„Ich habe keinen Sound, ich möchte auch gar keinen haben“


Der Londoner DJ, Remixer und Produzent Erol Alkan gilt als der wichtigste Katalysator von Gitarre und Elektronik. Seine Entwicklung von Indie zu House und Techno ist symptomatisch für die ganze Szene.

Mr. Alkan, Sie sind DJ, Remixer und Produzent. Als was sehen Sie sich in der Hauptsache?

Erol Alkan: Es ist sehr schwer, mich für eine dieser Rollen zu entscheiden. Eine Sache beeinflusst die andere. Wenn ich zum Beispiel einen Track remixe, achte ich darauf, dass er in mein DJ-Set passt. Ich möchte der Frage nicht ausweichen, aber es ist nicht leicht für mich, eine Präferenz zu nennen, weil ich alle Aktivitäten als Erweiterung meiner Persönlichkeit sehe. Ich lege auf, ich produziere, ich remixe, weil ich mich dafür entschieden habe – es ist die Definition meiner Tätigkeit.

Bringen Ihnen all diese Tätigkeiten ein vergleichbares Gefühl der künstlerischen Verwirklichung?

Als ich neulich meine Mixes von „Forever Dolphin Love“ für Connan Mockasin und „The Bay“ von Metronomy beendet hatte, war ich begeistert, dass ich sie endlich in meinem Set spielen konnte. Ich hatte die Möglichkeit, sie auszuprobieren, zu prüfen, ob sie funktionieren, zu sehen wie die Leute darauf reagieren. Wenn ich fertig bin mit meiner Arbeit, bin ich neugierig auf die Reaktionen. Egal ob der Track im Club gespielt wird oder im Radio. Wenn ich eine Arbeit beende, ist sie für mich auch abgeschlossen. Ich habe dann das Gefühl, dass ich das Bestmögliche abgeliefert habe – das soll nicht heißen, dass ein anderer es nicht besser hinbekommen hätte. Ich stehe aber nicht im Wettbewerb mit anderen, ich ziehe meine Befriedigung nicht daraus, besser zu sein als andere, ich stehe im Wettbewerb mit mir selbst. Wenn die Leute meine Arbeit mögen, und wenn ich sie mag, dann ist das okay. Ich sehe nicht unbedingt die Verkaufszahlen von Platten und hohe Chartsnotierungen als künstlerischen Erfolg an. Erfolg ist für mich etwas anderes. Zum Beispiel der Mix für Metronomy. Ich hatte ihn an Joe von Metronomy geschickt und eine Stunde später schickte er mir eine SMS: „Ich liebe dich!“. Oder mein Remix für Connan Mockasin. Der gefällt ihm so gut, dass er ihn sogar live spielen will.

Sie haben vor Jahren ihre Karriere als Indie-DJ begonnen …

… ja, ich glaube, manchmal bin ich immer noch Indie-DJ.

Ist Ihre persönliche Entwicklung weg vom Indie hin zum Techno symptomatisch für die gesamte Szene? Die ganze Indie-Sache wird ja zunehmend elektronischer.

Es ist seltsam, wie sich Indie verändert hat. Elektronische Musik ist mittlerweile sehr wichtig geworden. Als ich angefangen habe aufzulegen, war das noch nicht so. Ich habe zwar schon immer elektronische Musik in den Indie-Clubs gespielt, um die Leute auf die Tanzfläche zu ziehen. Aber heute ist die Vorstellung von Indie-Musik ohne elektronische Elemente eigentlich undenkbar. Ich bin dankbar für diese Entwicklung. Ich habe angefangen, elektronische Musik in meinem Club „Trash“ zu spielen, weil die Leute bei reiner Gitarrenmusik irgendwann den Dancefloor verlassen haben.

Sie bezeichnen Ihre Remixe als „Reworks“. Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen?

