„“Ich muss da ganz einfach heulen…“


Emotionale Reaktionen erlaubt: Ira Elliot und Daniel Lorca von Nada Surf haben ein großes Herz für Musik - im Positiven wie im Negativen.

München, Backstage, früher Abend: Der Sänger ist weg. Matthew Caws sei „in die Stadt gefahren „, wird mitgeteilt. Aber… wir hatten ein Date? Nun: Matt auch. Seine Freundin ist auf Besuch beim Tour-Tross von Nada Surf , da sei der romantische Spaziergang gegönnt. Außerdem sind da ja die Kollegen, Bassist Daniel Lorca und Drummer Ira Elliot, für die wir im Umkleideraum der Vorband Rogue Wave das mobile ME-Laptop-Soundsystem aufbauen. Bald wird klar: Das ist ganz gut so, „nur“ mit den beiden. Noch ein erzählfreudiger Musik-Enthusiast mehr, und die MiniDisc wäre geplatzt.

Vampire Weekend „Oxford Comma“

ira: Ist das Vampire Weekend? Das hat was Afrikanisches, und ich habe gelesen, dass es diese neue Band gibt, die Afro-Elemente verwendet. Ich würde also auf Vampire Weekend tippen. Richtig? Hübsch. Sie werden viel mit den Smiths verglichen.

Und Paul Simons Graceland fällt oft als Vergleich.

ira: Ich mag alte Paul-Simon-Sachen. Mit seinen späteren Platten habe ich das gleiche Problem wie mit Sting: Mir kommt vor, als müsste ich erst eine Lektüreliste durcharbeiten, wenn ich die Musik kapieren will. Das ist mir etwas zu erwachsen. B 61 Alben wie graceland hab ich das Gefühl, dass sie für meine Eltern gemacht sind, nicht für mich.

daniel: Vielleicht müsste ich mich mal in die Texte reinhören, aber die Musik klingt dermaßen happy. I almost never need to listen to very happy music. ira: Daniel, ja ja, der mag seine Musik super-dark.

Low „Transmission“

Das ist ein Cover. Das Original ist viermal schneller.

daniel: Ach, das ist Low, oder? Die machen mich fertig, die sind so großartig. Aber was für ein Lied?

„Transmission vonloy Division.

beide : Ah! Ja genau. Right on!

Fügt ihr live immer noch „Love Will Tear Us Apart“ von Joy Division in euren Song „Stalemate“ ein ?

daniel: Ja, sonst müssten wir aufhören, ihn zu spielen. Als Ira damals zur Band kam, gab’s den Song schon…

ira: Ich dachte: Irgendwie erinnert mich das an etwas. Und plötzlich fiel es mir ein. Daheim ließ ich „Stalemate“ und „Love Will Tear Us Apart“ parallel laufen und stellte fest: Das ist dieselbe Tonart und die gleiche Akkordfolge. Aber das merkt man kaum, weil die Gesangsmelodien sehr verschieden sind. daniel: Am nächsten Tag kam Ira an: Euch ist schon klar, dass „Stalemate“ die gleiche Tonart und Akkordfolge hat wie „Love Will Tear Us Apart“? Und Matthew und ich: Blödsinn, was redest du da? Also ließ Ira Matthew die Akkorde von „Stalemate“ spielen und sang „Love Will Tear Us Apart“ dazu. Und wir: Oh shit! Aber ich meinte: Anstatt das Lied jetzt aus Scham nicht mehr zu spielen, lasst uns doch die Flucht nach vorn machen und ein Stück von „Love …“ einbauen. Erst spielten wir immer nur eine Strophe rein, mittlerweile fast den halben Song.

ira: Weil jeder den Song offenbar so liebt wie wir.

daniel: Übrigens: Als wir jetzt lucky gemacht haben mit (dem Produzenten) John Goodmanson, hat der uns erklärt, wie Low ihren speziellen Sound hinkriegen. Sie spielen absolut leise im Studio und ziehen dafür die Mikros so extrem weit auf, dass man sie sogar atmen hört. Wir haben das auch auf einem Song gemacht, „The Film Did Not Go Round“.

Neil Young „Only Love Can Break Your Heart“

ira: (erschrickt schier) Oh meine Güte! Das ist einer meiner Lieblingsssongs überhaupt! Den kann ich tatsächlich nicht oft genug hören. Wir waren mal auf Tour mit Ed Harcourt und wollten es irgendwie auf die Reihe kriegen, am Ende der Show so einen großen Jam zu machen und dieses Lied zu spielen. Aber es wurde nichts draus… (singt mit)

daniel: Wir sollten es mit den Jungs hier (Support Band Rogue Wave – Anm. d. Red.) versuchen.

ira: Ja, genau! Was für ein Lied. Man müsste sich streiten, wer Leadvocals singen darf.

