Kojoten, die wie schreiende Kinder klingen – Man gewöhnt sich daran


Eine Auszeit in der Blockhütte, Karohemd und Bartgestrüpp. Unzählige Folkbands stürmen zurzeit die Charts. Neo-Romantik verkauft sich blendend. Was ist dran am Klischee der melancholischen Naturburschen? Wir haben Jonas Bonetta, alias Evening Hymns zum Interview getroffen.

Mit seinem riesigen Schlapphut und dem wilden Bartgestrüpp ist Jonas Bonetta, Gründer von „Evening Hymns“, eine recht auffällige Erscheinung. Das Karohemd rundet den Holzfäller-Look ab, mit dem zurzeit unzählige junge Burschen musikalisch Wald-und Wiesen-Romantik beschwören. Wir trafen den Kanadier Jonas Bonetta zum Gespräch.

Jonas, Du hast gesagt, dass Du beim Song-Schreiben Isolation brauchst. Warum?
Wir hatten großes Glück, dass wir eine Blockhütte mitten im Wald gefunden haben, zu der wir sozusagen entfliehen konnten. Ich habe dort den ganzen letzten Winter mit den Aufnahmen verbracht, das ganze Album ist dort entstanden. Jetzt kann ich jederzeit dorthin zurückkehren und in kompletter Stille arbeiten. In Toronto wäre das nicht möglich, ich habe dort nicht einen einzigen Song geschrieben.

Wie lange hast Du für die Entwicklung der Songs auf „Spectral Dusk“ gebraucht?
In dem Album geht es darum, dass ich meinen Vater verloren habe, das ist drei Jahre her. Wahrscheinlich sind es ungefähr anderthalb Jahre gewesen, in denen ich an ihn gedacht und die Songs geschrieben habe. Immer wenn ein Song fertiggestellt ist, sperre ich ihn weg, damit er genau das konserviert, was ich zu jenem Zeitpunkt gefühlt habe … Ergibt das Sinn?

Deine Musik ist ja ein kollaboratives Projekt …
Ich habe eine Menge Freunde, die Musik machen, die Szene in Toronto ist wunderbar. Wenn ich zum Beispiel eine Idee für einen Geigen-Part habe, dann frage ich immer Mika von Timber Timbre, sie ist meine absolute Lieblingsgeigerin.

Deine Songs sind sehr persönlich. Ist es nicht komisch, das mit all diesen Leuten zu teilen? Auch wenn es enge Freunde sind?
Mein Vater war sieben Jahre lang krank, bevor er gestorben ist, und alle meine Freunde wussten davon, oder hatten ihn sogar schon getroffen. Ich habe die Leute auf meinem Album durchaus danach ausgesucht, dass wir diese Erfahrung teilen.

Es waren also Leute, mit denen Du ohnehin schon über das Thema gesprochen hast?
Ja, definitv. Schau, Ich würde niemals sagen: Hey! Ich habe da ein paar traurige Songs über den Tod meines Vaters, lass uns diese Studio-Musiker anheuern, die mir ein paar schicke Soli dazu machen.

Stimmt es eigentlich, dass Du in einer Sägemühle gearbeitet hast? Das klingt schon alles sehr klischeehaft für einen Folkmusiker…
Ich weiß! Ich denke, der einzige Unterschied ist, dass ich das wirklich gemacht habe. Ich versuche, das nicht zu betonen, weil es so klischeehaft ist.

Das ist es allerdings, das wirst Du zugeben müssen …
Die ganze Sache, dass ich die Aufnahmen in einer Blockhütte im Norden gemacht habe – jeder sagt jetzt: „Oh, das ist ja wie bei Bon Iver!“, aber nur weil er das gemacht hat, heißt es doch nicht, dass es niemand Anderes mehr tun darf! Aber ja, der Lebenstraum meines Vaters war es, eine Sägemühle zu besitzen. Die Sägemühle ist mobil, ich bin immer ein paar Stunden damit in den Wald gefahren und habe dann allein im Zelt geschlafen. Wir haben die Mühle nicht mehr, aber ich würde es wahrscheinlich wieder machen. Es ist sehr schön, Bäume zu fällen und Holz daraus zu machen.

