„Kleine Diamanten in seinen Augen“


Jedes dieser Bilder erzählt eine Geschichte. Und diese hier erzählen Geschichten von ANTONY HEGARTY.

1 Angela Merkel und Hillary Clinton

Auf Antonys neuem Album Cut The World findet sich das gesprochene Manifest „Future Feminism“. Darin fordert Antony einen Wechsel hin zum Matriarchat.

Ich habe weniger eine Meinung über eine einzelne Frau oder eine Matriarchin. Mir geht es um das große Ganze. Es muss eine Bewegung hin zu einem femininen System geben. Wir müssen Wissen aus möglichst vielen Gruppen unserer Gesellschaft sammeln. Viel zu lange haben wir uns auf hierarchische Systeme verlassen, auf quasi-militärische Formen der Organisation. Heutzutage funktionieren Frauen in männlichen Systemen und machen einen tollen Job, wie Hillary Clinton oder Angela Merkel. Doch wir brauchen einen fundamentalen Wechsel. Man sagt, dass sich die Art der Kommunikation schon ändert, wenn nur 30 Prozent einer Gruppe Frauen sind. Was würde erst passieren, wenn an einem Konferenztisch 60 Prozent Frauen säßen?

2 Radio City Music Hall

In New York fand im Januar Antonys bislang letztes großes Konzert statt: Mit einem 60-köpfigen Orchester wurde eine „Meditation aus Licht, Natur und Weiblichkeit“ auf die Bühne gebracht, produziert vom Museum of Modern Art.

Es war ein großer Traum von mir, dort einmal spielen zu dürfen. Der Saal fasst 6 000 Menschen. Es ist besonders geformt, beinahe rund, so etwas habe ich noch nie gesehen. Er erinnert an ein Flughafen-Hangar, vielleicht auch einen Käfig, und besitzt etwas sehr Mystisches. Ich werde den Auftritt dort niemals vergessen. Es hat sich angefühlt, als wäre ich im Zentrum eines Windkanals oder im Auge des Orkans. Es gibt so viel Platz und Raum. Es hat sich so angefühlt, als ob diese 6 000 Menschen direkt durch meinen Körper strömen.

3 Elizabeth Fraser

Die ehemalige Sängerin der Cocteau Twins ist beim von Antony kuratierten Meltdown-Festival Anfang August in England dabei.

Elizabeth wird dort das erste Mal überhaupt solo spielen – mit neuen Songs! Dass sie zugesagt hat, hat mich sehr überrascht, sie ist nämlich eine ziemlich schüchterne Person. Die Halle, in der sie auftreten wird, ist mit einem Fassungsvermögen von 2 000 Leuten aber auch nicht so riesig, es bleibt also noch ziemlich intim. Als die Anfrage kam, das Meltdown zu kuratieren, habe ich keine Sekunde gezögert. Ich wollte Künstler dabeihaben, die etwas zu sagen haben. Mein Augenmerk legte ich auf revolutionäre Sängerinnen. Pionierinnen, die auch Unpopuläres angesprochen haben. Frauen wie Diamanda Galás, Laurie Anderson und Selda Bagcan, eine großartige, revolutionäre Folk-Sängerin aus der Türkei, eine meiner absoluten Lieblingsmusikerinnen.

4 Marsha P. Johnson

Von der 1992 verstorbenen Trans-Gender-Aktivistin und Drag Queen ist der Bandname „The Johnsons“ abgeleitet. Dieses Jahr soll eine Dokumentation über ihr Leben erscheinen. Antony ist am Soundtrack beteiligt.

In meinen ersten Interviews sprach ich viel darüber, dass der Name meiner Band sich auf sie bezieht. Sie ist in der Schwulenbewegung zu einer Art Mythos geworden. Gemeinsam mit Sylvia Rivera gründete sie in den 70er-Jahren die Organisation S.T.A.R., die Street Transvestite Revolutionary Activists. Sie waren Straßenprostituierte, vor allem aber revolutionäre Denker. Der Filmemacher Michael Kasino hat jetzt einen Dokumentarfilm über Marsha gedreht, in dem einige meiner Songs vorkommen. Es ist nicht einfach, solche Produktionen zu realisieren: Man bekommt kaum Gelder zusammen, und es ist schwierig, Menschen zu finden, die etwas darüber erzählen wollen. Viele aus der Community sind einfach sehr misstrauisch. Die Basis für seinen Film ist ein Videoporträt von Marsha, das er nur sechs Tage vor ihrem Tod aufnahm. Auch ich hatte noch das große Glück, sie einmal zu treffen.