Johnny Depp „No Place Like London“

ira: Ist das Daivid Bowie? Nein, warte, das ist aus diesem Musical… das ist Johnny Depp!

daniel: Johnny Depp? Erzähl keinen Scheiß!

ira: Ja, er hat eine gute Singstimme. Das ist aus dem Film, oder? („Sweeney Todd, The Demon Barber Of Fleet Street“, Anm.) Ich bin kein großer Musical-Fan, aber meine Freundin wollte ihn sehen. Johnny war super. Er sieht fantastisch aus. Ich glaube, er zapft für jede Rolle einen anderen Rockstar an. Der Pirat war ja Keith Richards. Und jetzt: Dave Vanian. Der Sänger von The Damned. Mit dem schwarzen Haar und der weißen Strähne und allem.

The Long Winters „The Commander Thinks Aloud“

ira: Oh! Ah! Erkennst du’s denn nicht?

daniel: Verdammt, natürlich! Long Winters!

ira: Ich muss bei dem Lied ganz einfach heulen.

Ja, ich auch, ehrlich gesagt. daniel: (ehrfürchtig) Dieser Song ist… fucked-up.

ira: Diese Sehnsucht nach Hause, und du weißt, dass sie es nicht schaffen werden…Was erst so richtig reinhaut, wenn man weiß, worum es überhaupt geht. Ich wusste das erst nicht.

ira: Ich müsste John (Roderick, Long-Winters-Chef, Freund/Labelmate von Nada Surf) auch erst fragen. Die letzten Minuten des Space-Shuttles, bevor es explodiert. Das Arrangement fühlt sich an, als würde man schweben, die Zeit hält an. Und ihm gehen diese Gedanken durch den Kopf, an seine Familie, sein Zuhause. Und man weiß, was gleich passiert…

daniel: „The crew compartment’s breaking up“ …

ira: Mich erinnert es sehr an Bowie. Ich war noch sehr klein, als ich zum ersten Mal im Radio „Space Oddity“ hörte, 1974. Ich hab nicht richtig kapiert, was da los ist, aber die Story ist so dramatisch, und dann ist da dieser Moment, wo die Akkordfolge von Dur auf Moll wechselt, und es geht (singt) „ground control to Major Tom, your circuit’s dead, there’s something wrong, can you hear me, Major Tom?“ Und du weißt in diesem Moment, dass etwas Schlimmes passiert ist. It’s fuckin‘ heartbreaking.

daniel: Als ich den Song zum ersten Mal hörte, ging ich zu John hin und … ich küsste ihn und boxte ihn und patschte ihm ins Gesicht, „verdammt, du Scheißkerl! Wie MACHST du das?“ Ich wollte ihn gleichzeitig küssen und ihm in den Arsch treten.

Yes „Close To The Edge“

ira: (begeistert) Aaaaaaahhh!

daniel: Ich wollte grad sagen: Ist das Rush?

ira: (winkt ab) Viel besser Mann! YES! Rush can’t fuckin‘ hold a candle to these motherfuckers.

daniel: Okay …Ich kenn von denen kaum was.

ira: Das ist nur der Warm-Up, das crazy Intro, das dich verwirren soll. This is like (im Singsang zum Crescendo des Intros) „we are so bad-aaaasss, we’re gonna play some shit you don’t understaaand and then we’ll launch it to you!“ Warte mal, das haut dir gleich voll den Schalter raus… (rutscht auf der Couch herum) Unfassbarer Drummer… (das Intro geht endlich in den ersten Teil über) Jetzt dieser erste Teil, sehr Tschaikowski-mäßig. Skip doch mal 30 Sekunden weiter. (Skip) Das ist der B-Teil, sehr toll. Großartige Melodie… (ist aufgestanden und skippt jetzt selbst; rein bei Minute 9:00) Dieser Teil ist SO wunderschön. Am Ende spielt Rick Wakeman Kirchenorgel, pass auf… (der Song gleitet gerade ereignislos auf einer Fläche dahin) Die Sounds sind super, (fläch) Gleich kommt’s, (fläch) Mann, die brauchen immer ewig, diese Prog-Rock-Typen… (der Kirchenchoral baut sich auf) Crazy… Und jetzt bläst es alles raus in die verdammte Stratosphä… Ah, noch nicht (der Choral dreht sich noch einmal im Refrain, dann Kirchenorgeleinsatz beiMin. 13:03). Wow. Wow. (kommt zu sich) Diese Musik ist wirklich super, wenn du nachts mit dem Auto unterwegs bist und es ist dunkel und du fährst durch Wälder und Hügel – fantastisch.

The Mars Volta „Aberinkula“

Was hältst du davon’Das ist auch sehr Yes-mäßig.

ira: (hört zu) Wow, nett. Mann, (beeindruckt und erschrocken) Woooh. That drummer’s out of control, man. Singt da ein Typ oder ein Mädchen? daniel: Das ist ein Typ. Wer ist das?

