Götz George: „…und gelegentlich ’nen Steh-Fick“


1985: Götz George spielt seit vier Jahren den Kult-Kommissar Horst Schimanski und hat eine ungeheure Popularität erreicht. Weil er gröber ist als seine Kollegen, weil er offen vom Ficken redet und wie ein Proll aussieht. Musikexpress-Autor Jürgen Stark hat George damals einen Besuch abgestattet.

Eine Begegnung der subversiven Art: „Götz George liest Charles Bukowski“. Ein ausgeflippter Bulle trägt die Anarcho-Lyrik eines versoffenen Zynikers vor.

Schimanski hat Schuld. Götz Georges krasse Rolle als unkonventionell ermittelnder „Tatort“-Kommissar lässt keinen anderen Blickwinkel zu: Georges Horst Schimanski. Ein breitschultriger Haudegen und Charmeur, ein selbstbewusster Individualist, – zum Vergnügen der Zuschauer – Dienstvorschrift und Etikette kalt lächelnd ignoriert.

Götz George ist tot
Schon durch die schauspielernden Eltern war ihm die spätere Profession in die Wiege gelegt worden. Als Sohn des berühmten Vaters Heinrich George und der nicht minder renommierten Mutter Berta Drews wurde er bereits im zarten Alter von 11 Jahren auf die Bühne des Berliner Hebbeltheaters geführt. Als Schüler debütierte er im Kinofilm „Wenn der weiße Flieder wieder blüht“.

Es folgten Abitur und Schauspielschule. Er arbeitete in Theaterproduktionen, gehörte zum Ensemble des Göttinqer Theaters. Schnell spielte er sich in die vorderen Reihen des Schauspielgenres. Doch dann folgte eine langanhaltende Leinwand-Abstinenz. Sechs Jahre waren verstrichen, bis kürzlich mit „Abwärts“ wieder eine Produktion in die Kinos kam. Sollte dieses Projekt durch die „Schimanski-Popularität“ begünstigt worden sein…?

Der Gedanke ist ihm offensichtlich nicht sympathisch: „Früher kamen bei Theatertourneen 200 bis 300 Leute. Heute sind es gelegentlich schon mal 3000. Und da fängt man automatisch an, sich über diese Entwicklung auch kritische Gedanken zu machen.“

Seit mehreren Wochen tourt George nun schon mit der Theaterproduktion „Die Macht des Geldes“ durch deutsche Lande und erfährt dabei Abend für Abend wachsenden Zuspruch. Zweifelsfrei lockt George heute viele Besucher, die vorrangig „ihren“ Krimihelden einmal in natura sehen möchten. Da fragt sich manch einer inzwischen, wie weit denn nun eigentlich Georges Identifikation mit der Schimanski-Rolle geht – wer spielt da eigentlich wen?

[facebooklikebox titletext=’Folgt uns auf Facebook!‘]

„So eine Figur wie den Schimanski, den spielst du ja nicht nur, den lebst du auch. Das ist Naturalismus ohne Verfremdung. Da ist für mich nicht die Frage, wie der Polizeiapparat funktioniert, sondern wie heute der Mensch als Beamter funktioniert. Und da kannst du nur von dir ausgehen, von deinen moralischen Gesetzen, deiner Flexibilität der Gesellschaft gegenüber. Ich bin da auf dem Trip, dass ich sage: Ich will den Mensch als Beamten so ehrlich wie möglich zeigen, mit all seiner Gebrochenheit, mit all seinem Humor und seinen Bestrebungen. Das ist kein Voyeurismus, sondern Realismus.“

Flexibel interpretiert George auch sein Künstler-Rollenverständnis. Vor mehr als vier Jahren, noch vor Beginn der ruhmreichen „Tatort“ -Epoche, nahm er sich als Rezitator den „Dirty Old Man“ Charles Bukowski zur Brust. Dieser Vortrag mit „Gedichten“, die einer schrieb, bevor er im achten Stockwerk aus dem Fenster sprang (Maro Verlag, verstaubte als wenig beachtete LP in den Regalen. Die Zeit war noch nicht reif.) Jetzt, auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Popularitätskurve, erschien ein Remake angemessen. Mit neuer, modernerer musikalischer Untermalung, die stimmungsvoll die Texte unterstreicht, wurde nun wiederveröffentlicht. Dabei ist Bukowski als Kultfigur doch längst out. Was veranlasste George also zur Wiederveröffentlichung?

