„Gran Torino“ von Clint Eastwood


Clint Eastwood ist zur Zeit erfolgreich wie nie mit seinem neuesten Film "Gran Torino". ME-Leser Kai Wichelmann hat sich das Werk des Altmeisters genau angesehen. Achtung: Spoiler-Gefahr!

Nachdem Clint Eastwood in den letzen Jahren seinen Fokus auf die reine Regisseurarbeit legte, fungiert er nun in der Doppel- funktion und steht auch wieder selbst vor der Kamera. Clint Eastwood verkörpert die zentrale Figur in „Gran Torino“. Mit Walt Kowalski hat er einen komplexen Charakter erschaffen, der im Laufe des Films eine kathartische Wandlung erlebt. Dazu später mehr. Walt Kowalski ist ein Einzelgänger. Ein zerknirschter Kauz, voller Mißmut und Weltekel, der Prototyp des traumatisierten Korea-Veterans, der seine schlimmen Erlebnisse durch Verschlossenheit und Fremdenhaß zu kompensieren versucht. Kowalskis negative Selbstöffnung verleiht seiner Figur die Aura der unterschwelligen Bedrohung. Ein kochender Tank, bis zum Rand voll mit pathologischen Negativemotionen. Dies macht ihn zum isolierten Grantler, unfähig anderen Menschen zu vertrauen und dadurch nicht in der Lage, verstärkende Situationen zu erleben, die seinem Außenseitertum entgegen wirken würden. Kowalskis Einteilung in Gut und Böse, seine penibel geordnete Handwerker- bank, all das sind Versuche, dem Chaos der Psyche zu entkommen. Grandios untermauert wird die Authenzität Kowalskis durch Eastwoods intensives Spiel.Die Handlung setzt an in der Kirche, dem Ort, wo Kowalskis Frau die letzte Ehre erwiesen wird. Schnell wird deutlich, dass die Beziehung zu seiner Familie, insbesondere zu seinen Söhnen, ebenso distanziert wie zerrüttet ist. Selbst seinen potentiell engsten Vertrauten bringt Kowalski Ablehnung entgegen. Als Hmong, ein indigenes Volk Ostasiens, zu seinen Nachbarn werden, keimen seine rassistischen Vorurteile erstmals richtig auf. Mit Skepsis und Unbehagen verfolgt Kowalski die Gegebenheiten auf dem Nachbargrundstück. Thao ist der jüngste Sohn der Vang Lor-Familie, der zunehmend unfreiwillig in die Fänge einer Jugendgang gerät, die von seinem Cousin angeführt wird. Diese durch Machismo geprägte Gemeinschaft hat wenig Verständnis für die „Frauenarbeiten“, die Thao in seiner Familie ausführen muss. Thao gerät in den Sog der Gang, ohne es zu wollen. Als Initiationsritus soll Thao den Wagen von Kowalski, einen Ford Gran Tarino, stehlen. Kowalski ertappt Thao und jagt ihn aus der Garage. Als er dann später einen Übergriff auf Sue (Thaos Mutter) verhindert, wird Kowalski tiefe Dankbarkeit entgegen gebracht. Dieser reagiert irritiert auf die Geschenke, die ihm von seinen asiatischen Nachbarn zu Teil werden. Thaos Familie lädt Kowalski zu einer Familienfeier ein. Dort hat die Wandlung Kowalskis ihren Ursprung. Ein Schamane versucht sich an der Analyse von Kawalskis Person und trifft vollends ins Schwarze. Dies reißt bei Kowalski alte Wunden auf, die Dämonen der Vergangenheit sind plötzlich wieder omnipräsent. Kowalski gerät erstmals ins Reflektieren über sein eigenes intolerantes und vorurteilsgeprägtes Verhalten. Doch vorerst bleibt es bei der vorsichtigen Annäherung an sein eigenes Ich. Als Strafe für sein unfreiwilliges Handeln soll Thao im Garten aushelfen. Im Stile eines Großgrundbesitzers lässt Kowalski Thao für sich arbeiten. Trotz des harten Regiments findet eine Annäherung der beiden statt. Aus einem nachbarlichen Zweck- verhältnis hat sich eine menschliche Ebene entwickelt, die für beide sinnvoll erscheint. Thao ist fasziniert von Kowalskis handwerklichem Können, währendessen Kowalski selbst Freude daran entwickelt, Thao anzuleiten, etwas preiszugeben, seine Verschlossenheit zu sekundarisieren. Dass der Austausch mit Thao Früchte trägt, wird symbolisch durch ein Telefongespräch untermauert. „Wie geht es dir?