Juliette Lewis über Entscheidungen


Weil die Schauspielerin und Musikerin neue Herausforderungen braucht, trifft sie oft radikale Entschei- dungen. „Angst spielt bei dem Thema eine große Rolle", verrät sie Christoph Lindemann. Foto Nigel Crane

Wenn Juliette Lewis durch die schwach beleuchteten Gänge des 51-Buckingham-Gate-Hotels in London geht, steckt das Personal hinter ihr flüsternd die Köpfe zusammen. Sie ist ein Star – dass sie nur noch selten dreht und kaum in Blockbustern zu sehen ist, hat daran nichts geändert. Als Teenager schon hat sie ihr normales Leben verloren: Ihr früher Aufstieg zur gefeierten Schauspielerin hat sie im Alter von 18 Jahren berühmt gemacht, ganz und gar „verwirrt“, wie sie heute gesteht, und in die Drogensucht getrieben. Die Rehabilitation aber hat sie vier Jahre später zu einer ungemein starken Frau gemacht. Weil Juliette Lewis auch mit 33 noch standig Herausforderungen sucht, hat sie sich nun mit dem Rock’n’Roll ein neues Feld gesucht, in dem sie sich beweisen will. „Ich hab‘ dieses Jahr ein paar wichtige Entscheidungen getroffen“, sagt sie stolz. „Ich hab’zum Beispiel mein Haus verkauft- ich werde eh nur auf Tour sein. Du sprichst mit der Königin der Entscheidungen.“

Du bekommst ständig Angebote für Filme, Theaterstücke, Konzerte… Fallen dir solche Entscheidungen schwer?

Manchmal. Ich musste gerade ein Vorsprechen für einen unglaublich tollen Film mit zwei meiner Lieblingsschauspieler absagen: Joaquin Phoenix und Mark Ruffalo. Ich bin genau zu der Zeit mit der Band auf Tour. Ich hab‘ meinen Agenten gesagt, dass sie die Tournee wie eine Film-Verpflichtung betrachten sollen – ich werde nicht einfach Konzerte absagen. Ich will sicher sein, dass ich alles für meine neue Platte gebe, so wie das jede andere Band auch machen würde.

Besteht die Gefahr, passiv zu werden, wenn man standig Entscheidungen treffen muss, die von Agenten herangetragen werden?Steuern dann andere dein Leben, während du nur noch, „links“ oder „rechts“ sagen kannst?

Als ich jünger war, lief das schon oft so. Schauspieler sind tatsächlich oft sehr passiv – viele Entscheidungen werden ja noch dazu für dich getroffen. Bei Künstlern breitet sich dann gerne Faulheit aus. Oder sie erwarten, dass alles Gute von selbst zu ihnen kommt. Man muss aber die Initiative ergreifen und hart arbeiten, damit das Leben in Bewegung bleibt. Wenn man passiv wird, fängt man an, sich dauernd zu beklagen. Genau deshalb hab‘ ich auch mit der Musik angefangen. Ich will eigene Entscheidungen über mein Leben fällen.

Wie funktioniert die Entscheidungsfindung in deiner Band The Licks?

(Juliette trinkt aus einer großen Karaffe Wasser, hebt aber schon bei der halben Frageden Zeigefinger) Aha dazu hast du wohl etwas zu sagen ? (Sie setzt gerade noch rechtzeitig ab und bricht in Gelächteraus) Also! Pass gut auf! Nein, im Ernst: Ich hoffe, dass ich ein Umfeld schaffe, in dem man sich kreativ einbringen kann. Die Jungs kommen mit Ideen zu mir, und ab und zu lass“ ich sie eine Bridge ausarbeiten oder so. Im Endeffekt aber entscheide ich. Kemble [Walters] zum Beispiel ist jung – er sucht noch ständig die Herausforderung. Er erfindet total komplizierte Gitarrenparts, ich komme aber eher aus der Neil-Young-Schule, wo es ums Gefühl geht. Ein Solo von ihm hatte viel zu viele Noten, das musste er vereinfachen.

„Ich bin der Entscheider und entscheide, was das Beste ist“, wie George W. Bush im April so schön gesagt hat?

FUCK nein! (lacht) Bring mich bloß nicht mit dem in Verbindung. Eher so: Das ist eine Rock’n’Roll-Band, und sie muss einen Chef haben. Sonst irrt man blind herum. Das Riff von „Hot Kiss“ zum Beispiel fand Kemble total doof- zu simple, zu sehr Bar-Rock. Aber mir war das egal, weil es sich gut angefühlt hat. Wenn wir demokratisch diskutiert hätten, gäbe es den Song nicht. Das Label findet ihn supeT, und er wird Single.

Du wolltest seit vielen Jahren Musik machen. Die Entscheidung ist dir aber sehr schwer gefallen.

Sprachen wir nicht gerade von Passivität? Ich hab‘ zehn Jahre lang nicht den entscheidenden Schritt getan.

Manche Entscheidungen schiebt man gerne auf.

