Kunze fragt, Schneider antwortet


Der Denker unter Deutschlands Rockern spricht mit dem Spiritus rector des professionellen Flachsinns - über Film und Fernsehen, Kirche und Kohl, Geradlinigkeit und Groupies. Exklusiv für ME/Sounds führte Altphilologe Heinz Rudolf Kunze (37) mit Nonsens-Nummer 1 Helge Schneider (39) das Interview der dritten Art. Ein Blick durch die berühmtesten Show-Brillen der Nation

Heinz Rudolf Kunze:

„Ich bin jetzt relativ schüchtern, weil ich Interviews ja nicht dauernd mache, zumindest nicht in dieser Rolle.“

Helge Schneider:

„Ich mache so was auch nicht so gerne. H.R.K: „Ich denke, derzeit gehörst Du zu den am meisten interviewten Mensch in diesem Land.“ H.S: „Nee, das glaube ich nicht.“ H.R.K: „Zumindest sieht man Dich doch seit zwei, drei jähren in fast jeder namhaften Talkshow. Dort trittst Du oft in einer Verhäutung auf, in einer Maskierung, in einer Rolle, damit man nicht an Dich rankommen kann. Liegt das an Deinem Mißtrauen gegenüber den Talkmastern?“ H.S: „Manchmal bin ich auch normal. Und trotzdem denken die Leute, ich würde auf Show machen. Aber wenn ich heute abend zum Beispiel bei Karl Dali auftrete, dann denke ich, so, jetzt wollen wir mal lustig sein.“ H.R.K: „Karl Dali war ja der erste, bei dem wir uns kurz mal über den Weg gelaufen sind.“ H.S: Ja genau, Du gingst an mir vorbei.“ H.R.K: Ich kann aber mit Fug und Recht behaupten, daß meine Band und ich Alt-Fans von Dir sind. Das kann manchmal ja auch eine Belastung sein.“ H.S: „Das ist eine Belastung – für euch.“ H.R.K: „Das Neueste, was ich über Dich gelesen habe, stammt aus dem Hamburger Abendblatt, ein Artikel mit der Überschrift ‚Unser Helge‘. Das liest sich fast wie ‚Uns Uwe‘ oder ‚Aus dem Tagebuch von Heinz Rühmann‘. Die Nation hat Dich wohl sehr ins Herz geschlossen.“

H.S: Eigentlich möchte ich nicht ‚Uns Helge‘ für jedermann sein. Derjenige oder diejenige, die das geschrieben hat, hat vielleicht gedacht, ‚Oh, das ist ja eine tolle Überschrift‘, je nachdem, inwieweit sie oder er sich mit der Materie befaßt hat. Vielleicht hat die oder der schon Artikel geschrieben über Heino und Heintje. Vielleicht ist es so ein Feuilletonblatt. Wie heißt das?“ H.R.K: „Abendblatt, Hamburger Abendblatt.“ H.S: „Das ist eine Tageszeitung, die komischerweise nicht abends erscheint, sondern morgens. Ist nicht so was besonders Anspruchsvolles, glaube ich, oder?“ H.R.K: „Der Artikel war liebevoll gemeint.“

