Julian Lennon


Meint es das Schicksal nun gut mit ihm, oder nicht? Julian Lennon, von Beruf Sohn, hatte lange zeit mit Übervater John zu kämpfen. Nach einer Alk- und Drogen-Phase befindet er sich jetzt auf dem Wege der Besserung. Sylvie Simmons klopfte das neue SelbstbewuBtsein des Lennon-Sprößlings ab.

ME/SOUNDS: Was denken die Leute so von Julian Lennon, deiner Meinung nach?

LENNON: „Na, wahrscheinlich, daß ich reich bin, ein Großkotz und daß mir alles egal ist. Und dabei bin ich das absolute Gegenteil.“

ME/SOUNDS: Außer, daß du tatsächlich unermeßlich reich bist.

LENNON: „Nein, bin ich nicht. Ich erbe das Geld erst so mit Ende Zwanzig, Dreißig. Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt selbst. Ich bin froh drum, denn wenn ich eine Menge Geld gehabt hätte, wäre ich nicht da, wo ich heute bin! Ich mache diese Sache, weil es mir Spaß macht. Mit einem Haufen Geld im Rücken wäre ich wahrscheinlich einer von diesen Angebern geworden, die nur mit der Kohle rumschmeißen. Ich bin froh, daß ich gelernt habe, was Geld tatsächlich wert ist, und daß es auch noch ein paar andere wichtige Dinge im Leben gibt.“

ME/SOUNDS: Gilt das auch für Politik? John und Yoko bezogen so eindeutig Stellung, fühlst du dich verpflichtet, ihnen darin zu folgen?

LENNON: „Naja, ich habe natürlich schon eine Meinung zu bestimmten Dingen – Politik, Krieg, Frieden. Darüber habe ich auch Songs geschrieben. Aber – was die Leute von mir erwarten ist doch, daß ich ,dem Namen Ehre mache‘. Ich weiß nicht, vielleicht in ein paar Jahren, wenn die Leute verstehen, daß ich ein eigenständiger Künstler bin, vielleicht äußere ich mich dann – aber ich glaube, daß ich im Moment nicht genug über die Welt weiß, um laut sagen zu können, das ist richtig und das ist falsch.“

ME/SOUNDS: Wie hast du eigentlich gegen John und Yoko rebelliert, gegen „Eltern“, die ihr Leben lang die Verkörperung von Rebellion waren?

LENNON: „Hmm. Ich hatte eigentlich nie das Gefühl, in so einer Situation zu sein. Als ich jünger war, stand ich zeitweilig ganz schön links, ja. Aber ich war nur ziemlich labil und unsicher und meine Mutter sagt, daß ich damals manchmal (mit alberner, John Lennon-mäßiger Stimme) sehr traumatische Phasen durchlebte, haltlos, ausgenippt, ohne zu wissen, was los war, wo Dad war, so diese Richtung. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, aber sie erzählt es mir manchmal. Das war die einzige Zeit, in der ich als Kind wirklich Schwierigkeiten hatte. Ich war nicht wirklich rebellisch – ich wehrte mich eigentlich nur dagegen, daß mein zweiter Stiefvater versuchte, mehr mein Vater zu sein als mein echter Vater, zu sehr Vater zu sein, a la ,Du bist um zehn Uhr zuhause!‘ und von mir kam dann so etwas wie ,Hau bloß ab!‘ Mein erster Stiefvater war ein wirklich netter, lustiger Italiener. Er war total verrückt, wollte bloß seinen Spaß haben. Der Neue dagegen … Ich bin ein paar Mal weggelaufen.“ (lacht).

ME/SOUNDS: Wie war das, ein Kind zu sein, dessen Vater und Stiefmutter nackt auf den Titelseiten erschienen oder Journalisten in ihr Schlafzimmer einluden? Die meisten Kinder sind ja ziemlich konservativ und möchten ganz normale Eltern haben.

