisch, daß dieser Mann gute Musik macht.

Ähnlich wie die einst erfolgreiche, meist aber finanzschwache Elf, lebt Tomas von der Romantik und ihrem großen Bruder, der Melancholie. Ja, sie waren mal verdammt gut“, lächelt Nikolai bitter. „Und irgendwann, da bin ich mir ganz sicher, werden sie auch nochmal Meister.“ Man wird ja wohl noch mal träumen dürfen.

Träume, Phantasie, Melancholie. Mit nichts anderem beschäftigt er sich sowieso. Tomas hat die Romantik zum Beruf gemacht. Er schreibt und singt Songs. Songs, die voll ungewöhnlicher Einflüsse stecken: Harmonien, die an ungarische Tänze erinnern; ein Schuß Rockabilly; Balladen, wie sie auch der beste Bänkelsänger nicht gefühlvoller hätte singen können. Seine Songs sind nicht cool oder abgeklärt, nicht belehrend und ganz und gar nicht objektiv. Wenn Nikolai singt, überschlägt sich schon mal seine Stimme, kullern die Worte durcheinander. Doch immer gelingt es ihm, seine Stimmung in Töne zu bannen. „£s muß einem doch nicht peinlich sein, seine Gefühle zu zeigen. Wir sind diese Ehrlichkeit nicht mehr gewöhnt, können uns gar nicht mehr unverstellt geben. Ich finde es wunderbar, wenn mir bei einem ergreifenden Stück die Tränen kommen.“

Tomas blickt gerührt ins Kaminfeuer des Studios „Miraval“ in Südfrankreich. Hier, auf dem Land zwischen Avignon und Marseille, entsteht das zweite Album der Berliner Band, ihr Debüt beim Major-Label Polvdor.

„Natürlich ist es eine Umgewöhnung. Das Budget steigt, wir können in einem Studio in der Provence aufnehmen. Trotzdem geht natürlich ein bißchen von der Unschuld verloren. An unsere erste Platte („Another Poem For The 2Oth Century“) gab es kaum kommerzielle Ansprüche. Jetzt geht es um mehr. Mehr Geld, mehr Erwartungen, mehr Publikum. Doch das wollten wir ja. Wir wollten eine breite Öffentlichkeit. „

Dabei hat die Gruppe Glück mit ihrer Plattenfirma. Die deutsche Polvdor hat mit der Abteilung „Progressive Music“ einen Ableger geschaffen, der sich nur um deutsche Produkte kümmert. Und bemerkenswert erfolgreich, wie sich an Jeremy Days, Phillip Boa oder Westbam zeigte. Immerhin hatten die Berliner auch ein verlockendes Angebot (über zwei Millionen Mark) von EMl/Electrola. Doch anstatt den Sprung ins Geldbad zu wagen, zogen sie eine vorsichtige Aufbauarbeit vor.

Diesen Weg. nämlich das Vermeiden überstürzter Entscheidungen, ist die Band seit ihrer Entstehung im Februar ’88 gegangen: Tomas hatte zuvor sein Geld als Straßenmusiker sowie als musikalisches Highlight auf langweiligen Vernissagen verdient. Als er Roy Eisenberg kennenlernte, der nach einem Amsterdam-Trip als Rockabilly-Gitarrist in Berlin gestrandet war. entstand die Idee für Poems For Laila. Schließlich fanden sich auch Bassist Speedy J. Sheppard. ein Meister des gestrichenen Kontrabasses, sowie Drummer Nils Arndt ein. Zuletzt stieß Sängerin Melissa Lou dazu: sie ist Kalifomierin und mit einer wunderbar sanften Stimme sowie reichlich Energie gesegnet, die sich auf der Bühne mitunter in wilden Tänzen entlädt.

Der Name Poems For Laila fiel Nikolai so will es zumindest die Legende — im Traum ein: Laila kommt aus dem Arabischen und heißt „Die Nächtliche“. Poems For Laila sind also Nachtgedichte, und natürlich ist dieser Name Programm. „Für mich“, erklärt Nikolai, „bietet die Nacht immernoch Mysterien, die es zu besingen gilt. In der Nacht hat die Phantasie freies Spiel.“

Die Nächte im Miraval-Studio sind allerdings weder mystisch noch phantastisch, sondern einfach bloß hundekalt. Doch Poems For Laila haben bewußt ein Studio gewählt, das weit weg von allen Ablenkungen liegt. „Wir sind eine relativ junge Band und haben noch nicht besonders viel Erfahrung im Studio sammeln können. Deshalb war es uns besonders wichtig, Zeil zu haben und konzentriert arbeiten zu können.“

Nun ist das Miraval keineswegs ein obskures Studio jenseits der sieben Berge. Immerhin sind hier schon „The Wall“ von Pink Floyd sowie diverse Alben von Cure, Sade, den Go-Betweens und ÜB 40 entstanden. Der Komplex, ein ehemaliger Gutshof, gehört Jacques Loussier, jenem miesepetrig dreinblickenden Franzosen, der auf seiner Orgel J. S. Bach und andere Klassiker vergewaltigt. Trotzdem liebt Produzent Dave Allen dieses Studio. Als Ende letzten Jahres feststand, daß er Poems For Laila produzieren würde, hatte er Band und Plattenfirma von den Qualitäten des Studios überzeugt. „Es ist für mich immer ein Wagnis, mit einer tungen Band zu arbeilen“, bemerkt Produzent Allen. „Doch zum einen gefallen mir ihre Songs, und zum anderen haben sie einen eigenen Stil: Diese Mischung aus östlicher Folklore und Rock ’n Roll ist einzigartig.“

Poems For Laila setzen mit ihrem Album LA FILLETTE TRISTE (..Das traurige Mädchen“) zum ersten großen Karrieresprung an. Das Ziel ist klar und überhaupt nicht traurig. Nikolai: „Wir wollen mit unseren Songs möglichst viele Menschen erreichen. Das ist unser nächstes Ziel. „

Zu romantisch? Das ist wohl wahr. Und genau deshalb wird es dann wohl auch klappen.