Kohl & the Gang


"Politisch Lied, ein garstig Lied." So ließ in weiser Voraussicht der große Goethe den Student Brander in "Faust I" sprechen. Doch was sich anno 1986 in Bonn am Rhein zutragen sollte, das konnte selbst ein so genialer Seher wie Goethe nicht erahnen. Bonner Perspektiven von Dr. Gonzo.

Alles begann damit, daß dank der Indiskretion eines Hamburger Nachrichtenmagazins durchsickerte, Helmut Kohl habe nach einem neuerlichen Blackout in völliger Verkennung der Situation beschlossen, eine Single mit dem Alice Cooper-Titel „Elected“ aufzunehmen.

In der SPD-Baracke war man angesichts dieser Ungeheuerlichkeit zunächst wie gelähmt, doch dann hatte der flinke Glotz die Idee zum Konterschlag: „Bruder“ Johannes Rau wurde mit Dieter „Rambo“ Bohlen ins nächstbeste Studio gejagt, wo dann in affenartiger Geschwindigkeit eine etwas synthi-lastige, aber dennoch tanzbare Coverversion des alten Blue Cheer-Hits „I Am The Light“ entstand.

Bei der CSU, der F.D.P. und den Grünen war man zunächst baff ob solch ungewöhnlicher Aktivitäten, doch als sich „Bruder“ Johannes‘ Nümmerchen weit vor Birnes musikalischem Armutszeugnis in den Charts plazieren konnte, als sich sogar „Formel I“ für den wackeren Sänger aus Düsseldorf interessierte, da brach im biederen Bonn ein neuer „Sängerkrieg in der Hasenheide“ (James Krüss) aus.

Selbst die Hinterbänkler, die jahrelang durch eisernes Schweigen und unverdrossenes Aussitzen geglänzt hatten, erkannten plötzlich die Popmusik als ideales Vehikel, die gesunkene Akzeptanz beim jungen Erwachsenen (sprich: dem Jungwähler) wieder zu steigern.

Die Grünen begannen mit einem deftigen Ausrutscher, denn Joschka Fischer ließ es sich nicht nehmen, das „Arschloch“, das er einmal Stücklen an den Kopf geschmettert hatte, nun in gesungener Form als „You’re Nothing But A Hounddog“ noch einmal an den selben Adressaten zu richten.

„Bild“, „Welt“ und Löwenthal schäumten unisono, doch Fischer-Kollege Trampen verstand die Wogen mit einer hervorragenden Randy Newman-Adaption von „Political Science“ (Rückseite: Dylans „The Times They Are A Changin'“) wieder zu glätten.

Und was vernahm man aus dem Lager der Freidemokraten? Nun, zunächst versuchte es Lambsdorff, von fiesen Zeitgenossen auch als „Graf Krücke“ tituliert, völlig hoffnungslos mit dem Schmachtfetzen „Don’t You Forget About Me“. und Genscher entblödete sich kurz darauf nicht, den Phil Ochs-Titel „Love Me. I’m Liberal“ aufs Volk loszulassen, aber besagtes Volk —- mittlerweile schon fast an auch musikalisch dilettierende Politiker gewöhnt -— hustete beiden „Liberalen“ was. Fazit: F.D.P.-Flops.

Dann aber meldete sich mit der Tony Wilson-Nummer „The Politician (A Man Of Many Words)“ erwartungsgemäß auch der „starke Mann“ aus Bayern. Franz Josef Strauß, zu Wort. Doch im Gegensatz zu seinen alljährlichen Kreuther Aschermittwochs-Brandreden, die im Freistaat auch den letzten Wastl in Rage und Verzückung versetzten, geriet dem Eisenfresser und ewigen Schattenkanzler dieser Titel zum schlaffen Barry Manilow-Abklatsch. Ob’s am Wastl-Produzent Giorgo Moroder gelegen hat? Wir wissen es nicht.