LENNON: „Für mich war das normal. Ich kannte es nicht anders. Ich fand es eigentlich erst dann seltsam, als ich entdeckte, was die Eltern anderer Kinder so taten – zur Arbeit gehen, nach Hause kommen, dir eine scheuern. Und das realisierte ich auch nur weil wir nach der Trennung von Dad soviel herumzogen. Meine Mutter hatte die Angewohnheit, höchstens ein Jahr irgendwo zu wohnen und dann wieder umzuziehen. Aus diesem Grund war ich auf Gott weiß wie vielen Schulen. Und jedes Mal, wenn ich in eine neue Schule kam, wiederholte sich dasselbe Spielchen – besonders am ersten Tag, wenn der Rektor vor versammelter Mannschaft aufstand und sagte, und heute begrüßen wir an unserer Schule John Lennons Sohn Julian. Würdest du bitte aufstehen, Julian.‘ Ich hätte sie umbringen können, wirklich. Das ging Jahr für Jahr so – ein Alptraum. Und dann gab’s natürlich noch diese Pöbeleien, von wegen ,das reiche Arschloch‘ und so weiter. Es war nicht gerade angenehm.“

ME/SOUNDS: Aber es war doch klar, daß dein Entschluß, selber in der Rock-Szene mitzumischen, dich noch stärker als „John Lennon’s Sohn, Julian Lennon“ ins Licht der allgemeinen Aufmerksamkeit bringen würde. Hast du jemals gedacht, daß es besser gewesen wäre, etwas anderes zu machen?

LENNON: „Nein, eigentlich nicht. Was mich an der Schule interessierte, war Kunst, Theater und Musik, und als ich anfing, mir das Klavierspielen beizubringen, stellte ich fest, mein Gott, ich kann diese Klänge erzeugen, das ist wunderbar, phantastisch! Und von da an gab es nichts anderes mehr. Seit diesem Tag kann ich nicht mehr weg. Es ist wie ein… Zwang. Ich brauche meine Dosis Klavier, wenn du so willst.“

ME/SOUNDS: Waren deine Eltern damit einverstanden?

LENNON: „Zuerst nicht. Sie wollten immer noch, daß ich gut in der Schule bin und so. Aber sie konnten mich nicht aufhalten. (Grinst) Weißt du, es ging so weit, daß ich die Schule vollkommen vergaß, daß ich mich selbst vergaß, ich paßte überhaupt nicht mehr auf, hing nur noch mit den Typen rum. die in Bands spielten. Nach einiger Zeit wurde es ihnen wohl klar, daß sie nichts mehr dagegen unternehmen konnten, von da an unterstützten sie mich.“

ME/SOUNDS: Kannst du dich noch an deine erste Band erinnern?

LENNON: „Justin (Clayton, sein bester Schulfreund, auch heute noch Mitglied in Julians Band) und ich hatten damals eine ganze Reihe seltsamer kleiner Bands am Laufen.“

ME/SOUNDS: Wie seltsam?

LENNON: „Sehr seltsam! (Lacht) Wir haben nie Coverversionen gespielt, nie. Wir spielten immer unser eigenes Zeug. Mit seltsam meine ich, es war fast peinlich. Wenn wir live spielten, vergaßen wir immer die Texte, machten lauter Fehler.“

ME/SOUNDS: Wann wurde dir klar, daß dir die Sache ernst ist?

LENNON: „So mit 18, 19. Ich machte einfach nichts anderes mehr, sondern schrieb und schrieb und schrieb. Es war so eine Art Grundbedürfnis.“

ME/SOUNDS: Fällt es dir leicht, Songs zu schreiben?

LENNON: „Ich finde es sehr einfach. Ich kann einen Song, eine Melodie, in nur fünf Minuten schreiben. Mit den Texten nehme ich mir meistens ein bißchen mehr Zeit, weil ich mich hinsetzen und denken muß. (Zieht eine Grimasse) Mit der Musik natürlich auch. Einen Song zu schreiben, kann bei mir fünf Minuten, aber auch ein bis zwei Jahre dauern.“

ME/SOUNDS: Um die Songs für dein neues Album zu schreiben, bist du für ein Jahr in die Schweiz entschwunden. Warum?

LENNON: „Naja, eigentlich hatte das steuerliche Gründe, aber es war auch eine gute Gelegenheit, sich hinzusetzen und zu schreiben. Deswegen ist ein Großteil der Sachen dort entstanden, aber später im Studio kam hier und da noch was dazu. Am Anfang fühlte mich schon ein bißchen wie ein Mönch. Das gab sich dann mit der Zeit. Tatsache war, daß ich aus Steuergründen für ein Jahr nicht nach England oder Amerika zurück durfte, und nach einiger Zeit – ich meine, die Schweiz ist wirklich sehr schön, aber die Leute dort gingen mir ein bißchen auf die Nerven. Sie waren nicht so offen und freundlich wie (er zögen) … wie Leute, die ich anderwo auf der Welt getroffen habe. Und ich vermißte meine Freunde. Deswegen wurde ich mit der Zeit ein bißchen unruhig. Ich war froh, als ich wieder zurückfahren und arbeiten konnte.“

