Harald Schmidt


Abgehoben oder genial? Ist er 'Schmidteinander' oder 'Verstehen Sie Spaß?', seiner Zeit voraus oder nur ein opportunistischer Zyniker? Drastische Antworten von Deutschlands Vorzeige-Entertainer

Bavaria Fernsehstudios, München. Draußen schneit’s und auch drinnen ist die Stimmung nicht gerade auf einem Siedepunkt. Harald Schmidt -Markenzeichen Stoppelbart läßt der hektische Streß kalt. Während sich Promoter, Agenten und Visagisten um Zugang zum kühlsten aller Schwaben drängen, sitzt „Deutschlands zweitbester Selbstdarsteller“ (so ein ehemaliger Mitarbeiter von ‚Schmidteinander‘) in Hemdsärmeln inmitten des alltäglichen Chaos und überzieht die vorgegebene Gesprächsdauer um das Doppelte. Wenn Schmidt über Schmidt redet, bleibt das bekannt süffisante Lächeln in der Tasche.

ME/Sounds: Erreicht man eine gewisse Popularität, hat man es in Deutschland geschafft. Man bleibt immer im Geschäft. Beschäftigt Sie das, ein deutscher Fersehstarzu sein?

HS: Nein, aber ich sehe es auch so: Wenn man einen gewissen Punkt erreicht hat, ist man nicht mehr wegzukriegen. Es schwankt vielleicht mal ein bißchen, und es geht vielleicht auch mal weiter in kleineren Dimensionen, aber so richtig weg ist dann keiner mehr.

ME/Sounds: Sie machen auch Kabarett. Da ziehen Sie mehr vom Leder als bei ‚Verstehen Sie Spaß?‘. Ist das kein Zwiespalt?

HS: )a, es geht. Aber ich höre ja jetzt mit ‚Verstehen Sie Spaß‘ auf. Drei Jahre davon sind genug, weil ich auf meinen Kabarett-Tourneen merke, daß es für mich angenehmer ist, einfach rauszugehen und abzuziehen und das zu machen, was ich will. Bei ‚Verstehen Sie Spaß?‘ muß ich mich mäßigen. Es hat ganz gut geklappt dafür, daß ich zweigleisig fahre, aber auf Dauer gesehen, wäre mir die Einschränkung zu groß gewesen, die ich da auf mich hätte nehmen müssen. Ich habe kürzlich erst bei ‚Verstehen Sie Spaß‘ in Hof gemerkt, daß vieles nicht gar nicht kapiert wird von dem, was ich bringe, im Gegensatz zum Kabarett. Das Kabarettpublikum johlt, und in Hof ist die Nacht der toten Augen.

ME/Sounds: Haben Sie ein Beispiel dafür?

HS: Am Anfang sage ich, daß es heute viel um Richard Wagner geht. Und damit sich alle noch einmal an Wagners Haupthelden erinnern- hier nochmal die Fotos von Siegfried und Hagen. Bei Siegfried haben wir ein Foto von Siegfried von ‚Siegfried und Roy‘ gezeigt und bei Hagen ein Foto der Stadt Hagen in Westfalen. Da wußte ich schon vorher, daß das nicht zünden wird ¿ das hat mir gut gefallen – diese Totenstille in der Halle. Daß die Sendung ‚Verstehen Sie Spaß‘ heißt, ist ja etwas Kaputtes, denn es geht ja gar nicht darum, Spaß zu verstehen.

Es geht darum, daß diese Filme mit der versteckten Kamera gedreht werden und das irgendwelche Leute aus irgendwelchen Gründen lustig finden, aber mit Humor oder Ironie oder gar Sarkasmus hat das alles nichts zu tun. Die Sache wird schon tödlich ernst genommen – vor allem von den Zuschauern. Es muß auch sofort hinterher ein Ausgleich stattfinden. Wenn einer mit versteckter Kamera auf den Leim geführt wird, muß er sofort in den Arm genommen werden und hat zu bestätigen, daß er es ganz witzig fand. Das ist schon sehr deutsch.

ME/Sounds: Es darf eben nicht zu böse werden wie beim schwarzen englischen Humor?

