Karthago


So wie der Karthager-Fürst Hannibal vor rund zweitausend Jahren noch lange nicht am Ende war mit seinem Latein, als er mit seinem Heer über die Alpen kraxeln mußte, so ließ sich auch das Berliner Team "Karthago" nicht von dem musikalischen Kurs abbringen, mit dem es im letzten Jahr eigentlich schon sein Testament gemacht hatte. Und siehe da - auf ihrer nagelneuen Live-Doppel-LP, die während der Januar-Tournee in der Hamburger "Fabrik" sowie im Berliner "Roxy Palast" aufgenommen wurde, sind die "Karthager" lateinischer denn je.

Reden wir aber zunächst von den Enttäuschungen und Schwierigkeiten, die Sänger/Gitarrist Joey Albrecht mit seiner Mannschaft zu überwinden hatte, bevor im Sommer ’75 das Ende der Gruppe endgültig festzustehen schien. Da gab es zunächst einmal eigentlich von Beginn an sowas wie eine latente Dauerkrise. Joey stand als Sänger nun mal zwangsläufig im Vordergrund, obwohl man doch als Band darauf baute, daß nur die Gleichwertigkeit aller Musiker den optimalen Output garantieren konnte. Es hat lange gedauert, bis man sich gruppenintern an das heute wie selbstverständlich praktizierte Karthago-Konzept gewöhnte, das am ehesten noch mit dem zu vergleichen ist, was John Mayall mit seinen dauernd wechselnden Bluesbreakers auf die Beine stellte. Das Umbesetzungskarussell stand denn auch nie so richtig still, seit Joey sich Anfang 1972 mit Ingo Bischof (Piano), Gerald Luciano Hartwig (Baß) und Tommi Goldschmidt (Drums) zusammenraufte, um als ganz gewöhnliche Newcomer-Gruppe die damals noch recht frische Deutsch-Rock-Szene zu bereichern. Mit der Profilierung, bei der sich viele neue Bands oft schwertun, klappte es bei Karthago ungewöhnlich schnell. Tommi Goldschmidt, der nicht nur ein waschechter Südamerikaner ist, wollte dies auch zeigen und räumte bereits nach einigen Wochen den Schlagzeughocker, um von da an hinter den Congas herumzuwirbeln. Der neue Drummer hieß Wolfgang Brock. Was zu diesem Zeitpunkt dringend fehlte, war ein erster großer Achtungserfolg, der am schnellsten dafür sorgen würde, daß man von einer Plattenfirma einen akzeptablen Vertrag angeboten bekam.

Kid Jensen brachte den Stein ins Rollen

Dieser Erfolg stellte sich beim Auftritt auf dem 2. British Rock Meeting in Germersheim ein. Karthago rangierte zwar unter den relativ unbekannten Gruppen, die als Rahmenprogramm für solche Größen wie Pink Floyd beziehungsweise Wishbone Ash fungierten, was den populären Bühnenansager Kid Jensen (Radio Luxemburg) jedoch nicht daran hindern sollte, zu betonen, daß er die Berliner für die beste deutsche Formation hielt, die er jemals gehört hatte.

Ein ausreichendes Angebot für die Plattenfirma BASF, bei der die Karthager kurz darauf ihren ersten Vertrag unterschrieben. Das Album Nr. 1 erschien noch im Spätsommer ’72. Es untermauerte mit einigen guten Kompositionen den Erfolg der Aktivitäten, die der Gruppe in der darauffolgenden Zeit bevorstanden. Unzählbare Konzerte, vor allem in Deutschland und in der Schweiz, die das Publikum in schöner Regelmäßigkeit von den Stühlen rissen, festigten den Ruf, wirklich eine der aufregendsten deutschen Live-Bands zu sein. Es dauerte dennoch beinahe bis Ende 1973, bevor das zweite, ebenfalls von der BASF veröffentlichte, Album „Second Step“ erscheinen konnte. Doch bevor es soweit war, machte das bereits am Anfang erwähnte Karthago-Karussell erneut die Runde. Wolfgang Brock hing die Trommelstöcke an den Nagel, seinen Platz nahm jetzt Epitaph-Drummer Norbert „Panzer“ Lehmann. Erst ein gutes Jahr später vernahm man neue Lebenszeichen von Wolfgang. Als AI Brock trommelte er in der Zeit ein paar Monate bei den Rattles, mit denen er unter anderem die LP „Gin Mill“ aufnahm. Danach wurde es erneut still um ihn.

Neue Plattenfirma

„Second Step“ erwies sich als ein Album, auf dem es den Karthagern darum zu gehen schien, sich selbst zu beweisen, wie verdammt gut man doch musikalisch versiert war. Überaus undurchsichtig ineinander verschachtelte Kompositionen brachten den vielgerühmten Drive der Karthager nur allzuleicht ins Stocken. Das abnehmende Interesse an großangelegten Deutsch-Rock-Festivals tat ein übriges, um die Band in eine Krise größeren Ausmaßes zu steuern. Gerald Luciano Hartwig stellte seinen Baß in die Ecke und sorgte dafür, daß in Berlin die unglaublichsten Gerüchte über ihn im Umlauf waren. Die Brüder Conny und Marcellus Hudalla, die als „Management“ von Anfang an immer dann noch die Nerven behielten, wenn dieselben bei den Musikern überbeansprucht waren, äußerten ihre Unzufriedenheit mit der BASF und machten sich intensiv auf die Suche nach einer geeigneten neuen Plattenfirma.

Der Jethro Tull-Bassist war die Rettung

In Form des Ex-Jethro Tull-Bassisten Glen Cornick half der Zufall den Latin-Rockern von der Spree schließlich wieder auf die Beine. Den berühmten Engländer hatte es nach der Auflösung seiner wenig glücklichen Formation „Wild Turkey“ unvermittelt zu den Karthagern gezogen, was Joey Albrecht und seinen Freunden dringend gebrauchte Publicity verschaffte. Ein wohl nicht unwichtiger Anlaß für die Frankfurter Bellaphon, jetzt schleunigst mit einem Plattenvertrag zu winken. Auf diese Weise konnte im Herbst ’74 in einem Londoner Studio endlich ein drittes Karthago-Album aufgenommen werden. Als es einige Wochen darauf unter dem Titel „Rock’n’Roll Testament“ erschien, konnten alle treugebliebenen Fans mehr als zufrieden sein. Die LP überzeugte vor allem durch dynamische Kompositionen, die dem Live-Stil der Gruppe viel besser angepaßt waren als alles, was man vorher aufgenommen hatte. Als Glen Cornick Anfang ’75 nicht zuletzt wohl auch aus Heimweh nach England zurückging, gesellte sich G. L. Hartwig erneut zu seinem alten Team.

Zu allem Überfluß stieg in diesem Moment neben „Panzer“ Lehmann, der wieder bei Epitaph drummen wollte, auch noch der Keyboard-Mann Ingo Bischof aus, weil er sich von einem Gruppenwechsel eine interessante Abwechslung versprach. Da es bei der Kommunikation mit den Kraan-Leuten, mit denen er ein paar Monate zusammenlebte, auch nicht so richtig klappen wollte, sah man Ingo schon bald wieder bei Karthago. Ungelöst ist bis heute lediglich noch die Sache mit dem Drummer. Für die Tournee im Januar ’76 konnte man einen guten Fang machen und den Atlantis-Drummer Ringo Funk verpflichten. An der Tournee nahm übrigens auch der „Hardcake Special“-Gitarrist Reinhart Bopp teil. Und es scheint, daß Joey Albrecht sich als Mini-Mayall eigentlich ganz wohl fühlt.