ME/SOUNDS: Deine drei Alben sind sehr unterschiedlich: das erste, VALOTTE, war akustisch, John-Lennon-mäßig; das zweite, THE SECRET VALUE OF DAYDREAMING, eher eine bewußte Abkehr als eine Weiterentwicklung dieser Richtung. Auf der neuen Platte zeigst du ein so breites Spektrum, daß man den Eindruck bekommt, du wolltest sagen „Scheiß drauf, ich mach‘, was ich will.“

LENNON: „Genau, so war es! Heute denke ich, daß ich bei der ersten gesteuert worden bin – von der Industrie, der Plattenfirma, von allen. Zu der zweiten haben sie mich gezwungen. Ich war mit der Platte überhaupt nicht glücklich. Ich hatte gerade meine erste Tour beendet und die Plattenfirma sagte, .Okay, Du hast einen Hit gehabt, geh‘ ins Studio, wir haben schon gebucht‘. Und ich erwiderte, ,Ihr müßt mir ein bißchen Zeit geben, um kreativ zu sein, bitte‘, aber alles, was ich darauf zu hören kriegte, war, ,Sei nicht albern!‘. Also gehorchte ich und meiner Meinung nach war das Zeit- und Geldverschwendung. Außerdem gingen von da an eine Menge Sachen daneben – Beziehungen, Platten vertrage, Management, alles mögliche. Da beschloß ich, etwas zu ändern. Ich war nicht mehr zufrieden mit dem, was ich tat und der Richtung, in die ich mich bewegte, also entschloß ich mich, meine Angelegenheit in Ordnung zu bringen, mich selbst in Ordnung zu bringen und das zu tun, was ich tun wollte. Kreativ sein. Bis jetzt ist das ganz gut gelaufen.“

ME/SOUNDS: Damals warst du Stammgast in sämtlichen Klatschspalten. „Playboy Julian wieder auf Achse“ oder „Angry Young Man“, und auf allen Fotos hattest du eine Frau im Arm und stiertest finster in die Kamera.

LENNON: „Ja, ja. Der Grund dafür – und

auch der Grund, warum ich alles ändern und von vorne anfangen wollte – war, daß nach der zweiten Tour eine Menge Dinge schief liefen, haufenweise Probleme auftauchten. Ich war alles andere als glücklich; ziemlich fertig und depressiv. Während der Tour war ich jede Nacht unterwegs, immer besoffen. Und als ich zurückkam, fiel ich irgendwie in ein Loch, ich wußte nicht, was ich tun sollte und machte fast ein Jahr lang so weiter wie bisher, jede Nacht ein Absturz.

Und schließlich, ein Jahr später, wachte ich eines Morgens auf, schaute in den Spiegel und dachte, ,Mein Gott, was hast du mit dir gemacht?‘. An dem Punkt schaltete ich um und beschloß: ,Ich muß die Sache wieder unter Kontrolle kriegen, ich muß wieder stark werden, so kann es nicht weitergehen.‘ Von da an wurde alles anders. Ich habe jetzt sehr viel mehr Durchblick, was das Geschäftliche angeht, und weil das Album besser geworden ist, als ich es erwartet habe, bin ich sehr viel stärker und selbstbewußter. Ich werde nicht noch einmal so abrutschen.“

ME/SOUNDS: Hast du die John-Lennon-Story von Albert Goldman gelesen?

LENNON: „Nein, nein. Ich will s gar nicht lesen. Ich weiß auch so Bescheid. Ich war schließlich dabei!“ (Ironisches Lachen)

ME/SOUNDS: Auf den ersten zwei Titeln des neuen Albums singst du ganz anders als früher – mit einer tieferen und rauheren Stimme, eher eine Mischung aus David Bowie und Lou Reed als ein junger John Lennon. Wenn ich den Rest der Platte nicht gehört hätte, wo du ganz „normal“ klingst, hätte ich angenommen, du wolltest bewußt nicht wie John Lennon klingen und damit die üblichen Kritiker-Vergleiche vermeiden.

