Gottes Ghetto Blaster


Zehn Jahre nach Bob Marleys Tod herrscht seine Witwe Rita mit sanfter Hand über ein verzweigtes Imperium. ME/Sounds-Mitarbeiterin Anette König recherchierte in Kinoston.

Kingston, Pegasus Hotel, Zimmer 117 — eines von mehreren Büros der „Black Powers-Frau Rita Marley. Ein Bodyguard, kaum 18 Jahre alt, der Sohn eines Weggefährten von Bob Marley, spielt den Zerberus. Rita öffnet, mollig, herzlich und strahlend, umgeben von einer Wolke aus Weihrauch, der den ganzen Raum mit seinem süßen Duft schwängert. Darin eingehüllt ein Gewimmel von Freunden und Mitarbeitern, überall sich stapelnde Unterlagen und ein notorisch schrillendes Telefon.

Ziggy Marley ist gerade von einer sechsmonatigen US-Tour zurück. Tage und Nächte war er mit seinen ^Meiody Makers“ (zu denen auch die Schwestern Sedelia und Sharon gehören) im Tourbus der Band unterwegs. Und jetzt? Endlich zuhause, endlich in Kingston. Dort wo die Wurzeln des Marley-Clans in der karibischen Erde verankert sind wie die eines alten, mächtigen Brotfruchtbaums. Auch wenn Ziggy sagt: „Ich lebe nicht in Kingston. Ich lebe auf Erden!“

Das erste, was er nach langer Abwesenheit von zuhause — Verzeihung, von Kingston — tut, ist Fußball spielen. Wie früher, als er mit den Jungs vom „Kingston College Football Team“ zum x-ten Male ungeschlagen den Meistertitel verteidigte. „Fahrt nach Trenchtown, in die First Street und fragt nach Tata“, rät Rita. „Wo er ist, kann Ziggy nicht weit sein.“

Doch so einfach ist es nicht. Allein ein Taxi zu finden, das sich in die Slums von Trenchtown wagt, gleicht der Suche nach der berühmten Stecknadel. Andererseits wirkt die bloße Erwähnung des Namens Marley auf Jamaika wie eine Zauberformel. Bob Marley ist hier mehr als nur der King von Kingston: Sein Bild schmückt die Wellblechhütten im Ex-Hippie-Dorado Negril, in denen die Rastas „iutlethiopian high power healthfood“ verkaufen. Es ziert die bunten Holzboote der Fischer von Boston Bay, die Neon-Theke der inselbesten Reggae-Disco „Roof Club“ und die Kaimauern im Hafen von Kingston. Bob Marley ist allgegenwärtig.

Und Ziggy? Gottessohn oder eher ein scheuer, 22jähriger Rasta, der Jam-Sessions in Garagen liebt, stundenlanges Dominospiel in den Buden von Barbicane. Nächte bei seiner Freundin und Sonntage auf dem Fußballplatz? In Trenchtown darf er er selbst sein. Ziggy — und nicht Bobs Sohn — kickt hier mit seinen Freunden aus den Slums in staubigem Fußballertrikot aufs Tor. Und die Botschaft verbreitet sich wie ein Lauffeuer: „Ziggy ist wieder da!“

Ein Pulk von Kindern umringt am Spielfeldrand den Rollstuhl des alten Tata. Der greise Rastaman mit den verfilzten Dreadlocks. dem lückenhaften Gebiß und den blutunterlaufenen Augen ersetzt allen Kindern von Trenchtown den Großvater. Und er ist noch mehr. Als Bob Marley aus den Dörfern von St. Anns nach Kingston kam, mittellos und mit nicht mehr als einer vagen Ahnung von seiner zukünftigen Musik, war es Tata. der ihn aufnahm wie einen Sohn. Bob schlief in seiner Küche und lernte von ihm das Gitarrespielen. Für Tata ist deshalb auch Ziggy wie sein Sohn.

