JJ CALE


Heimlich still und leise mogelte sich vor einigen Monaten J.J. Cale's schon etwas angestaubter Song "Cocaine" in die deutschen Hitparaden und machte einen Mann populär, der eigentlich schon als ewiger Geheimtip in die Rockgeschichte eingegangen war. Nun aber rührt sich wieder etwas im Strudel des Erfolges: Im April kommt ein neues Cale-Album auf den Markt, und im Sommer will J.J. wieder durch Deutschland touren.

Kommt das Thema J.J. Cale auf den Tisch, so fällt es schwer, mehr anzubringen als die paar Klischees, die über ihn in Umlauf sind. Was weiß man schon, außer daß er ein Eigenbrötler ist und die Zähne nicht auseinanderbekommt? Dankbar wirft man sich da auf jeden Fact, den man erwischen kann. Und siehe da, die umwerfende Meldung im Februar 1978 heißt: „J.J. Cale bereitet ein neues Album vor.“ 40 Songs hatte „der große Schweiger aus Tulsa“ (eine der häufigsten Wendungen, die im Zusammenhang mit J.J. Cale auftauchen) im Kasten, bevor er mit seinem Produzenten Audie Asworth in dessen Crazy Mama-Studio nach Nashville ging. Was die beiden schließlich auswählten oder wie die LP gar heißen soll, blieb noch unbekannt; man sollte ja auch nicht gleich zuviel erwarten.

Als alter Cale-Fan hat man indes ein dickes Fell und wartet geruhsam ab. Soll man bei J.J. Cale auf die große Überraschung spekulieren? Wahrscheinlicher ist, daß sein fünftes Album wieder dieselbe ruhige, ausgeglichene Ausstrahlung besitzen wird wie alle vorangegangenen LPs. Seit „Naturally“ (1973 erschienen) Cale zum Inbegriff des „laid back“-gespielten, Country-inspirierten Blues machte, hat er sich kaum verändert. Natürlich ist er im Laufe der Jahre etwas älter geworden und hier und da vielleicht ein wenig rockiger. Seine Persönlichkeit hat sich jedoch nicht verändert. Seine Songs haben nichts von ihrer Weichheit eingebüßt, seine warme, leicht heisere Stimme klingt bei „Cocaine“ noch ebenso aufregend wie einst bei „After Midnight“.

„After Midnight“ war bekanntlich der Schlüssel zu J.J.’s Erfolg. Genau wie Leon Rüssel, Chuck Blackwell und Carl Radle war er in den 60er Jahren von Tulsa nach Californien gegangen. Schlechtbezahlte Clubgigs und brotloses Musizieren in Russel’s Studio ließen ihn damals fast verhungern. In Snuff Garrett’s Amigo-Studio arbeitete er zeitweise als Soundingenieur. Für kurze Zeit gehörte er auch zu den zahlreichen „Friends“ der Delany & Bonny-Truppe. Nach einem Weihnachtsurlaub in Tulsa hatte er jedoch kein Geld mehr, zurückzufahren. Also mußte er wieder durch die Clubs. Danach hing er aufs Neue in Leon’s Studio herum. Er wollte ein Gitarren-Album aufnehmen, aber daraus wurde nichts. Nur ein Titel erschien ihm zu schade zum Wegwerfen: er dachte sich ein paar witzige Verse dazu aus, und so entstand „After Midnight“. Liberty veröffentlichte das Stück als Single, tat aber nichts dafür; also ging es unter. Das war 1965. Der Rest ist wohlbekannt. Carl Radle machte Eric Clapton auf das Stück aufmerksam. In der Clapton-Version wurde „After Midnight“ 1970 zum Renner. 1977 griff Clapton erneut zu: Für seine LP „Slowhand“ nahm er sich „Cocaine“ vor.

Heute jedoch braucht J.J. die Hilfestellung eines Prominenten nicht mehr: Nach dem „After Midnight“-Erfolg standen ihm alle Türen offen. Die Zeiten, in denen er für andere Interpreten Singles zurechtfummeln mußte, waren vorbei. Mit Audie Asworth produzierte er sein erstes Album: „Naturally“. Einen Schallplattenvertrag legte ihm die Firma Shelter vor, die Leon Russell und Denny Cordeil gegründet hatten. Fast ein Jahr brauchte J.J. Cale, bis seine erste LP fertig war. Die Arbeit an einem kompletten Album faszinierte ihn so, daß er sich nahezu verzettelte. Audie ließ ihn dabei in Ruhe und kümmerte sich um qualifizierte Studio-MusikeT aus der Nashville Szene, die der LP das optimale Feeling verleihen sollten. Und Audie kennt die besten. Dazu gehören die Schlagzeuger Jimmy Karstein und Karl Himmel, die Bassisten Carl Radle und Norbert Putnam, die Gitarristen Bill Boatman und Mac Gayden, sowie der Geiger Vasser Clements und der Elvis-Pianist David Briggs.

Natürlich nahm Cale für seine Debüt-LP auch „After Midnight“ auf. Der Titel „Crazy Mama“ lief erfolgreich als Single-Auskopplung. Mit seinem sanften, legeren Blues handelte sich der zurückhaltende Musiker bald mehr Ruhm ein, als ihm lieb war. Er faszinierte sein Publikum mit einer Mischung aus Understatement und Raffinesse. „Warum soll ich zwei Akkorde benutzen, wenn ich mit einem einzigen dieselbe Wirkung erziele?“, ist einer seiner wenigen, aber bekanntesten Aussprüche. Cale arbeitet mit einem Minimum an Basisakkorden, dafür aber mit ausgeklügelten Arrangements.

Wortlos schlurft Cale nach dem Auftritt in die Kabine

„Really“, ebenfalls 1973 erschienen, ging ihm noch sichtlich lockerer von der Hand, und die Stimmung ging keineswegs dabei verloren. Ebenso entspannt klingen „Okie“ (1974) und „Troubadour“ (1976), was mit Sicherheit daran liegt, daß Cale die Hektik der Show-Metropolen meidet. Seit er sich direkt an seinem Haus ein eigenes Studio baute, hat er nun kaum noch Grund vor die Tür zu gehen – es sei denn er muß auf Tournee.

Zweimal hat er sich ja schon in deutsche Konzertsäle verirrt und das Publikum mit seinem unnachahmlichen Okie-Charme verwirrt. Wer im kommenden Sommer das Glück hat, ihn zu sehen, sollte vorher wissen, daß J.J. Cale seine Ansagen brummig ins Publikum nuschelt, selten den Kopf hebt und nach dem letzten Song wortlos in die Kulissen schlurft. Man sollte eigentlich schon froh sein, wenn er sich inmitten seiner Musiker überhaupt zu erkennen gibt. Drum sollte man sich ganz entspannt auf seinen gedämpften Country-Blues konzentrieren. Und auf sein wandlungsfähiges Gitarrenspiel. Meistens holt er es aus einem einzigen Instrument heraus: aus seiner abgenutzen Harmony-Akustikgitarre. Er hat sie völlig umgebaut. Wie ein Besessener bastelt er ständig daran herum. Bei einer neueren Zählung besaß das Ding 13 Knöpfe und Schalter, und die verschiedenen Pick-ups stammten von zahlreichen unterschiedlichen Gitarren aus seiner Sammlung….