5 Willem Dafoe

Der Schauspieler bekleidet die männliche Hauptrolle in dem Multimedia-Theaterstück „The Life and Death of Marina Abramovic“, zu der Antony die Musik schrieb. Der Titelsong von Cut The World stammt daraus.

Es ist sehr inspirierend, einen Schauspieler wie ihn auf der Bühne zu erleben. Er ist so lebhaft. Ich habe keine Ahnung, woher er seine überschäumende Energie nimmt. Man sieht quasi einem Magier bei der Arbeit zu. Ich habe zuvor schon bei Steve Buscemis Film „Animal Factory“ mit Dafoe zusammengearbeitet (2000). Steve und Willem kommen beide aus der New Yorker Downtown-Theaterszene. Willem war schon immer sehr warmherzig zu mir. Lange Zeit, bevor mich jemand kannte, kam er zu meinen Konzerten. Er ist ein großartiger Schauspieler und ein goldener Mensch. Und so lustig. Aber er hat auch etwas Wildes an sich. Man kann das in seinem Blick sehen. Das sind kleine Diamanten in seinen Augen.

6 Der Lorax

Die Figur aus dem gleichnamigen Buch von Dr. Seuss aus dem Jahr 1972 war der erste Cartoon-Umweltaktivist. In diesen Tagen läuft der Film „Der Lorax“ an. Auch Antony ist Umweltschutz extrem wichtig.

Die Natur ist in einem katastrophalen Zustand. Ich selbst tue, was ich kann. Andererseits: Hierher zu fliegen war ja schon wieder destruktiv, ein schwieriges Thema für mich als Künstler. Es scheint, als ob die Menschen auf den einen Experten warten, der das alles wieder hinkriegt. Wie Laurie Anderson in ihrem Song singt: „only an expert can deal with the problem“. Aber ich weiß nicht, ob Politiker das im Kapitalismus überhaupt können. Viele Unternehmen sind mächtiger! Die bisherigen Veränderungen greifen weder schnell noch tief genug. Und doch habe ich die Hoffnung, dass es einen Wechsel im kollektiven Bewusstsein geben wird, und dass Frauen die Macht übernehmen. Es ist wie die Kraft des Meeres. So als wüssten wir gar nicht, was wir alles schaffen können. Alles was nötig ist, ist, dass wir uns unserer eigenen Kräfte besinnen.

7 Leigh Bowery

Der 1994 gestorbene Bowery war Model, Designer, Popstar, Schauspieler und Enfant Terrible – und eine der wichtigsten Inspirationsquellen für Antony.

Sein Einfluss auf die heutige Mode ist riesig. Jemand wie Alexander McQueen wäre ohne ihn nicht denkbar. Es gibt einen amerikanischen Fashion-Designer namens Nick Cave (nicht der Musiker – Anm. d. Red.), der auch direkt von Leigh beeinflusst wurde, er gibt es aber nicht zu. Dazu fällt mir ein Spruch ein: „Divorce from the source“. Bedeutet: Wenn deine Inspirationsquelle zu offensichtlich ist, dann erwähnst du sie lieber nicht. Das trifft auf sehr viele Künstler zu. Viele andere, mich eingeschlossen, schmücken existierende Ideen aus. Und dann gibt es ganz selten diese Künstler, die ein völlig neues Alphabet erfinden, aus der andere dann ihre Sprachen ableiten. Leigh war so jemand.

8 Peter Hujar

Der 1987 verstorbene Fotograf war lange Zeit der Chronist der Queer Culture New Yorks. Er fotografierte u.a. Antonys Helden Kazuo Ohno und Candy Darling. Hujar starb an den Folgen von AIDS.

Einer meiner Lieblingsfotografen! Er sieht auf diesem Selbstporträt auf eine lustige Art sehr attraktiv aus. Die Downtown-Community von New York liebte ihn. Er war ein Vorbild für viele Fotografen und andere Künstler von Nan Goldin bis Robert Mapplethorpe. Ich habe einmal anlässlich seiner ersten großen Ausstellung für den „Guardian“ einen großen Artikel über ihn geschrieben. Er hat festgehalten, was beinahe unsichtbar war und agierte dabei immer mit großer Rücksicht. Ein sehr seelenvoller Fotograf: ob er nun Menschen, Tiere, Bäume oder gar Müll abgelichtet hat. Es ist, als hätte er Bilder in dem Zwischenraum von Licht und Dunkel geschossen.