Den Song hab ich nur so dabei, weil ein Kollege uon mir letztens sehr drauf abfuhr und ich mir dachte…

The Mars Volta.

ira: Ach, das smd die? Bei dieser Musik würde ich über kurz oder lang eine Embolie kriegen. Oder eine Herzattacke. Würde mich sehr nervös machen, (zwischen Grusel und Bewunderung) Aber ich kann verstehen, dass sie so angesehen sind. Die sind wirklich durchgedreht. Jesus! Der Drummer spinnt…

Abba „Head Over Heels“

ira: Klingt fast wie alte Abba… Sehr Abba-mäßig. Ah. Es ist Abba. Dieses Lied kenne ich gar nicht. Es hat einen, äh, „Killer-Hook“. ira: Sie haben IMMER ein Killer-Hook, (schwärmerisch) Immer! Sie werden ja üblicherweise in der Abteilung „guilty pleasures“ abgeheftet, aber … there’s nothing guilty about it.

daniel: Mein Gott, nein! (bewundernd) Sie sind eine außergewöhnliche Band. Eine Zeitlang haben wir uns vor Konzerten mit „Dancing Queen“ eingesungen. So: Bereit machen zum Rocken, Lederjacken anziehen – und jemand macht die Tür zum Backstage auf und wir da drin: „You can dance, you canjive, havine the time of your life…“ Haha!

OMD „If You Leave“

Dieses Lied habt ihr gecovert, hab ich gesehen.

daniel: Oh! Ich hasse… Stop it. Now! (außer sich)

ira: Warte nur kurz. Du musst dir mal anhören, wie viele Tonartwechsel dieser Song hat…

daniel: (unwillig) Wir haben sie doch gezählt. Elf.

ira: Elf Tonartwechsel!

daniel: Ich bin allergisch gegen Tonartwechsel. Ich bin aufgewachsen mit Barry Manilow, meine Eltern haben nur Manilow gehört. Und der Typ kann gar nicht anders als ständig Tonartwechsel zu machen.

ira: Ja, der große dramatische Tonartwechsel…

daniel: Als es hieß, wir covern den Song, hab ich nur gesagt: Als Erstes fliegen die Tonartwechsel raus. Und zwingt mich nicht noch mal, das Original zu hören.

ira: Ja. Man wird seekrank… (hört zu) Hier geht’s los … Da! Tonartwechsel! (kopfschüttelnd) Und noch dazu mit Violinen, Mann.

daniel: Ich hasse diesen Song so sehr…

Warum habt ihr ihn dann eigentlich gecovert?

daniel: Ich dachte, man leistet der Menschheit einen Dienst, wenn man ein schreckliches Lied weniger Schrecklich macht. Es war ein Deal mit den Leuten von „The O.C.“ („O.C California“), die eine Band suchten, die den Song für die Serie covert. ,Klar, wir nehmen dann auch mal einen von euren eigenen Songs rein …“ Weil wir damals schon das Studio für the weight is a GIFT hatten, aber noch keine aufnahmefertigen Songs, haben wir das mitgenommen.

(der Bassist von Rogue Wave kommt herein)

daniel: (die vierte Zigarette im Mund) Oh. Sorry, wir haben euren Backstage-Raum eingenommen – und jetzt haben wir ihn auch noch vollgeraucht. Vielleicht können wir einfach tauschen, ihr nehmt unseren… OH MEIN GOTT, schon wieder Tonartwechsel.‘ Oh, und: Der Song hat ein verficktes Sax-Solo drin. Noch was, wogegen ich allergisch bin.

Adam Green „Carolina“

ira: (Stille) Ah, warte. Das ist Adam Green, oder? Kennst du ihn?

ira: Nicht direkt. Aber wir haben in Deutschland auf Festivals zusammen gespielt. Ich finde ihn lustig. Sein Song über Jessica Simpson ist ein Geniestück.

daniel: Er klingt ein bisschen wie Richard Cheese.

ira: Ja, richtig. Haha!

Wer ist Richard Cheese?

ira: Das ist ein Typ aus New York, der…

daniel: Nicht verraten! Wir werden dieses Interview jetzt mal umdrehen, (rennt raus, um sein Laptop zuholen) So. Jetzt kriegst du Richard Cheese. ira: Der Typ war früher mal bei einer Metal-Band und hat dann angefangen – mit einer wirklich guten Band -, Lounge-Covers von Indierock und so Sachen zu machen, (ein entspanntes Klavierintro ertönt; das Interview klingt aus mit Weezers „Buddy Holly“, Becks „Loser“ und einer angenehm beschwingten Version von Radioheads „Creep“)

ira: (sich langsam abseilend) You’re going crazy with The Cheese here…

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