„Einem verdienten Mann Schützenhilfe zu geben, war nie schlecht. Ich meine, der Bukowski ist auch ’ne zeitlose Type, die kann man immer wiederbeleben – wie oft wurden Goethe, Schiller oder Villon schon wiederbelebt… Im Amerika der 60er und 70er Jahre, da war er eine Kultfigur, die man brauchte. Solche Leute haben aber immer eine Gültigkeit, weil sie das Leben genauso sehen, wie es ist und das verbindet mich eben mit ihm. Bukowski gehört ja hauptsächlich in die Kreise der Arbeiterjugend. Dieser Gruppe sollte man ihn eben durch solch eine Platte nahebringen. Und da ich momentan gerade bei Jugendlichen ’ne gewisse Popularität habe, wurde beschlossen, die Platte neu aufzulegen.

Götz George ist im Alter von 77 Jahren verstorben.
Götz George ist im Alter von 77 Jahren verstorben.

Die Wahlverwandtschaft zwischen einem, der sich – zumindest auf dem Bildschirm – gern als enfant terrible gebärdet und einem, der sich gern als Outlaw der US-Literaturszene sieht, ist unübersehbar. Und Provokation scheint für George ein beliebtes Stilmittel zu sein. Beim Stichwort „Moral“ kommt er in Fahrt: „Viele sagen, sie fanden das grauenvoll – so sieht ein deutscher Beamter doch nicht aus… Ich sage dagegen: So sollte ein deutscher Beamter aber aussehen, dargestellt in all seiner Widersprüchlichkeit… Man muss sich dabei vielleicht auch erstmal über den Begriff ,Moral‘ klar werden. Was ist Moral in Deutschland? Ich bekomme sofort Schwierigkeiten, wenn ich als Schimanski mal das Wort ,Scheiße‘ in den Mund nehme, aber erst recht bei dem Wort ,Ficken‘. Wir haben da so ’ne gewisse Hemmschwelle. ,Fuck‘ ist in Amerika ein ganz normaler Ausdruck. Ist doch auch schön, wenn man mal was ganz Natürliches ausspricht. Wo fängt bei uns überhaupt Moral an, wo hört sie auf..? Die KZs in Dachau und Auschwitz, die hatten doch auch etwas mit ,Moral‘ zu tun – aber das wird verdrängt. Und heute trauen wir uns nicht mal, das Wort,Ficken‘ auszusprechen. Ich bin da offener. Ich sage, das gehört zu unserem Leben – und deshalb sollten wir das eigentlich auch ganz natürlich behandeln …“

Doch zurück zu Bukowski: „Bukowski hat ’ne gewisse Lebenserfahrung und ist dadurch gültig. Er ist ja auch nicht einseitig. Er ist weder ein Frauenfreund, noch ein Frauenhasser: Er geht verhältnismäßig offen mit dieser Frage um. Das berührt mich und hat auch etwas mit mir zu tun. Ich versuche ihn auch so objektiv wie möglich zu sehen: in seiner Moral, in seinem Leben, in der Zweierbeziehung und in seiner Art, sein Volk zu durchleuchten.“

In einer der letzten „Tatort“-Folgen war die George/Schimanski-Philosophie dominierender denn je: Es kam zu einer aufschlussreichen Konfrontation zwischen dem Nonkonformisten Schimanski und dem offenkundigen Mangel an Individualität, der den gleichgeschalteten Mitgliedern der Psycho- und Religionssekten wohl gemeinsam ist…

„Ja, da trifft der unkonventionelle Bulle auf die Situation dieser Gleichmacherei der Sekten. Darüber wissen in Deutschland vielleicht gerade 20 Prozent der Leute Bescheid. Da muss ich natürlich vermitteln. Ich bin da der Normalbürger, der Ruhrkumpel, der mit Unverständnis und Kopf schütteln reagiert. Genau das reflektiert der Schimanski. Bei den Dreharbeiten hatten wir anfangs auch prompt Sektenmitglieder dabei, die eingeschleust worden waren, um vor Ort zu überprüfen, ob sie juristisch irgendwas gegen die Ausstrahlung der Sendung unternehmen konnten… Die haben wir aber schnell erkannt und rausgeschmissen – die fragen und grinsen immer so merkwürdig…“

ARD