Hirnflimmern


Gutes Eingewöhnen in den Wickel-Fütter-Schlaf-Rhythmus“ wünscht ein befreundetes Paar, das schon ein dreiviertel Jahr erfahrener ist mit dem, was diesem Haushalt hier bevorsteht, in seiner Glückwunschmail. Ja, es ist wahr: Da liegt ein Mädchen, junges Ding, keine vier Tage alt, in einem Stubenwagen hinter mir. Ich nutze gerade eines der verschwenderisch bemessenen etwa siebeneinhalbminütigen Zeitfenster, die sich in diesen Tagen hie und da auftun, um Dinge des Alltags zu erledigen, wie etwa Kolumnen für den ME schreiben. Mal musikalisch gesprochen – was in einer Musikzeitschrift zweifellos angebracht ist -, würde ich sagen: Der Wickel-Fütter-Schlaf-Rhythmus meiner Tochter ist im Moment noch eher so freejazzmäßig, komplex eckige Polyrhythmen, gegen Abend in die Nacht hinein dann aber übergehend in so ein Ambient-Drone-Ding: völlige Rhythmuslosigkeit. Schlafentzug für alle Beteiligten.

Zwischendurch, randommäßig, gibt es immer mal wieder Abfolgen aufgeregt puckernder Rhythmuspatterns, die sich kurzphasig wiederholen, quasi Loops. Man spricht vom Phänomen des „Clusterfeeding“ (Hey! Super Bandname!), zu dem es kommt, wenn ein Baby aufgrund unrund laufender Hormone bereits wenige Minuten nach einer Mahlzeit (und wenn der semikomatöse Vater die ca. 23. Windel des jungen Tages gewechselt hat) schon wieder partout saugen will, obwohl es rein, äh, technisch gar nicht hungrig sein kann. „Diese Schlaufe kann sich mehrere Male wiederholen“, droht eine einschlägig informierte Website an, „man nennt es ein Clusterfeeding, d.h. gehäuftes Trinken, bevor dann ein tiefer, langer Schlaf folgt“. Und zumindest dieser letzte Teil kommt einem alten Rock’n’Roller dann doch bekannt vor, har har. Nicht dass ich ein alter Rock’n’Roller wär. Ich bin eher ein alter … ein älterer Mann halt.

Wünschen würde ich mir ja so einen ganz stumpfen, gähnlangweiligen Four-To-The-Floor-Beat. Berechenbar, verlässlich, klar. Fertig wie ein Viech häng ich hier um halb sechs Uhr früh und die Gedanken verschwimmen zu rhythmuslosem Baaz. Babygeschrei, hab ich mal gehört, soll ja nicht nur nützlich sein, um Eltern alert (und mithin wahnsinnig) zu machen, sondern auch gut für die Stimmbildung des Kindes. Ich fürchte, wir ziehen hier eine Rockröhre heran. Roger Chapman auf meinem Wickeltisch! Damit’s so weit nicht kommt – und ein bisschen auch aus Rache – habe ich jetzt im Delirium beschlossen, das Kind konsequent mit Countrymusik zu sozialisieren. Das kann nicht schaden, und weil ich seit ein paar Tagen nach einem Zufallsglücksgriff ins CD-Regal voll auf Doc Watson und Nitty Gritty Dirt Band druff bin, bietet es sich auch förmlich an. Gerade pickt sich Earl Scruggs – gaaanz leise – an seinem Banjo den „Nashville Blues“. Sehr synkopiert, uh-oh … Endlich wird ein bisschen gepennt.