Hanson


Nach drei Jahren müssen Hanson einen neuen Weg einschlagen: Das Album "This Time Around" soll beweisen, dass die drei Brüder eine Zukunft jenseits des Kinder- pop haben. Ein Blick hinter die Kulissen einer jungen Band, die jetzt erwachsen werden möchte.

ZAC VERSUCHT, ENTSPRNNT ZU BLEIBEN.

Penetrant ruft jemand seinen Namen, quer durch den Palmengarten des Four Seasons Hotels in Hollywood. Mal ein fragendes „Zac?“, dann ein zweisilbiges „Za-ac!“ Eigentlich nichts besonderes, ständig ruft ja irgendwer „Zac“, „Isaac“ oder „Taylor!“, wenn die drei Jungs von Hanson vor die Türe gehen. Selten genug allerdings ist es eine tiefe Männerstimme, die geduldig versucht, die Aufmerksamkeit der jungen Weltstars zu erregen. Die Band hat sich um einen Fotografen gruppiert und überlegt, wie man sich möglichst erwachsen ablichten lassen könnte. Irgendwann hat Zac Erbarmen und wendet den Kopf es ist schließlich sein Dad, der nicht locker lässt. Das ist offenbar das Signal, Walker Hanson setzt sich in Bewegung. Auf der Schulter trägt er eine silberne Sony-Kamera mit dickem Objektiv. Mit gebeugten Knien läuft er vorsichtig über den Rasen, eifrig bemüht, das runde Gesicht seines Sohnes nicht aus dem Sucher zu verlieren. Zentimeter vor der Kollision bremst Vater Hanson rapide ab, neigt die Linse und stellt schnelle Fragen. Zac (14) antwortet brav, während sich Dad bückt, nach vorne und hinten wiegt und ihn umkreist.

Als der Tanz vorbei ist, beschäftigt sich Walker fasziniert mit seiner Kamera, drückt Knöpfe und legt Schalterum. „Dad ist eine große Hilfe“, versichert Isaac (19). „Er unterstützt uns dabei, Entscheidungen zu treffen und ist überhaupt in alles involviert“. Nur mit Journalisten will Walker Hanson nichts zu tun haben. Fragezeichen am Ende von Sätzen schlagen ihn blitzartig in die Flucht. „Das können Sie gerne mit meinen Söhnen besprechen“, ist seine höfliche Standardantwort. Möglichst unsichtbar will er bleiben, in der Öffentlichkeit läßt er seine Buben von der Leine und stellt bedingungslos Hanson in den Mittelpunkt. Erst die Laboranalyse der Hanson-DNA verrät, dass Walker eine weitaus bedeutendere Rolle spielt, als zunächst ersichtlich: Der Amateurkameramann ist verborgener Fädenzieher, stummer Visionär – das Nervenzentrum eines llnterhaltungsirnperiums, das zu den erfolgreichsten unserer Zeit gehört. Im Sommer 1997 waren Hanson in Deutschland, England, Amerika und 22 anderen Chartlisten Nr. 1. Das Major-Debüt „Middle Of Nowhere“ war nach den LPs der Spiee Girls, Jewel, Puff Daddy und Garth Brooks mit 3,2 Millionen verkauften Scheiben unter den meistverkauften Alben des Jahres in den USA auf Platz fünf. All das – und noch unfassbar viel mehr – hat Walker mit seinen Kameras aufgezeichnet, jede Sekunde Hanson hat er festgehalten und archiviert, ohne Anzeichen von Müdigkeit. Diese für Familienmitglieder bisweilen etwas irritierende Angewohnheit erfüllt ihn so mit Stolz, dass er trotz aller Medienscheu gegenüber ME/Sounds erklärt: „Ich filme alles. Man weiß nie, wofür man es noch brauchen kann. Wissen Sie, die Hanson Dokumentation Tulsa, Tokyo & Middle Of Nowhere‘ (große Teile des dafür verwendeten Bildmaterials stammen von Vater Hanson, Anm.d.Red.) ist die meistverkaufte Rockdokumentation aller Zeiten.“