Ich habe sie deshalb „Reworks“ genannt, weil ich die Tracks besser machen wollte, ohne mich zu sehr von der Originalproduktion beeinflussen zu lassen. Ich stellte mir dabei vor, ich würde die Songs produzieren und nicht remixen. Ich fühle mich mehr als Produzent, nicht so sehr als Dance-Music-Artist. Die meisten Remixer versuchen, den Neubearbeitungen ihren eigenen Stil, ihren Sound aufzudrücken. Aber ich habe keinen Sound, ich möchte auch gar keinen haben. Remixe haben für mich immer so gewirkt, als ob ein bestimmter Künstler seinen Stempel auf einen Track drückt, um ihn für seinen Dancefloor kompatibel zu machen. Ich aber möchte für verschiedene Dancefloors arbeiten. Ich versuche, jedes Rework für unterschiedliche Leute interessant zu machen. Ich mag die Tatsache, dass mein Connan-Mockasin-Rework von Leuten wie John Digweed und Nick Warren gespielt wird, die man als Progressive-House-DJs bezeichnet. Diese DJs würden aber niemals das Metronomy-Rework spielen. Oder Aeroplane, die würden zwar meinen Mix von „Congratulations“ von MGMT spielen, aber niemals mein Rework von Tame Impala. Und das mag ich sehr. Auch wenn die Leute neugierig darauf sind, was von mir als Nächstes kommen wird, heißt das noch lange nicht, dass sie es auch spielen werden.

Muss ein Song oder Track bestimmte Voraussetzungen erfüllen, damit er die Erol-Alkan-Behandlung bekommt?

Als ich anfing, habe ich nur Songs bearbeitet, die ich hasste. Ich wollte aus Stücken, die ich nicht mochte, welche machen, die mir gefielen. Mittlerweile gilt: Ich muss irgendeine Beziehung zum Original haben. Ich remixe keinen bestimmten Track, weil es ein geschickter Karriere-Move wäre. Ich nehme auch keine Aufträge an, die mir nicht zusagen, nur weil der Auftraggeber die größte Gage zusichert.

Der Remixer kann theoretisch in absoluter künstlerische Freiheit arbeiten. Wie wichtig ist der Originalsong noch, wenn man die Möglichkeit hat, auf jedes Element daraus zu verzichten?

Das ist sehr unterschiedlich. Zum Beispiel mein Metronomy-Rework. Da habe ich ein paar Sounds hinzugefügt. Ich liebe das Original, wollte aber, dass es sich in einer anderen Weise darstellt. In dem Fall war es wie ein Neuarrangement, so wie beim Zauberwürfel: Ich habe alle Farben und Steine genommen und sie so lange verdreht, bis mir das Ergebnis gefallen hat. Deshalb bezeichne ich den Metronomy-Mix als das „Rubik’s Cube Rework“ für mich. Bei meinem MGMT-Rework habe ich nur den Gesang benutzt, der Rest ist von mir. Ich habe alle Instrumente selbst gespielt.

Kommt es häufig vor, dass Sie Remixaufträge ablehnen?

Das passiert ständig. Ich lehne Aufträge meistens deshalb ab, weil ich den Song überhaupt nicht mag, oder wenn ich der Meinung bin, dass ich nichts an ihm verbessern könnte.

Und umgekehrt? Haben Bands schon einmal einen Ihrer Remixe nicht veröffentlicht, weil er ihnen nicht gefallen hat?

Das hat noch keiner gesagt (lacht). Einer hat einmal eine Ausrede gehabt, wieso er meinen Remix nicht veröffentlicht hat. Aber ich will die Gründe dafür gar nicht wissen. Wenn einer Nein sagt, ist das okay für mich. Ich muss das respektieren.

Was war das größte Problem, auf das Sie im Zusammenhang mit einem Remix gestoßen sind?

