Ice T: Schweine Rapchen


Schweine im Rap-All! Ice T, der angeblich so böse, harte HipHop-Gangster aus Kalifornien, der sich gerne mit den prallsten Girls und den großkalibrigsten Kanonen abbilden läßt, entpuppt sich beim näheren Hinsehen als cooler aber sanftmütiger Geschäftsmann. ME/Sounds-Mitarbeiter Christoph Becker kratzte den Def-Lack ab.

Alles hätte ich ihm verziehen. Alles! Daß er zwei Stunden zu spät zum Interview erschien, daß er Darling Darlene gleich in der Hotelsuite versteckte, daß er Mineralwasser trank und auf mein Aufnahmegerät spuckte. Alles kein Problem. Doch was unentschuldbar bleibt, was ich ihm nicht nachsehen kann, was die Welt des HipHop erschüttert: Der Mann ist vollkommen harmlos. Ice-T. der Harte, der Deffe, der Gangster, entpuppt sich allenfalls abgerissener Fuchs. Als Schlaumeier, der den Kids ihre eigenen Träume und selbstgestrickten Illusionen verkauft. Eingewickelt in verdammt gute Beats, exzellent abgefahrene Samples und bestechend bedrohliche Arrangements. Trotzdem: Ice-T spielt sein Spiel. Das Spiel mit der Credibility, Street-Culture und Verantwortung. Wenn er von Realität redet und reimt, ist das immer nur eine gefilterte Pop-Realität. Der Mann mag Vergangenheit haben, er mag gedealt. gehurt und Cops vertrümmert haben. Mag sein. Doch heute ist Ice-T Labelboß, Produzent und Popstar. Und von der Realität genauso weit entfernt wie Honecker vom Sozialismus.

Seiner Bedeutung für den HipHop schadet das nicht. Im Gegenteil: Ice-T hat Charisma, die richtigen Ideen zum richtigen Zeitpunkt und weiß, was Pop bedeutet. Und mit mehr als einer Million verkaufter Exemplare seines zweiten Albums POWER in Amerika ist Ice-T sicherlich populär zu nennen.

Beweis aber auch für die musikalische Qualität seines Outputs und für das bemerkenswerte Bedürfnis der Hörerschaft nach einer Instanz des Vertrauens.

„Oh. ich fühle mich sehr verantwortlich für das, was ich sage. Aber ich erzähle niemandem, was er zu tun hat. Ich sage: Wenn du Cruck nehmen willst, nimm es. Wenn du dich mit der Polizei anlegen willst, tu es. Aber überleg dir vorher, wie das alles enden kann. Über sein Leben muß jeder selbst entscheiden.“

Aut all seinen Veröffentlichungen mischt Ice-T sehr bewußt und sehr geschickt politische Inhalte. Geschichten aus Ghetto und Zeitgeschehen mit einer wilden Lust auf Sex und jeglicher Art von primären Geschlechtsorganen.

„Alle erzählen davon, wie toll es doch sei, politische Raps zu machen und daß meine Texte über Sex und das Zeug keiner mehr hören will. ‚Bullshit!‘ sag ich dir. Eigentlich wollen doch alle nur von Titten und Ärschen erzählt bekommen. Nur wenn du gut mischt, hören sich die Leute auch was Politisches an. Das habe ich schon sehr früh gelernt.“

Ice-T nutzt die Gewalt für seine Zwecke. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und kalkuliert mit der Kontroverse. Immerhin gelingt es ihm so. den schwarzen Kids in Amerika auch seine politischen Inhalte näherzubringen. Mit dem Ziel der Gewaltlosigk?it, sagt Ice-T. Allerdings kann der Guru des Hardcore-HipHop seine mitunter fickeriK Lust an der puren Aggression nicht leugnen.

„Natürlich ist ein Song wie ‚Black ’n‘ Decker‘, in dem wir einem Molherfucker einen Bohrer ins Hirn drehen, nicht gerade feinfühlig. Aber ich will provozieren, will kontrovers sein. Mir ist wichtig zu zeigen, daß es immer mehr als nur eine Perspektive gibt.“

Nicht nur in eigener Mission arbeitet Ice-T effektiv, sondern auch als Labelboß. Zunächst gründete er „Rhyme Syndicate“. um sich selbst besser verkaufen zu können, doch inzwischen ist aus dem privaten Interesse ein durchaus erfolgreiches Mothership in Sachen HipHop geworden. Acts wie Donald D. Everlast oder Divine Styler haben ihre Debütalben veröffentlicht. „Ich muß zugeben, ich stelle es mir ganz nett vor, eines Tages hinter einem enormen Schreiblisch zu sitzen, anderen zu sagen ‚Rap!‘ und ansonsten Schecks hin- und herzuschieben. „

Bis aus dem HipHop-Gangster Ice-T jedoch ein bauchiger Schreibtischhengst geworden ist. kann man noch auf einige Kreativschübe hoffen. Neuerdings hat der Perfektionist nämlich neben dem Wort auch noch den Groove entdeckt. Und Groove heißt Erfolg. Und Erfolg heißt Geld. Und Geld heißt Macht. Wie sagte doch Ice-T zu den Verantwortlichen seines Geschäftspartners CBS bei einer Pressekonferenz: „Wir wollen doch alle Platten verkaufen! Sie wären dann reicher, und wir wären reicher. Wir alle wären glücklicher, nicht wahr? Sollten Sie das jemals vergessen, so denken Sie immer daran: Wir wissen, wo Ihre Kinder zur Schule gehen …“