Walkers Lenden mögen es gewesen sein, die Isaac, Taylor und Zac gezeugt haben, doch Hanson ist eine Geburt seines Kopfes. Am Abendbrottisch, so erzählt man sich, hatte er Ende der 80er Jahre eine Eingebung, sah seine Söhne auf der Bühne stehen und Tausende jubelten ihnen zu. lind Tulsa liegt im „Bible-Belt“, in christlich-konservativem Klima gedeihen phantastische Träumereien prächtig zu unreflektierten Tatmotiven. Dazu kommt ein verlässliches Gespür im weltlichen Bereich. Walker war bis vor wenigen Jahren an einflussreicher Position im Ölgeschäft tätig – seine Heimatstadt in Oklahoma war 1920 noch „Oil Capital Of The World“. Heute „bestehen zwar noch die Kontakte zu ehemaligen Kollegen, aber ohne den ganzen Stress“, wie er sichtlich befreit berichtet. Beflügelt von der Vision, packte er seine Kinder, die bereits im vorpubertären Stadium recht ordentlich mehrstimmig singen konnten, stellte sie in schwarzen Anzügen auf den Jahrmarkt in Tulsa oder brachte sie als Attraktion zu Firmenfeiern. Jahrelang beeindruckten sie mit A-cappella-Versionen von „Summertime Blues“ und anderen Rock’n’Roll Standards, bis der Anwalt Christopher Sabec schließlich 1995 staunend sein Essen unterbrach, um die Jungs singen zu hören. Er unterschrieb als Manager und empfahl die jungen Talente bei zwölf Major-Labels, die alle dankend ablehnten. Erst Mercury Records hatte Interesse, und 24 Monate später gehörten Walkers Söhne zu den meistbekreischten Teenagern des Planeten.

Drei Jahre harter Arbeit liegen nun hinter der Hanson Familie, sie haben ordentlich kassiert. „Die Einnahmen werden bei uns dreigeteilt“, so Taylor (17), der es sich auf der gigantischen Kingsize-Matratze in einer Suite im Four Seasons bequem gemacht hat, während Zac und Isaac die Stühle daneben besetzen. „Irgendwann werden wir nicht mehr zusammen wohnen, dann brauchen wir sowieso getrennte Konten.“ Der Anteil ist bei allen drei identisch, da sie beschlossen haben, beim Songwriting keine kleinkarierten Unterschiede zu machen. „Hey! Ich habe die Bridge geschrieben, die ist viel wichtiger als der Song“, kaspert Zac dazwischen. „Der Song hat 400 Takte, die Einkommen müssen in 400 Teile geteilt werden!“ Isaac lächelt und schüttelt den Kopf: „Genau so was wollen wir vermeiden“.

DIE FHMILIE, DIE NEBEN DEN ELTERN WRLKER UND Diana aus vier Söhnen und drei Töchtern besteht, wird also jetzt von Hanson ernährt, und alle Beteiligten gehen mit dieser Aufgabe verantwortungsvoll um. Taylor vermutet, dass er eventuell zwar ungehindert auf seine Reichtümer zugreifen könnte, er sehe aber keinen Grund, das zu versuchen. Wie reich die Teenies im Augenblick genau sind, wissen sie selbst nicht. Sie beteuern lediglich, „some money“ gemacht zu haben, und blicken sich mit ungläubigen und ein bisschen schadenfreudigen Augen an, als ME/Sounds erwähnt, dass die Mitglieder von N’SYNC bei ihrer Trennung von Manager Lou Pearlman aufgrund unvorteilhafter Verträge gerade mal je 37.500 Dollar in ihren Sparbüchsen hauen. Im Gegensatz zu N’SYNC haben Zac, Isaac und Taylor aber in ihrem Manager Sabec einen Berater, der sich lediglich als Dienstleister versteht. Der gelernte Anwalt hat von Beginn an ausgehandelt, dass alle Verlagsrechte an Hanson-Songs bei den Jungs selbst liegen, was im Business keine Selbstverständlichkeit ist. Als „Entdecker“, der einen entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Buben geleistet hat, ist Sabec zwar theoretisch in einer ähnlich bedeutungsvollen Position, wie es Pearlman bei N’SYNC war, jedoch beteuert er, lediglich ein „Angestellter“ der Familie zu sein: „Ich arbeite für Hanson. Das ist eine komplett andere Situation. Die drei jungen Männer sind meine Bosse“. Dass die Verträge demnach einen im Geschäft üblichen 25-Prozent-Anteil für ihn vorsehen, will Sabec jedoch nicht bestätigen. „Das geht niemanden etwas an. Ich will lediglich betonen, dass ich Untergebener von Hanson bin“. Beim Thema Geld verlieren die Jungs sowieso relativ schnell das Interesse, es spielt in ihrem Leben noch keine große Rolle. Schon vor der märchenhaften Karriere waren die Hansons reich. „Wir gehen sehr konservativ mit Geld um. Wir brauchen nicht viel, und außerdem könnte es so schnell weg sein“, meint Isaac, „wenn du erst mal einen Porsche willst, dann hast du plötzlich kein Geld mehr auf der Bank, und das wäre dumm.“ In der Tat. I

