Haftbefehl & sein Drogenproblem: Wie mitschuldig sind Gesellschaft & System?
Haftbefehl spricht in seiner Doku offen über seine Drogensucht. Wie viel Schuld trägt auch die Gesellschaft und das System? Ein Blick auf Ursachen und Lösungen.
Die Ende Oktober veröffentlichte Dokumentation „Babo – Eine Haftbefehl-Story“ über Aykut Anhan, alias Haftbefehl, zeigt den Rapper ungeschönt in allen Lebenslagen. Offen spricht Aykut Anhan über seine Drogensucht, über Depressionen und den langen Kampf gegen innere Dämonen. Für diese Ehrlichkeit erhält er viel Lob – selten gewährt ein Künstler dieser Größe solch tiefe Einblicke in seine Abgründe.
Kindheit im Schatten von Armut und Verlust
Die Doku verdeutlicht, unter welchen schwierigen Umständen Haftbefehl aufwuchs: Armut, häusliche Gewalt und der frühe Tod seines Vaters prägten seine Kindheit. „Die Straße mein Lehrer, die Schule für’n Arsch“, rappt er in „1999 Pt. III“ – eine Zeile, die seine Jugend zusammenfasst. Früh musste er Verantwortung übernehmen, insbesondere für seinen jüngeren Bruder Cem, besser bekannt als Capo. Den Tod des Vaters trägt er bis heute mit sich – beim ersten Suizidversuch konnte er ihn noch retten, beim zweiten nicht, berichtet er in der Doku.
Öffentliche Debatte über Verantwortung
Auf TikTok und in Kommentarspalten wird nun hitzig über Schuld in Bezug auf seine Drogensucht und seine Verantwortung als Familienvater diskutiert. Viele schreiben: „Er ist selber schuld.“ Er müsse Verantwortung übernehmen – gegenüber seiner Familie, seiner Frau, seinen Kindern. „Wer Party machen kann, kann auch Ehemann sein“, heißt es dort. Andere widersprechen: Haftbefehl sei noch ein Kind gewesen, als er erstmals mit Drogen in Kontakt kam. In der Doku erzählt er, er habe aus Leichtsinn Kokain probiert, weil ihm Gras nicht gefiel. Viele erinnern daran, wie schwer es ist, allein aus einer Sucht herauszukommen. Zudem sei es vor allem für migrantische Familien oft besonders schwierig, über Gewalt oder Armut zu sprechen – aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung und den sozialpolitischen Folgen, heißt es in zahlreichen Kommentarspalten.
TikTok-Creatorin Nikolina Livabelle schildert ihre Meinung:
Gesellschaft oder Individuum – wer trägt die Schuld?
Auch politisch blieb die Doku nicht ohne Reaktion. Die Linken-Politikerin Mersedeh Ghazaei erklärte auf Instagram: „Das ist das Ergebnis einer Politik, die ganze Generationen aufgibt.“ Sie spricht von einem Versagen des Sozialstaats, systematischer Vernachlässigung und fordert gerechte Bildung sowie mehr Streetwork und Sozialarbeit. Andere sehen die Verantwortung klar bei Haftbefehl selbst. In der Doku berichten Sozialarbeiter, dass er Unterstützung erhielt – er war im Jugendzentrum aktiv, spielte acht Jahre Fußball bei den Offenbacher Kickers. „Er war gar nicht ausgegrenzt, sondern vielmehr integriert“, kommentiert Nutzerin JF.
Mersedeh Ghazaei positioniert sich auf Instagram mit einer starken Forderung an die Politik:
Ein Mensch zwischen Schuld und System
Am Ende bleibt das Bild eines Menschen, der an seiner eigenen Geschichte, seiner Umwelt und seiner Sucht zerbricht. Die Wahrheit liegt wohl zwischen all diesen Perspektiven – in einem Zusammenspiel aus persönlicher Verantwortung, gesellschaftlichem Versagen und einer Musikindustrie, die von Schmerz profitiert, solange er sich verkaufen lässt.


