Kraftwerk: Luxemburg, Atelier


Das Update der Roboter: Bei einem ihrer raren Auftritte präsentieren die Düsseldorfs Elektronikfachleute zwar wenig Neues, dafür aber Bekanntes In der Version 2002.

Zu den größten Schwierigkeiten von Künstlern gehört das Ermitteln des Punktes, an dem man aufhören sollte. Manche verschieben ihn, andere verschätzen sich, und viele hätten erst gar nicht anfangen sollen. So riecht es denn auch streng nach Skepsis, wenn im Luxemburger „Atetier“ zwei kahle und zwei grau melierte Häupter ins Rampenlicht treten, die das Goethe-Institut, immerhin größte Organisation der deutschen Kulturpolitik im Ausland, „eine der einflussreichsten deutschen Bands in der Geschichte der Popmusik“ nennt. Kraftwerk aber ignorieren das gemeine Phänomen der Endlichkeit. Das scheue Elektro-Pop-Quartett aus Düsseldorf, Baujahr 1970. fährt nach mythenumrauchter Absenz seine Rechner hoch und entpackt ein Self-Update, das erneut seine Spuren auf dem Globus hinterlassen dürfte. Wo früher noch Techniktürme, Kabelberge und hübsch blinkende Dioden die Aura einer AKW-Steuerzentrale verströmten, ist jetzt die Übersichtlichkeit der Mikroelektronik zu Hause. Das Kling Klang Studio – technisches Herzstück der Düsseldorfer Kult-Figuren – ist passe, die Live-Performance besteht aus vier schlanken Designer-Pulten, auf denen vier Laptops flimmern. Dann aber Traditionelles. Eine Vocoder-Voice schnarrt, dass der Saal bebt:. Meine Damen und Herren…“ Hintergrund der symmetrisch an der Bühnenfront aufgebauten Formation ist eine 15 x vier Meter breite Leinwand, auf die in der Folge leicht angestaubte Filmsequenzen, aus der Mode gekommene Computeranimationen und grobpixelige Schriftzüge projiziert werden. Die Zeichen stehen auf Reduktion: Schlichtes uniformes Schwarz statt der vor Jahren vorgestellten Neon-Gitternetz-Anzüge, keine Roboter beim Opener „The Robots“. Auch wer neue Stoffe sucht, müht sich vergebens. Alle 14 Tracks – von A wie „Autobahn“ bis T wie „Trans Europe Express“ – haben die irdische Akustik bereits milliardenfach beeinflusst. Die Süße lauert im Detail: Jeder Song glänzt generalveredelt. Idealbeispiel ist „Pocket Calculator“, das massiv auf Groove und Trance-Beat zielt, überhaupt überraschend vielschichtig arrangiert ist und in dieser Form dringend in die Charts sollte. Stumpfe Rhythmus-Linien schleichen sich zu Gunsten eines mit unwiderstehlich dichtem Zug ausgerüsteten perkussiven Variantenreichtums. Was die vier Arbeiter dabei klanglich durch ihr Surround-System zwingen, verdient das Prädikat des Unerhörten: Die in Prägnanz, Transparenz und Dynamik extremen Farben wirken wie das Nonplusultra des derzeit Machbaren. „Tour de France“ etwa erzeugt eine schweiß- triefende Nähe, wie sie sonst nur Trinkflaschen zu den Fahrern haben, „Airwaves“ illustriert den Tiefbassumwummerten Urknall des Techno neu, den „Trans Europa Express“ erleben die Ohren wie zwischen Lok und Gleisen. Überall Zischen und Schwirren, Klacken und Knallen, Hallen und Hämmern. Auch wenn dabei die emotionale Wärme elektronischer Datenverarbeitung dominiert, verformen sich die Mundwinkel der unnahbaren Klangarbeiter bisweilen zum selbstironischen Lächeln, wenn etwa der legendäre VW-Käfer zu Beginn von „Autobahn“ erst beim dritten Mal „anspringt“. Selbst der Abgang eine Inszenierung: Im Zwei-Minuten-Takt verlassen die vier Programmierer die Bretter, bis nur noch der fünfte Techniker arbeitet, der PC. „Musique nonstop“ eben. Es bleibt alles beim Neuen: Das in seiner Zeitlosigkeit verwirrende Prinzip des Retro-Futurismus funktioniert weiterhin, das ewige Fernziel „Gesamtkunstwerk aus Neuzeit-Mensch und High-Tech-Maschine“ ist näher denn je. Kraftwerk scheinen keine Zeit zum Aufhören zu haben. Sie müssen ihren Vorsprung auf der globalen Pop-Autobahn weiter ausbauen.

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