Ich höre, also bin ich … Tori Amos


Fee, Feministin, Ferkelsäugerin*: Tori Amos hat in ihrem Leben schon in vielen Rollen geglänzt. Seit frühester Kindheit war immer Musik dabei.

Ein Song, den mir meine Mutter früher oft vorgespielt hat …

Richard Rodgers/ Oscar Hammerstein – „The Sound of Music“ (1965)

Meine Mutter sagt, ich hätte mit zweieinhalb Jahren angefangen, Klavier zu spielen. Zweihändig. Mit dem Hintern auf gestapelten Telefonbüchern. Sie versorgte mich mit Musik, die in den Augen meiner Großmutter böse war: Musicals, Rock, Pop. Ich habe die gesamte Partitur von „The Sound Of Music“ gelernt. Das ist nicht mal eben wenig. (lacht)

Dieses Stück hatte große Bedeutung für mich, als ich aufwuchs …

Stephen Sondheim „Send In The Clowns“ (1973)

Ich war noch nicht mal zwölf Jahre alt, als ich das zum ersten Mal gehört habe (es stammt aus dem Musical „A Little Night Music“ – Anm. d. Red.). Es war, als würde die Geschichte meines Lebens erzählt. Herzzerreißend, voller Tragikomik. Darin habe ich mich wiedererkannt. Ich konnte nie verstehen, wieso Religion den Menschen oft auf so harsche Art beigebracht wird. Einige der scheinheiligsten und voreingenommensten Menschen sind brave Kirchgänger. Es gibt natürlich immer eine alte Dame in der Gemeinde, die guten Mohnkuchen backt, aber die religiöse Doktrin, die mein Umfeld versuchte, mir einzutrichtern, wollte ich nicht. Ich wollte mich selbst erziehen.

Ein Song, der sowohl in Schwulenbars als auch im amerikanischen Kongress super ankam, war …

Nina SimonE „Bye bye Blackbird“ (1961)

Eines Abends war ich eingeladen, auf der Weihnachtsparty des US-Kongresses zu spielen. Tip O’Neill, damals Sprecher des Weißen Hauses und somit der drittmächtigste Mann im Staat, saß am Ende des Abends neben mir am Klavier – vor all diesen Senatoren und Abgeordneten. Das war ein komplett anderes Publikum als das, vor dem ich normalerweise spielte: die Schwulen in den Gay Bars. Der Song funktionierte an beiden Orten gleichermaßen gut. Musik kann Menschen erreichen, die sich womöglich hassen.

Eine schwarze Phase hatte ich während der Aufnahmen zu …

Y Kant Tory Read (1988)

Ich hatte über sieben Jahre lang Musik an Labels geschickt. Mit den Ablehnungsschreiben konnte ich Wände tapezieren. Die Leute waren total gegen eine Frau am Klavier. Zu der Zeit war auch Tracy Chapman im Studio mit dem Produzenten David Kirshenbaum, der mein Album Y Kant Tory Read produzierte. Niemand hatte je von ihr gehört. Ich dachte: Ich darf also diese Rock-Lücke ausfüllen, während sie ermutigt wird, Gitarrenpoesie zu machen. Mir war aber klar, dass ich nicht mehr zur Barmusik zurück wollte. Wenn es dafür ein Rockalbum brauchte, nun gut … Dass es total floppte, lag vor allem daran: Es war nicht ehrlich. Es kam nicht aus meiner Seele.

Das Album, das mir besondere Kraft gab, war …

Joni Mitchell – Blue (1971)

Als ich an Little Earthquakes schrieb, wurde dieses Album mein Wegweiser. Einer der heute mächtigsten Männer im Musikbiz, Doug Morris, kam damals in meine kleine Bruchbude in East Hollywood und sagte: „Okay, ich höre in dieser Musik Elton John.“ Ich erwiderte: „Wohl eher nicht.“ Mir war klar: Das Album wird ganz anders klingen, weil es von einer Frau voller Schmerz kommt, die versucht, ihre Stimme zu finden. Es wird eine ganz andere Energie haben, mehr so wie Blue.

Der Song, den mein Mann Mark und ich „unseren“ nennen, ist …

The Cocteau Twins – „Blue Bell Knoll“ (1988)

Mark arbeitete als Tontechniker für die Under The Pink-Tour 1994. Er ging durch den Raum rüber zum Mischpult, und mein Herz setzte aus. Es war Liebe auf den ersten Blick! Allerdings nicht für ihn. (lacht) Neun Monate später sagte ich ihm: „Ich glaube, ich stehe auf dich.“ Er lud mich zu einem Treffen ein, bei dem er Migräne bekam. Wir wurden erst Freunde, dann ein Paar. Der Song schien aus einer anderen Welt zu kommen. Und wenn du verliebt bist, betrittst du ja auch eine völlig neue Welt. Es war, als hätten wir auch unsere ganz eigene Sprache gefunden, die nur wir verstehen. Seither haben wir bei allen Alben und Touren zusammengearbeitet.

Randnotizen

* Tori Amos wurde als Fünfjährige am renommierten Peabody Institute in Maryland als Klavierschülerin aufgenommen. Mit elf Jahren schmiss sie hin: „Ich sah mich schon damals mehr als Komponistin.“

* Ihr Label Universal wollte ihr Debüt nicht veröffentlichen. Man schlug ihr vor, alle Klavierpassagen durch Gitarren zu ersetzen. Amos setzte sich durch. Zwei Millionen Menschen kauften das Album.

* Im Booklet ihres 1996er-Albums Boys For Pele posiert Amos mit einem Ferkel an ihrer Brust. Der Skandal war perfekt.

* Die Entdeckung auf Amos‘ aktuellen Album Night Of Hunters ist Tochter Natashya Lórien, die bei einigen Songs singt. Die Zehnjährige klingt fast wie Regina Spektor.

* „Seit gefühlten 1 000 Jahren“ arbeitet Amos an ihrem ersten Musical. „Es geht um Teenager auf dem Weg ins Erwachsenenleben und um die Kraft, sich für das Richtige zu entscheiden. Kein Kitsch, kein Rock-Musical – klassische Musical-Melodien!“ Premiere soll 2012 am Londoner Royal National Theatre sein.

Der nächste Musikexpress erscheint am 19. Januar 2012