Natürlich hat man seit 1997 alles getan, um den Sensationserfolg voll auszuschlachten. Mit gezieltem Marketing, jedoch ohne sich mit Hanson-Toilettenpapier, -Aftershave, -Barbies und sonstigem Unsinn lächerlich zu machen, hat man konzentriert und schnell das finanzielle Potenzial der Teenieband ausgeschöpft – ganz im Sinne von Mercury-Präsident Danny Goldberg, der im amerikanischen Spin-Magazin tönte: „Mit einer Band wie Hanson muss man den Auftritt orchestrieren: Hardcore-Marketing, Unsummen für Advertising ausgeben… Hanson sind nicht wie Jewel, die du über ein, zwei Jahre reifen lassen kannst.“ Bei näherer Betrachtung jedoch offenbart sich, dass Mercurys Firmenpolitik in Sachen Hanson keineswegs so kurzsichtig angelegt war, wie Goldbergs Statement vermuten ließe: Einen Vertrag über sechs Alben haben die Kinder im zarten Alter von 11, 14 und 16 seinerzeit bei dem 1-abel unterschrieben, das spricht für einiges Vertrauen. Die Verantwortung für das Gelingen trägt bei Mercury inzwischen A&R-Mann Jeff Fenster, der im April den Job von Steve Greenberg übernommen hat. „Ich denke, dass die Jungs extrem talentiert sind“, wägt er in seinem New Yorker Büro das Risiko der langfristigen Geschäftsbeziehung mit den jugendlichen Popstars ab. „Man muss bedenken, wie jung sie am Anfang waren. Wir sind uns einig, dass sie künstlerisch noch wachsen werden.“ Seit der Veröffentlichung von „Middle Of Nowhere“ hat sich die Familie übrigens elegant davor gedrückt, ein weiteres Studioalbum nachzulegen. Die vertraglichen Verpflichtungen wurden durch ein Live- und ein Weihnachtsalbum erfüllt. „Wir haben da ein bisschen getrickst“, grinst Taylor.

DOCH JETZT IST DIE SCHONZEIT ENDGÜLTIG UORBEI.

Die Hanson Familie ist bereit – wie am Computer „Alt“, „Steuerung“ und „Entfernen“ zu drücken, um das Unternehmen neu zu starten. Mit „This Time Around“, dem zweiten Studioalbum bei einer großen Plattenfirma (zwei eigenproduzierte LPs – 1995 und 1996 – wurden nur in verschwindend kleinen Auflagen gepresst), muss ein neuer Weg gefunden werden. Obwohl Hanson noch immer Superstars sind, ist die Band heute deutlich weniger ein unkritisch umjubeltes Phänomen als vielmehr eine junge Popband, die erst zeigen muss, ob sie als solche bestehen kann. Intern jedenfalls präsentiert sich das Trio stabil, von wirklich bedrohlichen Bruderkampfen ist nichts zu spüren: Isaac gibt sich in seiner Rolle als Ältester gelassen, erklärt oft einfache Sachverhalte einigermaßen ausführlich, wofür er ständig von Taylor unterbrochen wird. Der Sänger ist der eloquenteste, reißt meist das Wort an sich und spricht dann schnell und clever. Zac schweigt. Unter Strom gerät er immer dann, wenn sich die Chance bietet, Inhalte mit spontanen Theateraufführungen, gekoppelt mit oral generierten, teils bizarren Geräuschen verdeutlichen zu können. Dabei ist Zac mit einem durchaus ansprechenden Humor gesegnet: Während eines CNN-Interviews ’97 wandte er sich plötzlich zur Kamera und schrie „Helft uns! Unsere Eltern haben uns zu allem gezwungen!“.

