Hinter den Kulissen des Rockpalast


Zweimal im Jahr ist für Rockfans Nachtschicht angesagt. Auch wenn die WDR-Rock nacht in puncto Programm-Auswahl nicht unumstritten ist, bleibt das "TV-Woodstock" ein musikalisches Ereignis ersten Ranges. Als am 16. April die letzte lange Nacht über die Bühne ging, warf ME/Sounds einen Blick hinter die Kulissen.

Wir schreiben den 23. Juli 1977: die erste ARD-Rocknacht mit Roger Mc Guinn´s Thunderbird, Little Feat und Rory Gallagher. Daß dieses an sich epochale Ereignis keine scharf konturierten Erinnerungen bei mir hervorruft, ist sicher verzeihlich – mein Blick war für ganz andere Konturen geschärft. Sie hieß Ulrike – und irgendwann verzogen wir uns aus dem lärmenden Feten-Trubel, um händchenhaltend durch die nächtlichen Straßen zu laufen.

Ein anderer hilft dem Gedächtnis auf die Sprünge: Peter Rüchel, verantwortlicher Redakteur und Produzent des Rockpalasts: „Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in der Morgendämmerung mit diesem euphorischen Gefühl aus dem Ü-Wagen gefallen sind: Wir haben’s gebracht!

Das große Ereignis war zunächst nur ein Fantasieprodukt, als er mit Christian Wagner, dem Regisseur, eine Nacht im Büro hockte. Aber das „einfach nur mal so ramspinnen“ hatte Folgen: „Die Idee ließ mich die ganze Nacht nicht mehr los, und als ich am nächsten Morgen zum WDR fuhr, dachte ich mir: Warum eigentlich nicht?“

Obwohl der Rockpalast in Form von einer 30-Mmuten-Sendüng pro Monat damals nur ein Schattendasein auf dem dritten Kanal führte, hielt man Rüchel keineswegs für größenwahnsinnig, als er höheren Ortes den Plan einer sechsstündigen Eurovisionssendung vortrug.

Schnell einigt man sich darauf, die erste Rocknacht als Brücke zwischen regulärem Samstagabendprogramm und einem Muhammed-Ali-Boxkampf zu früher Morgenstunde ins Programm aufzunehmen.

Was sich allerdings ebenso schnell als Pferdefuß herausstellte. Peter Rüchel: „Ali boxte zwar, aber nur- wie die Kollegen von der Sportredaktion meinten – gegen Fallobst; es kam keine interessante Kampfkonstellation zusammen, so daß die Sache sich zusehends in die Länge zog, bis ich dachte: Jetzt muß etwas passieren, sonst wird die gute Idee sauer.“

An dieser Stelle des Gesprächs kommt Rücheis Sekretärin rem: „Heißt das hier-oder?“

Eins der größten Rockpalast-Tabus scheint in Gefahr – nur keine Gruppen verraten, bevor nicht alles unter Dach und Fach ist, und Peter Rüchel unterbricht die verdatterte Sekretärin: „Jetzt nenn‘ mal bloß keine Namen hier! Was ist denn das/“

Großes Ehrenwort darauf, daß ich schnellstens wieder vergesse, was meine unberufenen Ohren da aufgeschnappt haben.

Das wäre allerdings eine Gruppe, die manchen der Kritiker den Wind aus den Segel nähme, die sich auf das Rockpalast-Team als letzte Bastion des vermeintlichen Hippie-Unwesens eingeschossen haben.

Die meistgehaßte Musiksendung weit und breit zu machen, mag kein besonders schmeichelhaftes Prädikat sein, aber der Produzent gibt sich gelassen:

„Wir wären nie mit der Rocknacht bis zur Nummer 12 gekommen, wenn die Reaktion des Publikums nicht positiv wäre.

Richtig ist, daß wir nicht immer das Offensichtlichste gemacht haben, daß wir nicht das wiederholen, was überall schon läuft, daß wir uns auch nicht an den Charts orientieren. Aber man erreicht trotzdem sein Publikum (das im Durchschnitt immerhin aus gut 25 Millionen Zuschauern in ganz Europa besteht), wenn man sich eine Vertrauensbasis erarbeitet Dann sagen die Leute eben: .O.k., ich kenne King Sunny nicht, aber wenn die das machen, wird vielleicht was dran sein.‘ Auf der anderen Seite standen die Medien, die in den vergangenen zwei, drei Jahren allem hinterherliefen, was das Etikett NdW trug, und diese Entwicklung haben wir nicht nachvollzogen. Für uns hat nach wie vor Gültigkeit: Eine gute Live-Band ist eine gute Live-Band, egal welchem Stil sie zuzuordnen ist.

