Kurz und Klein


Eigentlich ja ein Fall für den Plattenmeister und seine Singles-Box, aber die war schon zugenagelt, als noch die neue EP der Editors reinflog, all sparks (Kitchen ware/Pias/ RoughTrade). Dem Song von the eackroom hat die Band um lan-Curtis-lmpersonatorTom Smith vier neue zur Seite gestellt: zwei gewohnt drahtig neo-postpunkende, das kontemplative „Time To Slow Down“ und ein blitzendes Cover von Stereolabs „French Disko“, das klingt wie für die Band aus Birmingham geschrieben.

Können deutsche Bands bitte aufhören, in ihre Infos zu schreiben bzw. schreiben zu lassen, daß sie mit Castingshows nichts am Hut haben? Das haben wir uns schon gedacht, daß Nufa aus Ulm sich nicht erst bei Dieter Bohlen einen Korb geholt haben, bevor sie sich von lochen lrmler von Faust produzieren ließen. Ihr Debüt NACKT GEBOREN (Klangbad/Broken Silence) kommt recht anspruchsvoll und ernst daher und verhandelt adoleszente Themen auf nicht gänzlich ungehörte Art; Jacob Schneikarts mit bebender Sturm-und Drang-Stimme vorgetragenen Texte schrammen bisweilen recht nah an Früh-BIumfeld vorbei (wenn er anfängt. Kontemplatives durchs knackende Telefon zu raunen, wird’s unfreiwillig komisch). Aber mit hübsch rohem Sound – Orgel und Krautjazzpokerpassagen sind willkommen -, der sich nicht auf Indierock-Klischees ausruht, bewahrt sich das Ganze eine interessante, für Überraschungen gute Eigenständigkeit. Wohingegen die Braunschweiger Tchi sich mit ihren auf STEH EN STOLPERN (Siluh/Broken Silence) präsentierten Dengel-Gitarren und zickigen Rhythmen, den oft und gern übers Versmaß hinaustapsenden (streckenweise gar nicht schlechten) Befindlichkeitsreimen ins voller werdende Regal mit der Aufschrift „Tomtemäßiges“ stellen lassen müssen.

Man soll ja nicht immer vergleichen und dieses „klingt wie…“ hören die Bands ja gar nicht gern. Aber als Orientierungshilfe für potentielle Plattenkäufer darf man sagen, daß das charmante Debüt SOUL IN HELSINKI (Milchmann/RoughTrade) der Waldkraiburger (das ist die South Bronxvon Bayern) Freizeit 98 in die grobe Richtung der Gasse springt und tanzt, in der Anajo wohnen. Auch hier: zickige Rhythmen, quere Gitarrenriffs und nette Melodien (dazu ein Portiönchen Elektrogefrickel), aber irgendwie frischer und klischeebefreiter als bei manchen Kollegen.

Noch mehr Deutschsprachiges: Das Münchner Trikont-Label ist in Untervertragnahmelaune dieser Tage.

Nach den famosen Rocket Freudental kommt jetzt der Halbhamburger Huss, der auf HUSS (Trikont/lndigo) nichts vom lndiedeutschrock wissen mag, sondern tiefer in den Pop-Topf greift, mit orgelnden Arrangements und ausgefallenen Melodien. Und schrulligen Texten, die manchmal, hinter ihren Möglichkeiten zurückzubleiben scheinen. Und andernorts leider auch nicht gänzlich unbescheuert wirken; ist „Brüder“ zum Beispiel tendenziell homophob. oder hat der Rezensent da was nicht kapiert? Er hofft letzteres, der Rezensent.

Er hofft auch, daß ihm die „besten Fans der Welt“, die die Wiener Band Julia in ihrem Info für sich reklamiert, nicht gram sind. Angeblich haben Julia „keine musikalischen Berührungsängste“, was angesichts der schlockigen Plattheit von SUNRISE (Monkey/UniveTsal) mal glatt gelogen ist. Was sie allerdings haben, ist ein kreativer Sänger, der sich seinen eigenen Phantasie-Ami-Akzent ausgedacht hat, der jede Silbe so komisch zerrt und knautscht, daß man beim Zuhören ganz deppert wird. Der singt zum Beispiel „keiiäss „statt „khs“, und die Band spielt angefunkten 08/15-Pop-Punk-Rock dazu. Nein, nichts für ungut: dann echt lieber Tobi Regner.