Weil es nichts Beängstigenderes gibt, als für eine Entscheidung allein verantwortlich zu sein. Oft werden Leute tatenlos, weil sie Angst davor haben, Verantwortung tragen zu müssen. Wenn ein anderer entscheidet, kann man der Person entweder die Schuld geben oder eben die Früchte ernten. Ich hab‘ lange nicht den Schritt getan, obwohl ich bereits voll und ganz in der Musik aufgegangen bin, nachdem ich mit Drogen aufgehört habe. Musik hat mir mit 22 alles bedeutet. Ich hab‘ mich wie neu gefühlt, aber auch wie ein rohes Ei – verletzlich. Ich hab’damals diesen Traum entwickelt und ständig Texte geschrieben, in Reimen. Ich dachte, dass ich irgendwann bestimmt Musik machen würde. Und dann ging ich plötzlich auf die 30 zu (lacht). Da wurde es langsam Zeit. Irgendwann dann wurde der Wunsch auch größer als die Angst.

Die Angst muss also besiegt werden, bevor man frei entscheidenkann?

Die Angst spielt bei diesem Thema eine große Rolle. Weil man manchmal verrückte Entscheidungen trifft, nur wenn sie Sicherheit versprechen. Ich wehre mich gegen Angst und falsches Sicherheitsdenken. Vor zehn Jahren hätte ich nie vor vielen Leuten auftreten können – bei Menschenmengen sind in mir gewalttätige Gedanken aufgetaucht. Beängstigend, aber völlig irrational. Heute bin ich der Ansicht, dass ich Sachen ausprobieren muss, die neu und unvertraut sind. Das genieße ich jetzt auch: Wie wird das Publikum wohl in Moskau sein? Ich war noch nie in Moskau. Beängstigen dich Entscheidungen, bei denen man sich langfristig binden muss?

Ich glaub‘ schon (lacht). Vor allem in Beziehungen. (halbherzig) Das war nur Spaß. Das Problem ist, dass ich mich immer total einlasse. Ich mein‘ es ernst.

Hat Liebe mit Entscheidungen zu tun ?

(sinkt in sich zusammen) Oh Mann! (ein tiefer Seufzer, dann ein Lachen). Es ist so eine Tragödie… Aber zu deiner Frage – man kann nicht entscheiden, wann man seine große Liebe findet. Das liegt nicht in unserer Hand. Aber innerhalb einer Beziehung gibt es wohl Entscheidungen: Wie achte ich auf den Partner? Gehe ich mit der Beziehung sorgfältig um? Ich bin ein ziemlich starker Mensch, ich kann zu meinen Entscheidungen stehen. Manche Leute können das nicht. Die sind verheiratet und können nicht loyal sein. Wie kann man die eigene Entscheidung so mit Füßen treten?

Sind unsere Entscheidungen denn frei?

Leute sollten sich schon frei entscheiden können. Manche aber werden durch ihre Geschichte, ihre Kindheit und Ängste eingeschränkt.

Werden wir das nicht alle?

Zu einem gewisssen Grad. Manche mehr als andere. Die übernehmen sofort den Quatsch, den sie in einem Magazin über irgendjemanden lesen. Das ist wie bei Werbung. Der dümmste Mensch fährt an einer Reklametafel vorbei, auf der Titten und Bier abgebildet sind – und schon: „ICH WILL BIER!“ (lacht) Total von der Außenweltbeeinflussbar. Das finde ich erstaunlich. Ich versuche selbst, ständig meine Gedanken zu hinterfragen. Ich will Power ofChoicepraktizieren.

Ah – „The Power of Choice & Determinism“, ein Vortrag von L. Ron Hubbard. Hast du bei Scientology viel über Entschlusskraft gelernt?

100 Prozent. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen, aber meine Entschlossenheit ist viel stärker geworden.

Das kann man lernen?

Nicht aus Büchern. Ich hab von Scientology vor allem im Bereich des „Processing“ profitiert, das ist eine Art Therapie. Man spricht über schmerzhafte Erlebnisse aus der Vergangenheit. Wenn man die konfrontiert, verlieren sie ihre Kraft und man wird nichtmehr von versteckten Ängsten kontrolliert. Erkennt man alte Muster, kann man in der Zukunft frei entscheiden.

Hosf du richtig dumme Entscheidungen getroffen?

(lacht) Oh ja. Vor allem in meinem Privatleben. Die Schwierigkeit ist, die Balance zwischen Leidenschaft und Ratio zu finden. Man muss bei einer Entscheidung die Konsequenzen berücksichtigen, will aber nicht überanalytisch sein. Man kann aber nichtnur impulsiv entscheiden. Nur nach den Gefühlen zugehen, ist manchmal auch unehrlich.

Vertraust du deinem Bauchgefühl?

Schon. Aber man muss aufpassen. Besonders bei Entscheidungen, die mit Liebe zu tun haben. Ich bin Künstlerin, ich hab‘ eine blühende Fantasie. Manchmal erträumt man sich eine Illusion, die wird dann so groß (lacht). Die Realität ist schon auch nicht ganz unwichtig. Wenn Leute oft fragen, ob ich was bereue fuck, ja! Ich würde ein paar Sachen anders machen. Ich habe anderen und mir selbst unnötigen Schmerz zugefügt. Zur Zeit geht es mir aber gut. Mir tut nichts weh. www.julietteandthelicks.com FOUR ON THE FLOOR, DAS NEUE ALBUM VON JULIETTE & THE LICKS, ERSCHEINT AM 29. SEPTEMBER 2006 BEI PIAS