Rocknacht-Gäste wie Kid Creole oder Rick James und zuletzt natürlich Kevin Rowland, Joe Jackson und King Sunny machen es möglich, daß sich die entzweiten Fraktionen wieder die Hände reichen, eine Entwicklung, die auch zunehmenden Konsens im Hause Rüchel signalisiert – zwischen Vater (46) und Sohn (18). “ Wir haben einen sehr intensiven Austausch, oft natürlich auch absolut unterschiedliche Auffassungen, die sich aber an bestimmten Punkten erstaunlicherweise wieder treffen. Einig sind wir uns bei Joe Jackson, King Sunny, aber auch Leuten wie Michael Jackson: der letzte Rockact, auf den wir uns verständigen konnten, war Little Steven.“

Wer vom Rockpalast spricht, denkt an vier Leute: Alan Bangs, Albrecht Metzger, Peter Rüchel und Christian Wagner. Keine andere Musiksendung wird so stark mit den Personen identifiziert, die dahinterstehen, wobei man nicht die gut 200 Mitarbeiter vergessen darf, die für das Gelingen einer Rocknacht geradestehen.

Peter Rüchel, früher verantwortlicher ZDF-Redakteur für das Jugendmagazin „Direkt“, kam 1974 zum Kölner WDR. Christian Wagner, der eher publicityscheue und schweigsame Regisseur, kam gerade von der Münchener Filmhochschule – Abschlußarbeit über Kraan und Tim Hardm – als sich Rücheis und seine Wege kreuzten.

Der dritte im Bunde war Albrecht Metzger, ehemaliger Redakteur beim SDR und heute neben seiner Rockpalast-Arbeit Mitglied des „Rote Rübe“-Theaterkollektivs in Berlin.

An ihm macht sich wie an keinem zweiten die Haßliebe der Rocknacht-Gemeinde fest. Von den einen parodiert und verspottet, von den anderen geliebt, gehört sein legendärer Einleitungssatz einfach dazu.

„Dschörmen Telewischn prautli prisentz. ..“wichtiger noch als die Eurovisions-Fanfare, die hören wir ja schließlich bei der Eiskunstlauf-WM auch.

Als Letzter dazugestoßen ist Alan Bangs, der erst seit der dritten Rocknacht hinter dem Interview-Mikrofon steht. Wegen der internationalen Zuschauer-Beteiligung war eine zweisprachige Moderation dringend erforderlich.

Während Peter Rüchel immer noch das „gleiche Gefühl angenehmster Spannung“ vor jedem Festival verspürt, hat sich bei dem 3 ljähngen ehemaligen EMI-Electrola-Labelmanager eine gewisse Ernüchterung breitgemacht: „Wenn mir der Rockpalast keinen Spaß machen würde, wäre ich nicht dabei, aber es hat sich einiges verändert.

Ich erinnere mich an ein paar Nächte, wo es wirklich ganz toll war, z. B. bei J. Geüs, als ich mit Jörg Gülden und Te;a Schwaner (Die alte Garde vergangener Sounds-Tage) in der Halle Frisbee gespielt habe. Oder nach dem Mitch-Ryder-Konzert, als wir durch die Kneipen gezogen sind. Das sind Stimmungen, die gibt es heute kaum noch.

Ich habe manchmal den Eindruck, die Bands kommen inzwischen nur noch hierher, um geschäftsmäßig ihre Show abzuziehen, während wir früher die Tage wirklich gemeinsam verbracht haben. Die ganze Crew und alle Bands wohnen ja in der Rocknacht-Woche im selben Hotel in Essen.“

Wo Alan Bangs auch auf Joe Jackson traf: „Ich wollte mich mit ihm über das Interview in der Sendung unterhalten, aber er erklärte nur kategorisch: ,No interview. ‚ Hinterher habe ich mir überlegt, daß ich – verdammt nochmal viel zu nett zu ihm war Ich hätte ihm statt dessen sagen sollen: , Verpiß dich doch, wenn du so arrogant bist.“

Die meisten Interviews zwischen den Auftritten leiden ohnehin darunter, daß die meisten Musiker viel zu aufgedreht sind, um mehr als Oberflächlichkeit in ihren Statements zu verbreiten.

