John Cale


Die Stammkundschaft wußte genau, was sie an diesem Abend erwarten durfte: ein intensives Erlebnis ohne elektronischen Schnickschnack, dargeboten von einer Underground-Legende und garantiert trendfrei. Was John Cale dann in eineinhalb Stunden in der wie immer überfüllten und grausam verräucherten Münchener Theaterfabrik ablieferte, balancierte allerdings zwischen bekannt lakonischer Zurückhaltung und unterkühlter Unlust.

„Der Mann sollte schwitzen“, raunte ein Kritiker in München nicht zu unrecht. Aber ein Cale schwitzt natürlich nie wirklich – er zelebriert eindringliche und morbide Stücke, mal wunderbar melodisch, mal dissonant schreiend und wild. Vor Jahresfrist verzauberte der einstige Kopf von Velvet Underground, der Liebling von Andy Warhol und ewige Konkurrent von Lou Reed. mit seinen Qualitäten im Übermaß. Damals schien es so. als hätte er es sieh zum Ziel gesetzt, jeden einzelnen im Publikum gefühlsmäßig gründlich zu erwischen. Diesmal war’s ihm wohl eher egal.

Doch wer große Platten abliefert wie Cale letzthin die Songs For Drella mit Lou Reed und Wrong Way Up mit Brian Eno, der weckt auch große Erwartungen. Wobei sich allerdings nicht leugnen läßt, daß ein Typ wie Cale auch in lustloser Verfassung noch allemal mehr bringt als zehn hektische Schaumschläger zusammen. Mit dem kleinen Finger erzeugt er Intensität; seine brutalen Baß-Akkorde auf dem Flügel fahren in den Bauch, ob er jetzt animiert ist oder nicht. John Cale schafft es immer wieder, musikalisch jenes intensive Flirren zu erzeugen, das an die Luft in einer lauen Sommernacht erinnert – einer Sommernacht, in der man über große Dinge ins Grübeln gerät. In der auf jeden Fall noch etwas passieren wird.

Zwar hinterließ er diesmal jenen berechtigten Frust, der einen ergreift, wenn man nicht richtig ergriffen wird. Aber eine Ahnung dessen, was dieser einzelne Mensch an Piano und Scheppergitarre auch emotional zustande bringen kann, teilte sich allemal mit. John Cale war an diesem Abend einfach nicht so gut drauf, und das ist verzeihlich. Die Stammkundschaft des Meisters nahm’s gelassen und verzichtete auf drängendes Klatschen.