Freilich, Ziggy lebt heute mit Mutter Rita und seinen Schwestern in einer feudalen Villa im Uptown-Viertel Jack’s Hill. Zum Fußballspiel kreuzt er mit Sky High auf, der schon Bobs Bodyguard war. Und mit BMW. Während Ziggy das Leder tritt, polieren die Kids ehrfurchtsvoll die silberne Karosse.

Doch an den gewachsenen Bindungen der Marleys zum Elendsviertel

Trenchtown ändert das nichts. Mit „No Woman No Cry“ machte Bob Trenchtown und seine Bewohner unsterblich. In diesem Song findet man sie alle wieder: den alten Tata, Jah Bobby. der seine Malerei den Marleys geweiht hat, dann Georgie, den Koch, den Bob wegen seines Porridge ins Herz schloß und der heute am Marley Museum den Gärtner mimt.

Überhaupt finden sich gegen Abend am Museum alle ein, die auf den Namen Marley ihre Existenz gegründet haben. Plaudernd vertreiben sie sich ihre Zeit auf der Eingangstreppe, unter den Akkeebäumen oder im Museumsbüro. So, als seien sie Bob hier näher. Noch nach seinem Tod stiftet er Gemeinschaft.

Für die Leute aus den Slums ist der Name Marley eine Metapher für Hoffnung; nicht von ungefähr steht sein Haus — das heutige Museum — an der Hope Road Denn Bob kämpfte sich aus der Gosse nach oben, ähnlich wie der junge Ivan im Film „The Härder They Come“. der den Reggae und die Kultur der Rastas in alle Welt trug.

Markus Garvey, geistiger Vater der Rastafaris, manifestierte in den 30er Jahren ihre Lehre auch politisch. Ein neuer Stolz auf die afrikanische Abstammung leitete Garveys Black-Power-Bewegung. König Haile Selassie von Äthiopien verkörpert Jehova oder — wie es in jamaikanischem Patois heißt: „Jah“. Selassies Symbol ist der Löwe. Und so wurde die Löwenmähne aus gedrehten Haarsträhnen — dreadlocks — äußeres Erkennungszeichen der Rastas. Der Stoff, aus dem ihre Träume sind (und den sie das „Gras der Weisheit“ nennen), ist das Ganja. Und ihre Musik ist der Reggae. Durch ihn wurde Bob Marley zum Propheten — und sogar zum Märtyrer, als er 1976 mit Rita und seinem Produzenten nur knapp einen Anschlag seiner politischen Gegner überlebte. Und schließlich wurde er zum Nationalhelden, als er im Februar 1981 an Krebs starb.

Bob ist tot – aber sanft ruht er nicht. Weil er als überzeugter Rasta den Tod nicht anerkannte, hinterließ er kein Testament. Und so ist der Nachlaß bis heute nicht hundertprozentig geregelt. Bobs Mutter, Cedella Booker, die in Miami lebt, seine Frau Rita und andere Mütter seiner Kinder, Chris Blackwell, der Boß von Island Reeords, und Bobs Partner Bunny Wailer lieferten sich jahrelang juristische Grabenkriege. 19 Anwälte und viele Gerichte in mehreren Ländern waren mit der Nachlaßverwaltung und der Aufteilung des Erbes beschäftigt. Immerhin ging es um rund 55 Millionen Mark. Mittlerweile hat man sich geeinigt, daß alle Ansprüche über eine Stiftung befriedigt werden sollen, die zunächst Chris Blackwell verwaltet. Nur Bobs Musiker sollen bei dieser Lösung leer ausgehen, obwohl sie früher sogar 50 Prozent der Tantiemen bekamen. Deshalb laufen von ihrer Seite noch mehrere Klagen. Bob ist tot. Es lebe der Clan.

