Hirnflimmern: Don’t let there be rock, fordert Josef Winkler


Diesmal über etwas, dass sich die Berufsjugendlichen selbst ausgedacht haben.

Jetzt nennen Sie mich einen alten Griesgram, aber wissen Sie, worauf ich überhaupt nicht kann? Was, HipHop aus Schweden? Ja klar, auf den natürlich auch nicht. Klingt HipHop aus Schweden – besser: schwedischer Hip- Hop – ja bekanntermaßen wie wenn ein Güterzug voll Rachenbeschwerden und ein Güterzug voll Eurobeat ineinanderrasen, und jemand nimmt das auf und macht einen Remix.

Das Schlüsselwort hier ist freilich nicht„Güterzug“ oder „Eurobeat“, sondern „bekanntermaßen“. Denn früher hätte man halt gar nicht gewusst, dass schwedischer HipHop klingt, wie er nun mal klingt. Blissful ignorance ist der Fachausdruck. Dass das heute anders ist, daran ist natürlich mal wieder schuld: die Moderne. Es ist das Rundherumangebot einer globalisierten Welt, das einem täglich neue Universen von Zeugs und Dingen eröffnet, von denen man noch gar nicht ahnte, dass sie existieren, geschweige denn, dass sie einem voll auf den Zeiger gehen.

Ich plädiere nun nicht dafür, mit Scheuklappen durchs Leben zu gehen. Aber bei schwedischem Hip- Hop wäre eben mein Vorschlag zur Güte, diesen das – wie ich finde gravierende – Problem der Schweden bleiben zu lassen. Was? Wir Deutsche können doch nicht die Schwierigkeiten der ganzen Welt lösen! Wir haben schließlich unsere eigenen „Herausforderungen zu stemmen“. Beispielsweise grassiert bei uns derzeit – und damit knüpfe ich endlich an den Einstieg an – ein Minitrend zum affirmativ-verklärenden Kumpelgetueverherrlichungslied, im Zuge dessen der Merkel-Schlager „Tage wie dieser“ den Weg bereitete für den Song, der zum Jahresende von einer drogenunabhängigen Hirnflimmern-Jury zum „Geschwollensten Quatschlied 2013“ gekürt wurde.

Na? Der Award geht natürlich an die Gruppe Revolverheld mit ihrer, nun, Hymne „Das kann uns keiner nehmen“. Preiswürdig, wie der Song die doch eher schlichte Feststellung, dass man in den Neunzigern viel Bier und Schnaps getrunken hat und das ein ganz okayer Zeitvertreib war, in der Eckkneipe, klar, wo Jungs noch Jungs sind, wobei die Dicke und Tiefe der im Raum stehenden resp. behaupteten Kumpelfreundschaft sich auch in der Rückschau errechnet aus der Menge der gemeinsam konsumierten Getränke und „Kippen“ in Korrelation mit der Zeit, die man auszuhalten sich in der Lage sah (Richtwert: bis 5 Uhr früh), wie der Song also diesen banalen Jungmännerscheiß in einem überhöhten Duktus präsentiert, als besänge da jemand die gemeinsame Zeit im politischen Widerstand oder ähnlich existenzielle Erfahrungen und nicht das bräsige Absaufen in der Eckboazn.

Wurde je Platteres in ein pompöseres Musikgewändchen gekleidet? Ja, das ist Pathos-Rock auf Pilswerbung- Niveau. Und ja: Vielleicht muss der Pathos-Rock genau da hin. Aber ich würde sagen, dafür haben Coldplay nicht in jahrelanger Arbeit das Revival des Wouhwouhh-wouuuuh-Chores angeschoben. Das haben sich die Berufsjugendlichen selbst ausgedacht – und der Erfolg gibt ihnen recht.

Diese Kolumne ist in der Februar-Ausgabe 2014 des Musikexpress erschienen.