Auch psychologisch halten die Teenager dem Druck erstaunlich problemlos stand – die gesunde Familie gibt enormen Halt. „Wenn Tausende von I-ans kreischen, dann geht es weniger um einen selbst als um die Position, in der man sich befindet“, analysiert Taylor präzise. „Steigt einem das zu Kopf, dann wird’s gefährlich, wenn der Rummel nachlässt“. Die Eltern achten auch darauf, die Kids täglich nicht allzu lang zu beanspruchen. Außer bei teuren Videodrehs – obwohl ein kalifornisches Gesetz verbietet, Jungendliche länger als fünf Stunden am Tag vor die Linse zu stellen. „Wir haben Wege gefunden, dieses Gesetz zu umgehen“, meint Taylor und lächelt abgeklärt. Eine Aussage, die seinen Manager und Anwalt Sabec in Panik versetzt. „Diese Information ist nicht korrekt“, beeilt er sich, klarzustellen. Durch die stets präsente Familie greift übrigens der Vorwurf der Kinderarbeit nicht: Nach Artikel 32.1 derUNICEF-Richtlinien müsste erst die „körperliche, geistige, seelische, sittliche oder soziale Entwicklung“ eines Minderjährigen behindert werden, um gegen Gesetzte zu verstoßen.

Und so hängt die Zukunft der Brüder davon ab, wie sie sich musikalisch entwickeln werden. Lind Entwicklung wird notwendig sein. Wie weit Hanson allerdings eine eigene Identität an den Tag legen dürfen, hängt auch von den Vorstellungen der Verantwortlichen bei ihrer Plattenfirma ab. Und nachdem die Jungs mit der Eigenkomposilion „MmmBop“ und dem neuen Album bewiesen haben, dass sie auch ohne Co-Autoren wie Desmond Child und Diane Warren (die bei „Middle Of Nowhere“ halfen) nette, eingängige, wenn auch unspeklakuläre Songs schreiben können, ist genau hier I lansons Achillesferse versteckt: Mercurys A&R-Mann Jeff Fenster mischt sich genauso konsequent in musikalische Detailfragen ein wie sein Vorgänger Greenberg. „Wegen meiner Arbeit für Britney Spears und die Backstreet Boys hab‘ ich einen bestimmten Ruf. Da ist es normal, dass die Jungs zuerst nervös waren“, gibt Fenster zu, meint aber: „Es es war eine natürliche Zusammenarbeit. Ein bisschen Führung hier und da, doch das meiste haben die Jungs selbst gemacht“. Isaac beklagt trotzdem, dass Fenster sich in die Aufnahmen eingemischt habe. Zudem hätten die Kids gerne mit Ric Ocasek als Produzent gearbeitet. Nach drei Songs jedoch entschied man jedoch „gemeinsam“, wie es Fenster ausdrückt, wieder Steve Lironi („Middle Of Nowhere“) zu verpflichten. Und obwohl Fenster beteuert, nicht nur Leidenschaft für Musik zu besitzen, sondern sogar Musik „zu träumen“, erzählt Isaac traurig und mit erstaunlichem Wissen über die 50er und 60er lahre: „Damals waren bei Plattenfirmen noch echte Musikliebhaber beschäftigt. Heute dagegen kommt jemand im Anzug und erzählt mir, ich sei nicht ‚Hanson‘ genug.“ Da schaltet sich Zac wieder ein: „Wer ist hier nicht Hanson genug? Ich bin nicht ich? Lass mich da kurz darüber nachdenken“.