Hauptsächlich schart er sich um die 4 1 jährige Rita Marley. Mit 1 9 begegnete sie Bob in Trenchtown. „Ich wollte als Sängerin Karriere machen, und da war es doch praktisch, wie ich dachte, einen Musiker als Freund zu haben. “ Das Eheleben der beiden begann mit einer winEigen blauen Bretterbude in Trenchtown, in der Bob und Rita Platten verkauften: „Wail’n Soufm Record Shop“. 18a Greenwich Parkroad. Dann kam die große Karriere — allerdings nicht für Rita. Bobs Ruhm und die Gebote des Rastafari verlangten von ihr, sich in jeder Hinsicht unterzuordnen. „Ich bekam Kinder und sah zu, wie die Mädchen, die Bob täglich zum Tee in der Hope Road empfing, ein- und ausgingen.“

Inzwischen aber ist Ritas Leben restlos ausgefüllt. Sie hat die Mutterrolle für Bobs elf Kinder (von sieben Frauen) übernommen, regiert mit sanfter Macht das Marley-Imperium und kann sogar ihre eigene Musikkarriere weiterverfolgen. Sie hält den Mythos „Bob Marley“ am Leben, vermarktet das Anti-Apartheid-Musical „Serafina“. ist die Seele des legendären „Tuff Gong Studios“, das Marley mit Bunny Wailer und Peter Tosh gründete — und dann managt Rita noch die Karrieren ihrer Kinder, allen voran Ziggy und seine „Meiody Makers“. Erst gestern aus den Staaten zurück, soll es schon morgen auf eine Anschlußtour durch die Karibik gehen. Rita organisiert: Flüge, Konzertmanagement, Interview, Crew und und und. Indessen drängelt ihr eigener Manager „NineV, weil die Aufnahme für ihre dritte LP beendet werden müssen. „SO MUCH THINGS TO SAY“ wird voraussichtlich der Titel sein. “ Und weil ich so viele Dinge zu sagen habe, schreibe ich jetzt ein Buch. Ober mein Leben mit Bob und mein Leben ohne ihn.“

Heute kennt jeder Rita als Business-Frau mit dem mädchenhaften Lächeln, dennoch energisch, dominant und — wenn es sein muß — unerbittlich. Noch vor zehn oder 15 Jahren wäre eine Frau als Herrscherin über das Marley-Imperium unvorstellbar gewesen. Die Power-Frau kichert: „Bob würde seinen Augen nicht trauen, wenn er mich so erleben könnte. “ Sie blickt an sich hinunter: himmelblaue Joggingschuhe, knallenge Leopardenhose, Häkelmütze und ein T-Shirt, von dem es schreit „Leave me alone!“

Die Spielregeln für Rasta und Reggae haben sich gewandelt. Ziggy erklärt das so:

„Mein Vater war das Alte Testament. Ich bin das Neue.“

Ziggy geht nicht mit politischem Engagement an die Öffentlichkeit wie das Lamm an die Schlachtbank. Er läßt sich nicht vereinnahmen wie Bob.

„Ich möchte die Leute zum Tanzen bringen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. „Gerade produziert er mit dem New Yorker „Soeial Consciousness“-Rapper KRS-One seine neue LP. In Nashville! Mit dem visionären Reggae, der seinen Vater zur Legende machte, wird das Album nicht mehr viel zu tun haben. Ziggy: „Musik ist wie Wasser. Es muß fließen.“ Seme beiden letzten Platten brachten ihm immerhin zwei Grammies ein. „Trotzdem“, so bekennt er, ,ßlh mich das Musikgeschäft nicht aus. Ich strebe spirituelle Höhen an, möchte Gott Vater näher sein. Oft zieht es mich in die Berge; ich sitze dort stundenlang und meditiere. So lange, bis ich mich ßhle, als könnte ich Berge versetzen. Yeah, mohn, ein starkes Gefühl!“

Manchmal glaubt er, er hatte besser daran getan, in eine afrikanische Armee einzutreten oder einfach als Farmer und Familienvater zu leben. Ein Anfang ist immerhin gemacht: Ziggys Sohn David ist schon ein Jahr alt. Wird er einmal die Marley-Dynastie fortsetzen? Ziggy würde wahrscheinlich sagen, daß „Jah“ schon den richtigen Weg weist oder — auf gut jamaikanisch: „Me can’t teil. Cool mohn, soon come!“