H.S: „Es gibt übrigens keine anspruchsvollen Zeitungen.“ H.R.K: „Findest Du?“ H.S: „Nicht mehr.“ H.R.K: „Also, ich bin ja nun mal Ex-Lehrer, wie Du vielleicht schon mal gehört hast…“ H.S: „Dann kennst Du auch Jasmin.“ H.R.K: „Ich kenne mehrere Jasmins.“ H.S: „Ich meine die Zeitschrift.“ H.R.K: „Ach so.“ H.S: „Oder ‚Eltern‘. Gibt es die eigentlich noch?“ H.R.K:“Du bist ja inzwischen auch in die ernsthaften Feuilletons vorgedrungen.“ H.S: „Das liegt aber auch an dem, was man macht.“ H.R.K: „Du bist ja fast schon ein Jung-Beuys. Manche Menschen nehmen Dich ja sehr ernst.“ H.S: „Das ist auch gut so. Ich muß selber immer darauf achten, daß ich nicht unbedingt in der Bildzeitung vorne auf dem Titelblatt nackend auf Mallorca auf dem Surfbrett bin.“ H.R.K: ….. oder angezogen in Deinem nächsten Pornofilm. Hast Du Dir mit Blick auf den Erfolg früher mal Gedanken gemacht, wie das sein könnte, wenn es so kommen würde, wie es letztlich gekommen ist?“ H.S: „Nein. Es ist für mich ein stetiger Weg gewesen. Erster Auftritt: zehn Leute. Zweiter Auftritt: 20 Leute. Tausendster Auftritt: 5000 Leute.“ H.R.K: „War das immer so linear?“ H:S: „Das war immer so linear.“ H.R.K: „Hut ab.“ HS: „Ja, kann man sagen. Über Jahre hinaus war es immer so linear, daß es sich um die zehn Leute hielt.“ H.R.K: „Also geradlinig linear.“ H.S: „Geradlinig linear.“ H.R.K: „Horizontal, sozusagen.“ H.S: „Genau.“ H.R.K: „Wie sehr ist Dir das, was Du im Laufe der Jahre entwickelt hast, wirklich etwas wert? Mein Nachbar Kurt, Speditionsunternehmer und ein Mensch, der nicht unbedingt blöd ist, der wirklich auf der Höhe der Zeit ist, war in Deinem ersten Kinofilm und konnte nicht lachen.“ HS: „Kann ich verstehen. Wollen wir mal so sagen: Ich selber, als wir ‚Texas‘ gedreht haben und nachher, als wir den Film fertig hatten, bin nicht derjenige gewesen, der über den Film gelacht hat. Ich bin auch nicht unbedingt der Meinung, daß man über alles lachen muß. Auch über lustige Sachen muß man nicht unbedingt lachen.“ H.R.K: „Du willst also nicht Menschen fischen um jeden Preis?“ H.S: „Nein, ich will meine Arbeit gut machen. Also der nächste Film, den ich jetzt gemacht habe, der ist, glaube ich, besser. Und besser heißt, daß vielleicht dieser Kurt, wenn er nicht wieder mit den Leuten reingeht, die ihn sozusagen an die Wand lachen, daß er vielleicht doch mal lachen kann.“ H.R.K: „Der war stinksauer. Kam raus und sagte, ‚Also dieser Helge Schneider, so ein berühmtes Monstrum. Alle lachen sich tot, und ich kann gar nicht lachen‘.“ H.S: Ja, paß auf. Ist ja vielleicht auch so, daß die Typen, die da drin waren und unheimlich dabei gelacht haben, daß die sich den Film schon zehnmal angeguckt haben und deshalb lachen können. Vielleicht muß Kurt da noch zehnmal reingehen.“ H.R.K: „Jetzt machst Du einen Agentenfilm, also wieder einen Genrefilm. Das erinnert mich an die Taktik von Monty Python, als die anfingen, Kinofilme zu drehen.“ H.S: „Bis vor ein paar Jahren dachte ich immer, das ist so eine Schlangengruppe, so zwei oder drei Leute, die mit Schlangen auftreten.“ H.R.K: „Das nehme ich Dir nicht ab.“ H.S: „Ich kann Dir mal sagen, was ich von denen kenne. Ich kenne von denen einmal einen Film, der heißt, ja, mit Jesus das…“ H.R.K: „‚Das Leben des Brian‘.“ H.S: „Ja genau. Den habe ich zweimal gesehen. Einmal, das war das erste Mal, daß ich so was gesehen Rabe, mit 25 Jahren. Tangiert mich eigentlich nicht so, der Humor. Mich hat ein Film wie ‚Montana Sacra‘ mehr beeinflußt. Kennst Du den?“ H.R.K: „Nein, leider.“ H.S: „Ist absolut verrückt, absolut bescheuert. Und ganz ernsthaft und ganz mystisch.

Ist eigentlich so ein Pillenfilm. So LSD-Ritter haben früher solche Filme gesehen. Ich selber habe aber kein LSD genommen.“ H.R.K: „Ich auch nicht.“ H.S: „Dieser Film hat mich viel mehr tangiert und viel mehr in dem Bewußtsein so weitergebracht, was jetzt Film speziell angeht.“ H.R.K: „Wer hat den denn gemacht?“ H.S: „Tarkowskij.“

H.R.K: „Aber das ist doch ein sehr düsterer und grüblerischer Mensch, oder?“ H.S: „Ja, nein. Entschuldigung. Jodorowskij, nicht Tarkowskij.“

H.R.K: „Also, Tarkowskij sagt mir was, aber Jodorowskij?