Das war beim Rework von „Romantic Rights“ von Death From Above 1979. Ich habe den Gesang zerhackt und die Geschwindigkeit verändert, damit es wie ein Rap klingt. Sebastien Grainger von Death From Above 1979 mochte das überhaupt nicht. Ich kannte ihn damals noch nicht so gut, mittlerweile sind wir befreundet. Sebastien sagte, der Remix bleibt wie er ist, aber er wird so nie veröffentlicht werden. Der A&R-Manager seines Labels ist ein sehr guter Freund von mir. Er war also hin- und hergerissen zwischen uns beiden. Er wollte Sebastien überzeugen, dass mein Remix doch sehr gut sei. Um meinen Freund einen Gefallen zu tun, habe ich den Remix dann in der Originalgeschwindigkeit überarbeitet. Zurzeit ist er in einem Motorola-Werbespot zu hören. Es kann sich also niemand beklagen. (lacht)

Wann wird es das erste Artist-Album von Erol Alkan geben?

Schon sehr bald. Ich bin im Studio und arbeite am Album. Es ist fast fertig. Ich habe Unmengen von Musik aufgenommen, ich muss nur noch auswählen, welche Tracks auf das Album kommen.

Wenn Sie sich die aktuelle elektronische Musikszene ansehen, was hat sich verändert im Vergleich zu einem Jahrzehnt vorher?

Die dramatischte Veränderung ist meiner Meinung nach die Art, wie wir Dance Music konsumieren. Musik taucht sehr schnell auf und verschwindet genauso schnell wieder. Es ist sehr schwer geworden, Dance Music zu veröffentlichen und etwas Bleibendes damit zu schaffen. Die Plattenverkäufe gehen zurück, man muss Musik superschnell veröffentlichen, am besten als YouSendIt-Link im Internet. Die Musik hat ihr wichtigstes Medium verloren – die 12-Inch-Single. Mit ihr ist auch der romantische Aspekt weggefallen. Die Gewohnheit, jede Woche in den Plattenladen zu gehen, in den Fächern herumzustöbern, Musik zu entdecken und dann die 12-Inch zu kaufen. Wenn ein anderer sie auch haben wollte, musste der Ladenbesitzer sie noch einmal irgendwo herbekommen. Heute bekommst du alles, was du willst. Ich glaube, dass das der DJ-Kultur sehr geschadet hat. Die DJs haben nicht mehr das Gefühl, individuell sein zu müssen. Wenn du jeden Track jederzeit verfügbar hast, weicht das die Wirkung dieser Stücke total auf. Wann hatte das letzte Mal ein Track eine vergleichbare Wirkung wie „Doom’s Night“? Eine Platte konnte Anfang der 00er-Jahre 20.000 Stück als Import verkaufen und trotzdem hast du niemanden gekannt, der ein Exemplar besaß. Das alles hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Und genau das ist verloren gegangen.

Erol Alkan, 36, ist einer der bedeutendsten zeitgenössischen Produzenten, DJs und Remixer. Der Londoner mit türkisch-zypriotischen Wurzeln zählt neben Soulwax zu den wichtigsten Remixern, die Gitarrenmusik technoid für den Tanzboden aufbereiten. Zu seinen Auftraggebern gehören u.a. Bloc Party, Franz Ferdinand, MGMT, Hot Chip, Metronomy, Interpol, Yeah Yeah Yeahs, Klaxons, Daft Punk, The Chemical Brothers, Digitalism und Justice. Alkans Clubnacht „Trash“ von 1997 bis 2007 in London galt als wegweisend für die Fusion von Indie und Dance. Der DJ gehört zu den Pionieren des Mash-Up. Sein Mix aus Kylie Minogues „Can’t Get You Out Of My Head“ und „Blue Monday“ von New Order wurde 2002 als „Can’t Get Blue Monday Out Of My Head“ veröffentlicht und später sowohl von Kylie Minogue als auch von New Order in ihre Live-Sets aufgenommen. 2010 gründete Alkan sein Label Phantasy Sound. Das erste Artist-Album von Erol Alkan, der eigene Tracks bislang in Zusammenarbeit mit dem Berliner Boys Noize veröffentlicht hat, soll noch in diesem Jahr erscheinen.