“, fragt Kowalski seinen Sohn am Telefon. Die Gang wird für Thao zunehmend zur Belastung. Zu intelligent, um mitmachen zu wollen, zu hilflos, sich den Repressalien der Gruppe zu widersetzen. Als Thao im Zuge einer Auseinandersetzung verletzt wird, schreitet Kowalski ein und erledigt den Konflikt auf „seine Weise“. Zu diesem Zeitpunkt verändert sich der Film. Von der recht leicht bekömmlichen Vorstadtstudie, wird er in der Folge ernster und direkter. Durch Kowalski gewalttätiges Einschreiten befinden sich beide Parteien im Zyklus der Gewalt-Gegengewalt-Kette. Thaos Mutter wird durch die Gang arg zugerichtet, ein Schlüsselmoment, der Kowalski merken lässt, dass seine rektionären Konfliktlösungs- ansätze eine Situation heraufbeschwört haben, die nicht mehr kontrollierbar ist, die Angst schafft. Die letzte halbe Stunde des Films zeigt die Metamorphose Kowalskis. Ohne in Schwarz-weiß-Erklärungsansätze abzugleiten, zelebriert Eastwood die Veränderung Kowalskis, langsam und subtil, ohne die Grundstruktur seines Protagonisten zu verändern. Zwar bleibt dieser ein Grantler bis zum Ende des Filmes, doch zeigt sich zunehmend der weiche Kern, der lange Zeit fest von der harten Hülle im Zaum gehalten wurde.Thao ist paralysiert, als er seine Mutter in ihrem verletzten Zustand sieht. Blind vor Wut will er die Taten der Gang rächen, und erhofft sich Hilfe von Kowalski. Der erfahrene Haudegen Clint Eastwood schenkt nun dem Film und all denen, die seine Karriere über die Jahre in vielen Figuren verfolgt und lieben gelernt haben, ein Showdown mit starker Symbolkraft. Statt direkte Taten folgen zu lassen, überlegt Kowalski sein weiteres Handeln. Schließlich fährt er allein zum Grundstück der Gang. Zielgerichtet provoziert er die Gangmitglieder, deutet dann den Griff zur nicht vorhandenen Pistole an, der die Mitglieder der Gang das Feuer eröffnen lässt. Kowalski stirbt im Kugelhagel und beendet so auf uneigennützige Weise die Atmosphäre der Angst. Durch sein Handeln kann Familie Lor wieder angstfrei leben.Abschließend ist festzustellen, dass der Film auf mehreren Ebenen funktioniert. Die stetige Spannung erhält er durch die genaue Fokussierung auf Kowalski. Da dessen Verwandlung zu keiner Zeit simpel dargestellt wird, weiß der Zuschauer bis zum Schluss nicht, welches Ende der Film haben wird. Gleichzeitig ist er auch Sozialstudie, und thematisiert die Aussichtslosigkeit vieler Immigrantengruppen auf Arbeit und soziale Sicherheit. Rassistische Ressentiments und deren Verurteilung sind ebenso Thema des Films wie die Sinnlosigkeit von Gewalt. „Gran Torino“ ist ein sehr stiller, genauer Film, der sich viel Zeit für die Beziehungen zwischen Menschen mit all ihren Irrungen und Wirrungen lässt. Dadurch vermag er aufzurütteln, denn er appelliert an die Reflektion und Analyse über eigene Taten und Fehler.

Kai Wichelmann – 23.03.2009