Viel interessanter wird es für den Zuschauer, wenn die Interviewpartner vorgegebene Pfade verlassen und ihre eigene Show inszenieren, bei Mitch Ryder z.B., der dem Interview mit Bemerkungen wie „Have you ever seen two dogs fuckmg in a street?“ eine ungewohnte Wendung gab.

Selbst für die routinierten Rockpalast-Profis brenzlig wurde es, nachdem Patti Smith und „ihre bedrohlich inkompetente Kapelle“ (O-Ton Sounds) das Publikum verunsichert hatte.

Alan Bangs: „Als sie plötzlich ausklinkte und mit ihrer Klarinette auf die Bühne wollte, bekam ich kein Wort mehr heraus. Sowas ist ganz selten, aber ich wußte überhaupt nicht mehr, was ich machen sollte.

Hinterher ist mir klargeworden, daß die Zuschauer in diesen Minuten viel mehr über Patti Smith erfahren haben als in jedem noch so schönen Interview.

Für die Bands hat ein Rocknacht-Auftritt den großen Reiz der Europa-Tournee in einer Nacht – jemand hat bei dem Police-Konzert ausgerechnet,

daß die Band 200 Jahre auf Tour gehen müßte, um dieselbe Zuschauerzahl zu erreichen.

Für die Zuschauer hat die Rocknacht den Reiz, gleichzeitig Beobachter der fast intimen Ereignisse hinter der Bühne zu sein und gleichzeitig einem echten Live-Konzert beiwohnen zu können.

Peter Rüchel: „An diesem Punkt die richtige Balance zu finden, daran haben wir lange gearbeitet. Unser Verständnis geht dahin, daß das Konzert für die 8000 Leute in der Grugahalle gemacht wird – und daß diese Leute keineswegs Statisten für ein Eurovisions-Spektakel sind.

Auf der anderen Seite ist es natürlich ein großes Femsehereigms, und die TV-Zuschauer erwarten, daß sie anständig bedient werden.

Dem persönlichen Kontakt zu den Rockpalast-Zuschauern mißt Peter Rüche! ganz besondere Bedeutung zu: „Wohin soll man sich denn mit Fragen, Anregungen und Kritik Wenden als an die, die die Sendung machen.

Für Rüchel wie für alle anderen ist es gar nicht entscheidend, wenn sie die Musik oft erst Wochen später via Video-Aufzeichnung bewußt erleben können. Das ganze Drumherum, das Flair der Nacht macht die Faszination.

Selbst Alan Bangs und Albrecht Metzger, die ihren Auftritt ja erst während der Nacht haben, sind von Anfang an bei allen Proben in der Halle, um sich auf die spezielle Rocknacht-Stimmung zu tunen. Und solange das so bleibt, denkt auch keiner ans Aufhören.

Das gängige Argument, eine beliebte TV-Sendung müsse man absetzen, bevor die ersten Verschleißspuren auftauchen, trifft für Peter Rüchel in diesem Fall nicht zu: „Für jemanden, der alle 12 Nächte miterlebt hat, mag die Euphorie der ersten Stunde vergangen sein, aber wir sehen, daß sich das Publikum ständig austauscht, daß jede Rocknacht für viele, das erste Mal‘ ist.

Befragt nach seinen ganz persönlichen Highlights, tut er sich schwer. „Die erste Nacht zählt zweifelsohne dazu, dann sicher auch Van Morrison und im Nachhinein Mitch Ryder, obwohl ich ihn in der Nacht gehaßt habe.“

Welches die schlechte Erfahrung war, weiß er dagegen auf Anhieb genau: „Das betraf jemanden, der nicht im Rockpalast aufgetreten ist und das ganze Drumherum. Aber den Namen schenke ich mir an dieser Stelle.“

Nun ja, sich an spannenden Punkten in mystisches Schweigen zu hüllen, das gehört ja bekanntlich auch zum Rockpalast-Image.