HS: Also ich hatte da Filme, wo ich merkte, daß dem Opfer so richtig die Nerven flattern, und da habe ich nochmal richtig angezogen, inklusive Tränen bei den Opfern usw. Da kommt dann die große menschliche Betroffenheit, von wegen „Oh, das können wir nicht machen. Die arme Frau heult ja.“ Was soll auch die Frage: „Verstehen Sie Spaß?“ Wer versteht schon Spaß? Niemand – ich auch nicht. Entweder man hat einen sarkastischen Humor – aber das hat nichts mit Spaß verstehen zu tun, sondern das ist eine Abwehrwaffe – oder man geht halt bierernst durchs Leben.

ME/Sounds: Mit ihrer Art von Humor karikieren sie die Dummheit der Leute. Da kann man prima dummen, unterprivilegierten Leuten einen mitgeben, weil die Ihnen nicht gewachsen sind. Haben Sie manchmal moralische Bedenken im Sinne von „Den Witz verkneir ich mir, der geht zu sehr auf Kosten anderer“?

HS: Ein Brüller oder ein Lacher wird erbarmungslos gefeiert. Wo nehmen die UNO oder große Konzerne denn Rücksicht auf Unterprivilegierte? Ich bin doch ein Hofnarr, ein Witzeerzähler. Ich kann doch nicht sagen: „Okay, weil du zu der Verarschten des Systems gehörst…“, dann müßte ich aufhören, dann kann ich gar keinen Witz mehr machen. Also: Wenn ein Lacher sich anbietet, dann ist der fällig.

ME/Sounds: Ab Anfang 1996 machen Sie eine tägliche Late-Night-Talkshow bei SATi. In Amerika gibt es das seit Jahrzehnten. Bei uns wird es dem Publikum ohne gewachsene Tradition verabreicht. Ist das kein Problem?

HS: Zum Teil, aber es kann ja noch wachsen. Die neue Generation wird es von Kindesbeinen an sehen, das wandelt sich. Wer hätte vor Jahren gedacht, daß drei Daily Soaps funktionieren: ‚Marienhof‘, ‚Verbotene Liebe‘, ‚Gute Zeiten/Schlechte Zeiten‘? Natürlich ist das der perfekte Schwachsinn, aber es ist nicht un-unterhaltend. Das ist für mich Unterhaltung an sich. Ich kann mich darüber amüsieren, daß dieser Megaschwachsinn überhaupt gesendet wird und daß es die erste Serie mit sprechenden Rollkragenpullovern ist. Das wird gnadenlos viel geguckt – auch eine amerikanische Kiste. Es kommt alles hierher, was in Amerika stattfindet, und es geht rasend schneller.

ME/Sounds: Ist das nicht beunruhigend?

HS: Das interessiert mich nicht, das ist mit wurscht. Lesen Sie mal ein Interview mit dem Time/Warner-Boss, wie die global und vernetzt denken – Video, Computer, Pay-per-View, das Schlagwort von der Communication Highway das ist mit Milliarden Dollar beschlossen. Das kommt, das hält keiner mehr auf. Ich bin sowieso der Meinung, daß wir in die Richtung Vollverblödung gehen. Ich habe zwar kein besonderes gutes Abitur gemacht, aber ich weiß noch ungefähr, wer Kleist war, und ich glaube, ich könnte unter fünf Bildern einen Picasso herauserkennen. Das sind Vorausssetzungen, die können sie heute nicht mehr anlegen. Ich stelle fest, daß es immer dumpfer wird zieh“ dir die hohen Turnschuhe an, binde sie dir nicht zu, setze dir eine Baseballmütze auf, wo draufsteht ‚Miami Dolphins‘ oder ‚Chicago Bulls‘. Ich sehe irgendwelche dumpfen, kahlrasierten Birnen – nicht die Skins, sondern die modernen Kurzkahlbirnen, die mit riesigen Popcorntüten ins Kino reinstampfen und sage mir: „Zur Strafe komme ich abends ins Fernsehen!“ Die Leute haben den starken Wunsch, gesagt zu kriegen, wo’s langgeht. Das können sie beobachten bei den Urlaubern in den Clubs: Acht Uhr Früh