H.S: „Nein? Ach so. Zu jung. Der Auszubildende. Also Monty Python hat mich nie so tangiert. Mehr Jerry Lewis. Habe ich viel besser gefunden. Bei Jerry Lewis kann ich über alle Filme lachen. Wahrscheinlich bin ich der einzige.“

H.R.K: „Das wundert mich jetzt schon. Denn, mit Verlaub, Jerry Lewis finde ich oft ziemlich platt, und was Du machst, ist ja nicht…“

H.S: …..nicht platt genug.“

H.R.K: „Es ist sogar ziemlich abgedreht. Wie kam es zu der Entscheidung, daß ein offensichtlich sehr kompetenter Musiker, der Du ja auch bist, das entwickelt hat, Humorist, ich sage nicht Komödiant, zu werden? War das so ähnlich wie bei Otto, der zumindest behauptet, daß die Zwischenansagen viel besser aufgenommen wurden als die Stücke?“

H.S: „Ach, hat er das mal gesagt? Ja, bei mir war das auch so.“

H.R.K: „Bist Du ein musikalisch belesener Mensch, der viel Repertoire kennt und dauernd entdeckt, daß er viel zitiert?“ H.S: „Nein, das nicht. Ich bin Improvisator. Ich denke, wenn ich also so spiele, ich kann einfach nicht. Ich werde auch immer schwieriger. Ich kann einfach nicht ernsthaft spielen. Ich kann nur zu Hause. Zu Hause spiele ich den ganzen Tag Klavier. Ich sitze den ganzen Tag an meinem Flügel. Egal, wann ich da reinkomme ins Zimmer.“

H.R.K: „Aber Du bist gelernter Jazzer.“

H.S: „Ja, Jazzer. Ich bin ein absoluter Fan von Thelonious Monk. Und neuerdings spiele ich wieder ein bißchen Klassik. Aber ich kann das nicht mehr nach Noten.“ H.R.K: „Deine verbalen Themen, die Umsprünge, die Du machst, erinnern mich an bestimmte Freejazzer.“

HS: „Ja, paß auf. Wenn Du jetzt Coleman Hawkins zuhören würdest, dann würdest Du auch merken, der spielt totales Durcheinander. Aber es paßt zusammen, im Endeffekt.“

H.R.K: „Hast Du den heimlichen Ehrgeiz, mal eine CD rauszubringen, wo ernsthafte Musik drauf ist, und alle wundern sich zu Tode?“ H.S: „Nein, im Moment nicht. Mich würde nur was reizen, was eigentlich eine unlösbare Aufgabe ist. Wenn ich zum Beispiel jetzt sagen würde, Helge Schneider spielt sämtliche Werke von Beethoven auf CD. Das wäre ein Ansporn.“

H.R.K: „Könntest Du das denn?“ H.S: „Nein.“

H.R.K: „Ein Mensch, der so etwas Zusammenhängendes entwickelt hat wie Du, kann nicht irgendwie vom Himmel gefallen sein. Gibt es Humoristen, die Dich stark beeinflußt haben, oder die Du – neben Jerry Lewis zumindest als gut gelten läßt?“ H.S: „Also für mich war es wichtig, auch in meiner Sache, eben Klavier und Sprache und Komik, einmal Viktor Borgel gesehen zu haben. Ein Schwede. Der ist jetzt aber schon 82,83,84…“

H.R.K: „Ein sehr schlauer Klassik-Verrückter.“

HS: „Ja, Klassik spielt er. Er spielt zum Beispiel Beethoven am Klavier, und auf einmal bricht der Stuhl zusammen. Eine ganz blöde Sache. Mein Potential war aber, sagen wir mal von der Instrumentierung her, größer. Ich spiele viele Instrumente. Also konnte ich hingehen und nicht nur am Flügel sitzen. Ich habe Klavierunterricht gehabt schon mit fünf oder sechs Jahren. Dann kam nachher Cello dazu. Und dann habe ich das Cello umfunktioniert zur Gitarre und habe so mit 13, 14 schon in der ersten Band mitgespielt, so eine Blues Band. Jimi Hendrix war damals sehr populär. Der ist gerade gestorben gewesen. Ende „69 oder ’70 in Essen oder so, glaube ich. Sogar bei mir nebenan. Nein, stimmt ja gar nicht. Wo ist der noch gestorben?“

H.R.K: „In London, verreckt am eigenen Erbrochenen.“

H.S: Ja ja, ich weiß. Und ich wollte immer so sein wie Jimi Hendrix. Ich hatte den aber verwechselt mit Louis Armstrong. Ich habe Louis Armstrong im Radio gehört und fand den supergut. Ich wußte aber seinen Namen nicht, und dann redeten immer viele Leute von Jimi Hendrix. Der hat ja gesungen und Trompete gespielt. Und dann hab‘ ich gedacht, als ich so unter meiner Bettdecke lag… das ist wirklich wahr, nachts Mittelwelle-Radio gehört, von meiner Oma so ein kleines Transistorradio im Bett. Heimlicherweise. Dann hörte ich also Jazz.“ H.R.K: „…und Rock“.