Auch nicht so irre: The Weepies mit ihrem glatt produzierten und glatt langweiligen Indie-Folkpop auf SAY I AM YOU (Nettwerk/Soulfood). Deren Info zitien eine „Pressestimme“, die behauptet, das Duo aus Boston sei „die neuen Simon ~& Garfunkel“. Was ja wohl die Höhe ist.

Wer zuviel von solchem Weepie-Ohrenkleister abgekriegt hat, braucht vielleicht die neue Platte von Ekkehard Ehlers, Avantgarde-Elektro-Mann mit vitalem Roots-Musik-Interesse. Auf A LIFE WITHOUT fear (Staubgold/ Indigo) gibt’s den zerschossensten free-form-Experimental-Blues seit Beefheart und, ähem, Weltmusik-Gewebe, alles hübsch organisch pTocessed und verspult. Sowie schöne Song-, äh, Stücktitel wie „Die Sorge geht über den Fluß“ und „Meeresbeschimpfung“, was ja für sich schon einiges wert ist.

Noch mehr großartig Verquastes gibt’s von den geheim nisvollen Metallic Falcons desertdoughnuts (Voodoo-Eros/Cargo) hört sich an, als hätte Sierra Casady von Coco Rosie mit Antony, Devendra Banhart und noch ein paar Wahnsinnsknaben bei einer besinn liehen Peyote- Party in der Wüste eine Session mit Elfengesang, Sakralmusik und Spuk-Folk veranstaltet und alles mit einem Cassettenrecorder aufgenommen. Aus dem einfach Grund, weil es genau so war. Das heißt: das mit dem Peyote und dem Cassettenrecorder ist nicht verbürgt. Der Rest stimmt so.

Mehr dem Wohlklang verpflichtet ist das neue Album von Robin Guthrie. Der Gitarrist und einstige Sound-Architekt der 8os-Legenden Cocteau Twins ist Pionier in Sachen flächig geschichtete Drone-Klänge und macht auf CONTINENTAL (Rocket Girl/RoughTrade) eine funkelnde, stellenweise etwas ins flockig-esoterische abdriftende Instrumentalmusik, die man, wenn man böse sein wollte, als Mogwai für Ricky-King-Freunde beschreiben könnte. Aber ich will nicht böse sein. Denn ich höre zur Zeit viel OSAKA BRIDGE (Karaoke Kalk/Indigo) von Bill Wells & Mäher Shalal Hash Baz. Der schottische [azz- Avantgarde-„Guru“ Wells (der schon mit Isobel Campbell gearbeitet hat, hier also wirklich: keine musikalischen Berührungsängste) hat mit dem japanischen Amateur-Kollektiv Musik gemacht, die direkt aus dem Moment gepurzelt scheint und wirkt, als würde sie zerbröseln, wenn jemand heftig die Tür zumacht. Und die man sich doch sowohl zur Wintermitternacht als auch am Blumenwiesensommertag vorstellen mag. Wackelige Bläser und schrummelnde Gitarren tasten sich hinter Wells‘ Piano durch Arrangements zwischen Jazz, Folk. Klassik und Zeitlupen-Bacharach. der Charme der leichtgenommenen Unzulänglichkeit schwebt über allem, ja: so mancher „falsche“ Ton kullert herum im Kellerstudio, aber bitte: Was kann falsch sein im so Richtigen? Und wenn Sängerin Reiko Kudo mit fragiler Stimmeden torchsong „Time Takes Me So Back“ anstimmt und auf halber Strecke sich die wunderbaren Schieflagentröten dazugesellen, dann ist es Zeit, den Kurz &. Klein-Kasten für heute zuzunageln. Gaaanz sacht.