Joe Cocker In Concert


ME-Leser Rudiger Plegge ist begeisterter Joe Cocker-Fan. Bei einem Amerikabesuch hatte er Gelegenheit, sein Idol auf einem Teil der USA-Tournee zu begleiten und zu interviewen. Hier sein Bericht:

Die Tournee sollte im „County Coliseum“ von El Paso/Texas starten. Ich ging nachmittags zu den letzten Proben und hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Ich war nervös, da ich Joe bis dahin nicht persönlich kannte. Man hörte einfach zu viel Schlechtes über ihn. Böse Zungen behaupteten sogar, es sei aus mit ihm. Ich fragte ihn, wie er über die schlechten Kritiken denken würde. – „Ach, weißt Du, die wissen nicht, was ich durchgemacht habe. Ich bin nicht routiniert, und wenn ich dann mal in einer schlechten Verfassung bin, bedeutet das unweigerlich, daß ich im Konzert auch nicht gut bin. Manchmal passiert es, daß ich heiser bin, besonders wenn ich lange nicht mehr gesungen habe. Dann singe ich diese sonderbaren Noten, die ich eigentlich gar nicht singen will.“ Wir machten also ’shake hands‘, und er bot mir eins von diesen schlechten amerikanischen Bieren an. Sein neuer Manager, Reggie Locke, kam hinzu, und wir quatschten zu dritt weiter. Was mir an Joe sofort auffiel: Er hatte keine Star-Allüren. Er ist ein typischer Mittelengländer. Gemütlich, nett, macht seine Späßchen, grinst und trinkt dabei sein Bier.

Dann begann die Probe. Es waren vielleicht 15 Mann in der Halle. „Pardon Me Sir“ – Die Band fing an, Joe stand hinter dem Mikrophon und legte los. Er hatte nichts von seiner urwüchsigen Kraft in der Stimme verloren. Im Gegenteil, er legte sich wahnsinnig ins Zeug. Man merkte deutlich, wie er sich in die Musik hineinsteigerte und alles um sich herum vergaß. Plötzlich, mitten im Stück, drehte er sich um und brach ab. Zu den zwei Mädchen sagte er: „Das gehl anders, ihr müßt es so singen.“ Er sang vor. Das Ganze noch mal. Sie probten zwei Stunden, die mir wie eine vorkamen. Er riß mich vollkommen mit. Die Band spielte rhythmisch und kraftvoll. Eine besonders gute Kritik verdient der neue Pianist Mich Weaver, der Chris Stainton in nichts nachsieht. Joe hat einen guten Fang mit ihm gemacht.

Das Konzert begann um 20 Uhr. 8.000 Fans waren gekommen, um Joe Cocker mit der Cock & Bull Band zu hören. Als die unbekannte Rock-Gruppe, die das Vorprogramm gestaltete, verschwand, stieg die Stimmung. Das Licht ging plötzlich aus, alles schrie: „We want Joe …“ Und da stand er, ganz ruhig, grinsend und etwas unsicher. Aber dies fiel nach den ersten Takten von ihm ab; er war wieder in seinem Element. Ein phantastisches Publikum sorgte für Stimmung bei Stücken wie „Pardon Me Sir“, „Put Out The Light“ und „Hitchcock Railway“, und bei Stücken wie „Guilty“ oder „You Are So Beautiful“ wurde es andächtig.

Jedes Konzert ist von Gefühlsausbrüchen gefärbt. Cocker ist ein schlechter Entertainer, denn er ist sehr ernst auf der Bühne und redet wenig. Es ist viel, wenn er das Lied ansagt und seine Band vorstellt. Aber er braucht gar nicht viel zu reden. Das, was er mitteilen will, sini>t er.

Wenn Joe auch kein Instrument spielen kann, so hat er doch eine ganze Reihe von Liedern komponiert. Er singt seine Ideen vor und andere Musiker – oft war das Chris Stainton – setzen sie um in Noten. Oder fremde Stücke werden so umgearbeitet, daß zu guter Letzt der Cocker-Sound herauskommt.

Viele assoziieren mit dem Namen Cocker einen Säufer. Es stimmt, er trinkt Bier, schon seit seinen frühen Anfängen mit 16 Jahren. Einmal kam er nachmittags, es war in Detroit, zur Konzerthalle. Er hatte wohl nichts Besseres zu tun. Der Aufbau der Instrumente war noch in vollem Gange. „Mensch, habt ihr gar kein Bier hier?“ Die Antwort war: „Nein!“ – „Ja, wovon lebt ihr denn dann?“, sagte er und grinste. Bier ist sein Lieblingsgetränk. Aber daß er wegen seines Bierkonsums ein schlechter und kaputter Musiker sein soll, stimmt nicht. Er ist nicht das, was man einen Alkoholiker nennt. Wenn er auch noch so betrunken auf der Bühne zu sein schien, so mußte ich nach jedem Konzen aieses Urteil revidieren. Er war ganz normal und reagierte viel normaler, als der Eindruck von der Bühne es hätte erwarten lassen. Vielleicht törnt ihn sein Singen so an, daß er alles um sich herum vergißt. Dieser Schluß liegt meiner Meinung nach nahe.

Über das Spielen in den USA und Europa 1972 sagte Joe mal: „Ich bin gern auf Tournee in Amerika, die Art wie es auf dich einwirkt: Man wird wilder, je weiter die Dinge fortschreiten, allerdings in guter wie in schlechter Hinsicht. Europa war das Beste für uns, da fing es erst richtig an. Du kommst irgendwo hin, und jemand sagt, noch zwei Stunden, dann ist es soweit, und du hast keine Zeit etwas zu machen, except sleeping. getting a few drinks and rocking.“ Fazit: Wer demnächst in ein Joe Cocker-Konzert geht, sollte keine besonderen Erwartungen haben. Er wird keinen Superstar sehen, sondern Joe Cocker, einen Bluessänger, wie er leibt und lebt.