Ist das Zerschneiden generell ein Thema, das Dich auch in Deinen Songs, wie etwa „Family Tree“ beschäftigt?
In diesem Song geht es um enfernte Verwandte, die mich einfach nicht in Ruhe gelassen haben. Es ist mein Recht, da keine Gnade zu zeigen, ich muss mich nicht mit irgendwelchen Leuten beschäftigen, nur weil sie Familienmitglieder sind. Als mein Vater gestorben ist, hatte ich weiß Gott genug eigene Probleme. Das Zerschneiden und Zerhacken, kann aber auch der Beginn von etwas Neuem sein, es kann sehr produktiv sein.

Es handelt sich aber nicht um einen präzisen chirurgischen Schnitt wie in Buñuels „Un Chien Andalou“?
Bäh, sowas könnte ich mir niemals anschauen. Außerdem ist das sehr kalt, klinisch kalt, nicht wahr? Das hat mehr Ähnlichkeit mit elektronischer Musik oder Industrial.

Der chirurgische Schnitt ist auch ein wesentliches Element in dystopischer Literatur, wie etwa bei Samjatin. Das, was Du machst, ist hingegen total rückwärtsgewandt – Romantik, zurück zur Natur …
Ja, absolut. Es ist einfach wichtig, dass man das hat. Es ist sehr eng verknüpft mit der Melancholie. Darum mögen wir alle den Herbst, und den Regen, Tee und gute Bücher. Es ist vielleicht nicht einfach nur Romantik, sondern vielmehr, dass man sich ein erfülltes Leben wünscht.

Was ist mit Eskapismus? Du hast von Politik und der Welt da draußen die Nase voll, also machst Du Dir ’nen Tee und verkriechst Dich auf Deine Blockhütte …
Man kann man ja immer noch sein idealistisches, utopisches Leben leben.

Also glaubst Du, dass man beides braucht, die Stadt und das Land?
Eigentlich hoffe ich irgendwie, dass ich nie wieder nach Toronto zurück muss. Toronto hat einen schrecklichen Bürgermeister, es ist nicht nachhaltig, es ist ein hässliches System. Das ist sicherlich ein wichtiger Grund, warum ich in den Wäldern leben möchte. Es gibt dort eine Gelassenheit und eine Ruhe, die es in der Stadt niemals geben kann.

Ich hätte Angst allein im Wald.
Ja, die Kojoten hören sich an wie schreiende kleine Kinder, aber man gewöhnt sich daran. Die Vögel am Morgen waren unglaublich laut, ich bin davon um fünf Uhr morgens aufgewacht. Aber es ist eine andere Art von Lärm als in der Stadt, es ist nicht so stressig, wie zum Beispiel ein Martinshorn.

Glaubst Du, dass sich die Gesellschaft nach dieser Art Musik sehnt? Es ist schon erstaunlich, wie viele Folkbands gerade Furore machen.
Ja, vielleicht geht es im gleichen Maße mit der Folk-Musik bergauf, wie der Gebrauch von Computern und Handys steigt.

Dann steht Dir ja eine rosige Zukunft bevor …
Yesss, Ich sollte mich wahrscheinlich bei Apple einkaufen und in Aktien investieren, damit ich die Leute mit den Produkten füttern kann, die dafür sorgen, dass sie meine Musik brauchen. Dann denkt jeder, oh, das ist so ein sensibler Typ aus den Wäldern, aber eigentlich intrigiere ich als böses Mastermind hinter allem.

Was hat Dein Vater eigentlich davon gehalten, dass Du Musiker geworden bist? Er hatte ja selbst einen eher bodenständigen Beruf, oder?
Eigentlich gehört ihm ein Cargo-Unternehmen, wo ich sechs Jahre lang gearbeitet habe, nachdem ich die Uni geschmissen hatte. Er war damals schon sehr krank, und ich habe die Firma mehr oder weniger übernommen, ich war ein richtiger Geschäftsmann. Als ich in seiner Firma aufgehört habe, um mich um meine Musik zu kümmern, hat er das verstanden. Er war nicht super begeistert, aber er hat verstanden, dass ich das machen musste. Schließlich haben wir das Unternehmen verkauft. Je näher er dem Tode war, desto mehr begann er meine Songs zu hören. Und er hat – jetzt werde ich emotional – er hat schließlich gesagt, dass er es gut fand.

Das Album „Spectral Dusk“ ist am 17. August bei Strange Ways/Indigo erschienen