Kapitalismus abschaffen!


Sie wollen rocken. Sie wollen Rick Rubin loben, Gitarrenbretter und Erdrutsche und die Revolution für alle. Sie wollen den Kapitalismus loswerden und die Klam- mern in ihrem Bandnamen gleich dazu. Na denn, The (Inter- national) Noise Conspiracy, viel Erfolg!

Sollten sie nicht längst verschwunden sein, die sperrigen Klammern im Bandnamen? Wollte die schwedische (International) Noise Conspiracy nicht mit den Jahren zu einer Art Rock’n’Roll-Vielvölker-Kollektiv werden, eben international, wie es ihr Frontmann einst verkündete? Dennis Lyxzen lacht, lehnt sich etwas verlegen nach vorn, und für einen Moment verhängen die schwarz gefärbten Haare seine freundlichen Augen. Man hat ihn sich anders ausgemalt, den Gründer und Vorsteherder großen Verschwörerschaft: weniger umgänglich, trotziger. Wie ein Rebell wirkt Lyxzen jedenfalls nicht an diesem Donnerstagabend im Hof der Live Music Hall in Köln, wo seine Band später

vor ausverkauftem Haus spielen wird. „RAF steht auf einem Button an seinem Jackett, „Free Palestine“ auf einem anderen. Aber buntes Blech am Revers genügt wohl kaum, um ihn als Kopf der laut L.A. Times „politisch radikalsten Band der Welt“ auszuweisen. Sieht er es denn selbst so?

„Wir sind eine sehr politische Band, keine Frage. Aber die radikalste der Welt? Es gibt bestimmt Punks da draußen, die, wenn sie nicht gerade Musik machen, raus auf die Strafle gehen und Molotow-Cocktails werfen. Die waren dann wohl doch ein ganzes Stück radikaler als wir.“

Zurück zu den Klammern. „wir sind zwar nach wie vor nur Schweden in der Band, aber fürs neue Album wollten wir sie eigentlich loswerden. Das Artwork war schon fertig ohne. Dann hoben wir uns gedacht: Das sieht nicht aus, da fehlt was. Also haben wir’s verworfen. Hm. Vielleicht zur nächsten Platte.“ Bleiben wir aber bei armed luve, die Mitte Juli in die Läden kommt. Schließlich gibt es da viel zu erzählen. Etwa, dass Über-Produzent Rick Rubin an den Reglern safi und das Album außerhalb Europas auf seinem exklusiven Label American erscheint. „Eine abgedrehte Geschichte ist das mit Rick. Irgendwann letztes Jahr bekam ich eine E-Mail von ihm: „Hey Jungs, kann ich euer nächstes Album machen?‘ Einfach so. Ich komme mir immer noch vor wie ein kleiner Punker aus Schweden, dem Rick Rubin versehentlich seine Dienste angeboten hat. „