H.S: „Ich habe ja auch selber Rock gespielt. Ich finde zum Beispiel Punk-Rock gut. Also, ich stehe eben auf Musik, die irgendwie rudimentär losfetzt.“

H.R.K: „Das heißt, Du kannst nichts übrig haben für ambitionierte Rockbands, die schwierige Arrangements gemacht haben, zum Beispiel King Crimson oder Yes.“ H.S: „King Crimson fand ich super, weil das eine unheimlich fantasievolle Musik war, weil da auch zum Beispiel Jazz drin war. Ich fand aber auch den gut, der in Heidelberg aufgewachsen ist.“

H.R.K: „In Heidelberg?“

H.S: „Ein amerikanischer Sänger. Den kennst Du auch. Mit Sicherheit. Ganz bekannt, ganz bekannt – also ich fand auch Neil Young gut, Neil Young solo.“ H.R.K: „Mein absoluter Held ist Pete Townshend.“ HS: Ja, The Who fand ich auch gut. Die habe ich immer nachgesungen.“

H.R.K: „Und aktuelle Musik? Die Musik dieses Jahres zum Beispiel?“

H.S: „Außer Deiner LP? Ich kenne alle Deine LPs. Nein. Tom Jones habe ich letzte Woche mal gesehen, das fand ich gut. Gute Stimme. Mit den Hunden irgendwas. Da war so ein Video mit Hunden.“

H.R.K: „Hast Du R.E.M. mal gehört?“ H.S: „Wen?“

H.R.K: „R.E.M. – R-Punkt, E-Punkt, M-Punkt.“ H.S: „Ja. Kenne ich nicht. Meine Kinder gucken immer ‚Viva‘, ist das da drin?“

H.R.K: „Wieviele Kinder hast Du?“

H.S: „Drei. Zwei in meinem Haus und ein Kind in einer anderen Stadt.“

H.R.K: „Du bist ein verheirateter Mann?“ H.S: „Nein, nicht verheiratet. Eine wilde Ehe.“ H.R.K: „Mein Schlagzeuger sagt, daß sich bei Deinen Konzerten am Bühnenrand eine Menge Damen aufhalten, die sehr gestylt und Kir-royal-mäßig aussehen und Dich anhimmeln.“ H.S: „Meine Groupies sind zwischen 14 und 80, sage ich mal. Die ihr da gesehen habt, das war vielleicht ein Stammpublikum. Vom ‚Tivoli‘ in Hamburg, nehme ich an, die sowieso immer da hingehen. Normalerweise ist das nicht mein Stall. Ich habe ganz viele verschiedene Leute verschiedenen Aussehens. Meistens ist es so, daß die jungen Frauen dann auch hinter die Bühne kommen und ein Autogramm für ihren Freund haben wollen. Ich habe noch nie einmal erlebt, daß eine Frau von einem wirklich was wollte. Also, sagen wir mal, diese Groupies, die gibt es gar nicht mehr. Leider.“

H.R.K: „Du warst mal mit Marcel Reich-Ranicki in einer Talkshow.“

HS: „Ich habe nichts mit ihm zu tun gehabt.“ H.R.K: „Aber angeblich warst Du nicht unbereit, auf ihn einzugehen.“

H.S: „Ja, ich hätte mich gerne mit ihm unterhalten. Er träumt von Thomas Mann. Er träumt davon, daß Thomas Mann ihm eines Tages begegnet, auf die Schulter klopft und sagt: ‚Hallo Marcel. Du bist gut. Alle anderen sind schlecht. Er ist ein Verirrter.“ H.R.K: „Wie steht’s mit Heinz Rühmann?“ H.S: „‚Quacks, der Bruchpilot‘ und so, diese Kriegsfilme. Sind doch lustig. ‚Drei Männer im Schnee‘ oder ‚James Bond‘.“ H.R.K: „Und Helmut Kohl?“

H.S: „Ich glaube, er wird bestärkt durch seine Frau Hannelore. Also, die beiden sind, glaube ich, ein unglaubliches Paar. Immer wenn ich Helmut Kohl sehe, im Fernsehen oder so, dann gucke ich mir das an. Also, das ist irgendwie wie Al Bundy. Aber Helmut Kohl ist ja original. Ja, ich finde den total lustig. Ich könnte mich über den beömmeln. Jedes Wort von ihm, auch wenn man es kaum verstehen kann, ist lustig. Also ich liebe diese Sprache. Das heißt nicht, daß ich seine Politik liebe. Wahrscheinlich ist das Mist. Ich interessiere mich da nicht für.“ H.R.K: „Stichwort Religion.“

H.S: „Ich bin evangelisch, war aber nur einmal in der Kirche.“ H.R.K: „Bist Du noch drin?“

H.S: „Ich bin abergläubisch. Ich zahle unheimlich viele Steuern für die Kirche. Aber wenn ich jetzt austrete… nachher passiert da was.“

H.R.K: „Ich bedanke mich sehr herzlich.“ H.S: „Danke schön. Auf Wiedersehn.“