LENNON: „Richtig. Aber man kann das eigentlieh nicht beeinflussen. Ich sah einfach nur eine Gelegenheit, meine Stimme ein bißchen gezielter einzusetzen, in einer anderen Tonlage zu singen, weil ich bisher hauptsächlich mit meiner Sprechstimme gesungen habe. Diese Songs klingen eigentlich nur zufällig so. Das zweite Stück, .You’re The One‘, war der erste Song, den John (McCurry, Co-Autor und Bandmitglied) und ich zusammen geschrieben hatten. Es ist sehr kompliziert, es war ein Alptraum, es aufzunehmen. Und als ich da saß, mit Kopfhörer und Mikrofon, und ein bißchen zu dem Band summte, merkte ich, daß es nicht meine übliche Tonlage war. Nun hatten wir die ganze Arbeit schon gemacht und ich hatte keine Lust, alles nochmal aufzunehmen, deshalb sagte ich ,Ich versuch‘ mal, tiefer zu singen‘, und es gefiel mir! Also dachte ich mir, gut, sie werden das sagen (daß er versucht, nicht wie John Lennon zu klingen), aber schließlich sind ja auch Sachen drauf, bei denen ich .normal‘ singe.“

ME/SOUNDS: Manchmal scheint es, daß du Vergleiche mit John Lennon oder den Beatles geradezu herausforderst. Dieses Eddie-Cochran-ähnliche Stück, das auch von John Lennon hätte stammen können, der Titel „Mother Mary“, die Zitate aus „I Am The Walrus“.

LENNON: „C’est la vie. Mir ist das mittlerweile egal. Es kümmert mich nicht mehr, nach wem oder was etwas klingt, mit wem ich verglichen werden, weil ich im Augenblick sehr glücklich bin mit dem, was ich so tue und schreibe. Und solange ich glücklich bin und es mir gefällt, werde ich den Teufel tun und etwas ändern. Ich könnte sicherlich nachgeben und sagen, Ja, es klingt wie etc. etc.‘, aber das werde ich nicht tun! Auf keinen Fall!“

ME/SOUNDS: Warum hast du die Musik von I’m The Walrus“ verwendet? Als Gag?

LENNON: „Nein, das war kein Gag. Als wir diesen Song aufnahmen, entdeckte ich, daß darin eigentlich alle Einflüsse enthalten waren, mit denen ich jemals zu tun hatte. Als wir damit fertig waren – ich hör’s mir dann immer nochmal an, um rauszukriegen, ob ich noch irgendwas drüberlegen kann – kam mir diese Idee. Und ich dachte:, Gut, ich weiß, daß sie mich dafür zerreißen werden, aber es klingt einfach verdammt gut‘.

ME/SOUNDS: Was bedeutet der Titel des Albums, MR. JORDAN?

LENNON: „Ein Freund von mir arbeitete gerade an einer Zeichnung, auf der ein Engel in den Himmel fliegt und sich dabei die Flügel abreißt, weil er da noch gar nicht hin wollte, eigentlich wollte er zurück auf die Erde, um weiterzuleben und seine Träume zu verwirklichen – eine zweite Chance sozusagen. Außerdem erinnerte ich mich an einen Film, den ich vor Jahren gesehen habe, der „Here Comes Mr. Jordan“ hieß, das Original zu „Heaven Can Wait“. und in dem es um einen Musiker geht, der früh stirbt, und Mr. Jordan hilft ihm zurückzukehren, um seine Träume zu verwirklichen.

In vielen Songs auf der Platte geht es um das Leben, um den Tod, um Glauben und Liebe, und ich hatte das Gefühl, daß der Film in die selbe Richtung geht. Außerdem sehe ich das Album auch als einen Neubeginn, eine zweite Chance, und da besteht für mich die Verbindung.“

ME/SOUNDS: Bei unserem letzten Gespräch hast du gesagt, daß es für dich unwahrscheinlich schwer sei, als eigenständiger Künstler ernstgenommen zu werden und nicht nur ein Name zu sein. Ist das inzwischen besser geworden?

LENNON: „Ich weiß nicht, ich weiß es wirklich nicht. Manchmal denke ich, es ist wie ein Fluch, dann wieder macht es mir gar nichts aus, ein ,Lennon‘ zu sein. Wie ich schon sagte, ich sehe dies als Neubeginn an. Es ist noch zu früh, um ein Urteil abzugeben, aber – so weit, so gut!“