Dabei war die Zusammenarbeit auf Seiten Rubins von langer Hand geplant. Bereits 2000, bei ihrem US-Tourdebüt in Kalifornien, hatte der rauschebärtige Produzenten-Guru The llnternationall Noise Conspiracy live gesehen und ihren Werdegang seither verfolgt. Ende 2003 dann, über zweieinhalb Jahre nach dem großartigen zweiten Album a new morning. changing weather, schien ihm die Zeit reif: Für neun Wochen „drei Mal so viel Zeit wie wir sonst haben “ holte er Sänger Lyxzen. Gitarrist Lars Strömberg, Bassist Inge Johansson und Drummer Ludvig Dahlberg [Gitarristin/Keyboarderin Sara Almgren ist im Herbst 2003 ausgestiegen, offiziell „aus privaten Gründen“, die wohl etwas mit dem Verhältnis Almgrens zum Gitarristen der Division Of Laure Lee zu tun haben, das ihre zwölfjährige Beziehung zu Lyxzen auf so schmerzhafte Weise beendete, dass kurzzeitig der Fortbestand der ganzen Band in Frage stand;,, es ist ja in solchen Fällen immer schwierig, von ‚Schuldigen‘ sprechen, aber sie war in dem Fall ganz klar die Böse“, sagt eine der Band nahestehende Quelle] ins Studio seiner Privatvilla in den Hollywood Hills“, Unser Hotel log gleich gegenüber. Morgens mussten wir nur in die Flip-Flops schlüpfen, über die Straße, und schon waren wir in Ricks Wohnzimmer. Da, wo er mit Johnny Cash die letzten Platten aufgenommen hat. “ Gewaltig ist Lyxzens Respekt vor Rubin und seinen Fertigkeiten, das ist nicht zu überhören. „Du kommst auch gar nicht erst auf die Idee, seine Autorität in Frage zu stellen. Wenn Rick dir sagt, dass ein Song scheiße ist, nimmst du das ernst.“ Und ziehst deine Konsequenzen: Von den 20 Songs, mit denen die Band aus Schweden angereist war, schaffte es nur die Hälfte auf armed love. Dafür gibt’s darauf jetzt auch keine Füllsel. Kräftig und rau rockt die Platte, schnörkellos, zwingend drängen die Songs nach vorn. Allenfalls mal eine Orgel, ein brüllendes Saxophon, ein Gitarrenbrett jetzt, wo auf a new morning, changing weather noch reichlich Platz für Chöre, Percussion und funky Bläsersätze war. Auch das ein Verdienst des Produzenten? „Weniger. Es waren schon wir, die gesagt haben: Auf diesem Album wollen wir Lärm hoben. Rick not vielmehr dafür gesorgt, dass armed love trotz allem poppiger ist als unsere Platten bisher. Poppig in dem Sinn, dass die Songs straight auf den Punkt kommen. Er wusste, was aus uns rauszuholen ist, und hat uns gepusht. bis er uns hatte, wo er uns wollte.“

Nur weil The (International] Noise Conspiracy dem Pop ein paar Schritte entgegen gegangen ist, hat sie die politische Haltung in ihren Texten nicht über den Haufen geworfen. Im Gegenteil: „Wir machen Musik um der Politik Willen. Wenn wir nicht unsere Ansichten vermitteln könnten, würde es diese Band nicht geben. “ Und auch nicht so schön plakative Refrains wie diesen:

„Let’s all share our dreams under a communist moon.“ Ist es das endlich, das ideologische Bekenntnis, das niemand der Band bislang abzuringen vermochte? Lyxzen wiegelt schon ab. „Wir sind keine Kommunisten. Aber wenn wir .socialist moon’singen würden, kämen die Leute in den USA daher: ,0h toll, Sozialisten – so wie AI Gore!‘ Und bei. anarchist moon‘ hätten die meisten wohl Assoziationen von Chaos und Zerstörungswut. Darum legen wir uns in diesem Song auf den Kommunismus fest. Das ist wenigstens unmissverständlich. „

Und am Ende heiligt der hehre Zweck sowieso die Mittel: dass die Leute über die Musik zurückfinden zur Auseinandersetzung mit politischen Inhalten. „Es gibt in dieser beschissenen Zeit eigentlich nur zwei Möglichkeiten, sich Politik gegenüber zu verhalten. Entweder man kehrt allem den Rücken – oder man beginnt zu begreifen, dass die Politik das eigene Leben wesentlich beeinflusst. Dass es Zeit wird, seinen Arsch hochzukriegen und den Mund aufzumachen. Ich glaube, die Leute tendieren immer mehr dorthin.“

Revolution. Die von der (International) Noise Conspiracy so viel und gern besungene. Ist sie am Ende vielleicht doch nicht mehr ganz fern?

„Lass uns nicht drumrum reden: Wenn wir die Probleme dieser Welt in den Griff kriegen wollen, müssen wir den Kapitalismus als bestimmende Sozial- und Ökonomie-Ordnung überwinden und einem anderen System die Chance geben. Es geht mir nicht um eine Revolution für mich und meine paar Freunde. Ich will sie für jeden. Mit jedem.“

Müsste er den Geist von armeo love an einer einzelnen Textzeile festmachen, Lyxzen würde folgende wählen: „We all together just like a tandslide. „Beinahe euphorisch fügt er an: „Genau darum geht es: sich zu organisieren, sich mit Leuten zusammenzutun, die die eigenen Ideen teilen!“ Was für ihn und das Fortkommen seiner Band konkret was bedeutet? „Nun ja, wir könnten europaweit Musiker rekrutieren, um mit ihnen neue Noise Conspiracies zu gründen. In Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien. Dann wäre es endlich eine internationale Noise Conspiracy. „Und die Klammern im Namen könnten weg.“