Instrumentenkunde : Gibson EDS-1275


Die Technik: Die Gibson EDS-1275 ist eine elektrische Gitarre mit solidem Mahagoni-Korpus, vier Tonabnehmern, Hälsen aus Ahorn und Griffbrettern aus Palisander. Die Plurale weisen auf die Besonderheit des Instruments hin: Es hat zwei Hälse. Genetiker würden das womöglich als Laune der Natur abtun, aber die Konstrukteure des US-Herstellers Gibson handelten vorsätzlich: Den unteren Hals bespannten sie ganz konventionell mit sechs Saiten, der obere bekam ein Dutzend verpasst. Der Plan: Gitarristen sollten auf der Bühne mühelos zwischen sechs- und zwölfsaitigem Betrieb wechseln können; zudem machte die EDS-1275 optisch viel her. Wer eine Doppelhalsgitarre spielt, so die Spinal-Tap-Logik, der spielt auch sicher doppelt so gut. Der Haken: Das Ding kostete auch fast doppelt so viel wie eine ohnehin nicht ganz billige Standard-Gibson, zudem stellt es hohe Anforderungen an die Physis des Musikanten: Der Mahagoniklotz zieht in Richtung Erdmittelpunkt ganz gewaltig am Gurt, was den Gitarristen noch vor der Zugabe nach einem Sitzplatz Ausschau halten lässt. Gibson produzierte über die Jahre auch Doppelhals-Kombinationen aus Gitarre und Bass sowie Gitarre und Mandoline, doch die 6-12-Variante ist bis heute am populärsten.

Die Geschichte: Zwei Instrumente in einem dieser Geistesblitz fuhr 1958 in die Gibson-Entwickler. Die bis 1961 gebaute Version hatte einen hohlen Korpus, wurde in nur 46 Exemplaren gebaut und ist deshalb extrem rar. Ab 1962 orientierteman sich an der Korpusform der Gibson SG, was den Absatz deutlich ankurbelte: Bis zur vorläufigen Einstellung der Produktion Anfang der 80er wurden rund 1700 EDS-1275 ausgeliefert. Ihre Blütezeit erlebten die Doppelläufigen in den 70ern: Hardrock-Götter und Progrock-Virtuosen fingerten sich wieselflink von Hals zu Hals, zudem passte die dekadente Erscheinung perfekt ins Glam-Zeitalter. in dem Schlagzeuge zwei Basstrommeln, Keyboards zwei Manuale und Kokainnasen zwei Löcher haben mussten Um es mit den Worten eines Internetkaufhauses zu sagen: Kunden, die sich für eine Gibson EDS-1275 entschieden, kauften auch einen Elektro-Lockenstab und Platteauschuhe aus Schlangenleder. In den 80ern war der Progrock mausetot, und junge Metal-Barbaren tendierten zu zackigen Gitarren im fröhlichen Streitaxt-Design Die EDS-1275 war plötzlich so beliebt wie zwölfminütige Gitarrensoli und Polyester-Schlaghosen. Gibson zog die Konsequenz. Erst Anfang der 90er wurde im Zuge des 70er-Revivals eine Neuauflage vorgestellt. Mit rund 4000 Euro ist man dabei, die Fernost-Variante von Epiphone ist deutlich günstiger.

Die Anwender: Bis heute wird die EDS-1275 vor allem mit einem Gitarristen und einem Lied in Verbindung gebracht: mit Led Zeppelins Jimmy Page, der versonnen die Zwölfsaitige zupft, während sein Kollege Robert Plant eine Dame besingt, die alles, was glitzert, für Gold hält, und das Publikum ergriffen Kubikmeter von brennendem Feuerzeuggas in die Atmosphäre entlässt. Wenn vom „Stairway To Heaven“ ein paar Stufen erklommen sind, setzt das Schlagzeug ein, Plant wundert sich« eine Weile, und Page greift stetig beherzter in die Sechssaitige. Ganz großes Kino.