Einen äußerst dummen Fehler begingen auch der „Arbeitsbeschaffungsminister“ Blüm und der „Heinrich fürs Grobe“, Lummer, als sie sich im Duett an Randy Newmans „Short People“ machten. Kaum der englischen Sprache mächtig, hatten es die beiden Skandal-Zwerge nämlich übersehen, daß es in einer Refrain-Zeile des Newman-Songs ganz richtig „ain’t got no reason to live“ heißt.

Eine böse Schlappe erlebte auch der „Propaganda-Minister“ (Titanic) Heiner Geißler, der sich —- wie immer gekonnt völlig daneben —- an einer lOcc-Nummer vergriff und die irrige Behauptung „Reds In My Bed“ auf die Plattenkäufer losließ.

Ihm und einigen anderen schmetterte schon ein paar Tage später der gewiefte Otto Schily ein donnerndes „Lies, Lies, Lies“ (Bill Horowitz) entgegen.

O Mann, o Mann, wie nun die musikalischen Sitten verrohten. Die SPD z.B. reaktivierte ihren „alten Mann“ Herbert Wehner, und der debütierte — von hörbaren Zügen aus der Bryere-Pfeife untermalt — mit einer, Kohl gewidmeten, Pete Seeger-Attacke namens „Waist Deep In The Mud“. Richard Weizsäcker, unser Bundespräsident, versuchte zwar mit „Trouble Coming Everyday“ von den Mothers Of Invention und „Eve Of Destruction“ von Barry McGuire die Wogen zu glätten, doch irgendwie war der politische Karren schon viel zu tief im Dreck.

Das zeigte sich ganz besonders, als der F.D.P.-Zampano und -Wadenbeißer, der Staatsminister Möllemann (Wehner: „Riesenstaatsminister Mümmelmann“) plötzlich der völlig irrigen Auffassung war, auch eine Single in den Sängerwettstreit werfen zu müssen. Mal abgesehen davon, daß er sich von den heimischen Talenten Alphaville (Münster) begleiten ließ, geriet ihm der Blondie-Titel „Contact In Red Square“ zum völligen Flop, wo doch jeder weiß, daß Mümmelmann seine Kontakte stets bei den gebefreudigen Scheichen und nicht bei den klammen Russen gesucht hat.

Eine freie Wählerliste aus dem südlichen Schwarzwald meinte zwar ob des Staatsministers Aktivitäten mit einer im Heimstudio aufgenommenen Randy Newman-Version von „Spys“ politisches Land gewinnen zu können, doch diese musikalische Unterstellung ist dem reisefreudigen „Frei“-Demokraten im Scheich-Zelt zu Abu Dabi sicher nicht zu Ohren gekommen.

Ihr fragt, wie der Plebs, das Volk, der Pöbel, das Stimmvieh auf eine derartige akustische Umweltverschmutzung (mit wenigen Ausnahmen; man denke nur an Petra Kellys mutiges „Sex As A Weapon“) reagiert hat.

Nun, erwartungsgemäß verteilten sich die „mündigen Bürger“ auf mehrere Lager: Während die CDU/ CSU-Treuen sich unter der Leitung von Maestro Gotthilf Fischer für Joan Baez‘ „With God On Our Side“ entschieden, die Grünen-Anhänger „Snoopy For President“ von den Royal Guardsmen zu neuem Leben erweckten, und Helmut Kohl, soeben aus seinem Österreich-Urlaub zurückgekehrt, ein völlig überflüssiges „How I Spent My Summer Vacation“ von Cat Mother hinterherzuschicken müssen glaubte, hatte sich „Bruder“ Johannes mit dem „Vote For Me“ von Chicago bereits eine Menge Sympathien gesichert.

Doch just da meldete sich mit der Who-Version „Won’t Gct Fooled Again!“ ein Prophet aus dem Volke. Augenzeugen behaupten, er habe wie Wolfgang Neuss ausgesehen …