Lambada – Big Business mit der blanken Backe


Spätestens zum Fasching war das Maß endgültig voll: Lambada für Papis und Pappnasen, Lambada in Tanzschulen und Wohnzimmern, Lambada in Film, Funk und Femsehen - selbst wohlwollende Ohren konnten da nur noch den Overkill konstatieren: Wiesoweshalbwarum? ME/Sounds machte sich auf die Suche nach den Hinternmännern.

Und Wie-ge-schluß, wiege-schluß, wie-ge-schluß und zack! Und zwei, drei, vier…“ Samstagnachmittag in einer Münchner Tanzschule: Neun Paare im Alter von 24 bis 54 lernen die hohe Kunst des Lambada-Tanzens. Jede Menge „wie-ge-schluß“, ein bißchen „zack“ und viel „zwei, drei, vier“. „Nehmen Sie den Kopf mit, meine Damen“, rät die Tanzlehrerin, „sonst seh ’n sie aus wie eine Schildkröle. „

Kaum zu glauben, wie unterschiedlich sich 18 Menschen anstellen können, die alle vorgeben, dasselbe zu tun. Zwischen manchen Paaren klaffen bis zu 30 Zentimeter freier Luftraum, andere bieten eine halbhohe Version von Chuck Berrys Entengang zu zweit oder zucken wie bekokste Marionetten. Eine junge Frau – zwei Köpfe kleiner als ihr Partner – sitzt dem Herrn quasi auf dem rechten Oberschenkel. Echt erotisch, ej. Die Gesichtsausdrücke reichen vom verlegenen Grinsen über verkniffene Konzentration bis zu nackter Panik. „Na, das geht doch schon ganz gut“, freut sich die Lehrerin. „Das machen wir jetzt nochmal etwas schneller …“

Und alle machen mit. Bis vor zehn Monaten war Lambada eine lokale Angelegenheit im Norden Brasiliens, heute kennt man den „simulierten Beischlaf“ („Der Spiegel“) in jeder von Rundfunk und Fernsehen erschlossenen Gegend der Welt. Zumindest kennt jeder die Hymne und gleichzeitig den Auslöser des Booms: Der Song „Lambada“ von der multinationalen Pariser Gruppe Kaoma läuft in den Discos von Bangkok, führte so gut wie alle europäischen Charts an. Taxifahrer in Nigeria können nicht genug davon kriegen, und jetzt ist Amerika dran. Wiesoweshalbwarum 9 Weil zwei geschäftstüchtige Franzosen zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, die richtige Idee hatten und sie richtig umgesetzt haben. Vor allem haben sie die erste und entscheidende Frage richtig beantwortet: Was wollen die Männer und Frauen dieser Welt wirklich? Sie wollen sich zwischen die Beine.

Ganz so einfach ist die Geschichte natürlich nicht, auch nicht so einfach wie es sich der Cover-Texter der deutschen Produktion Bambu Lele (LAMBADA FEVFR) gemacht hat. nach dessen Informationen sich der Tanz „aus allen brasilianischen Fruchtbarkeiisriten“ entwickelt hat. Ethno-Spezialisten attestieren dem Lambada nicht zu überhörende Anleihen bei Zouk, Cadence, Soca, Reggae, Salsa und mindestens 25 weiteren Musikstilen aus der Inselwelt des Karibischen Meers (von Trinidad über die Französischen Antillen bis zu den Westindischen Inseln). Was nicht weiter wundern muß, da die nördlichen und nordöstlichen Staaten Brasiliens, in denen der Lambada zu hause ist, regen kulturellen Austausch mit diesen Inseln pflegen. Nicht zuletzt, weil hier wie dort die Abkömmlinge derselben aus Afrika verschleppten Sklaven leben, mit derselben Religion, ähnlichen Riten und damit auch ähnlichen Rhythmen.

Etwa Mitte der 70er soll der Lambada in seiner heutigen Form zum ersten Mal gesichtet (und gehört) worden sein: bei den wochenendlichen Sound System-Parties in Belem. Hauptstadt des Nord-Bundesstaats Parä. In Zusammenarbeit mit Produzenten auf den Antillen brachte der brasilianische Jung-Unternehmer Carlos Santos ab 1976 Sampler mit „Lambadas Internacionais“ heraus, die sich hervorragend verkauften und die Musik erst im Amazonas-Gebiet, dann auch weiter die Ostküste herunter populär machten. Mitte der 80er spielten Musiker von Manaus bis Bahia polkamäßige Vokal-Versionen des brasilianisch-karibischen Mischmaschs.

1988 war Lambada sogar kurzfristig in Rio und Sao Paulo angesagt, und im selben Jahr ereilte ihn auch das Schicksal in Gestalt der Herren Olivier Lorsac und Jean Karakos. zwei alter Freunde, die schon bessere Zeiten erlebt hatten. Lorsac war früher Werbe-Mann und machte jetzt in Filmen, Karakos steckte jahrelang – gemeinsam mit Bill Laswell – hinter dem Paris/New Yorker Plattenlabel OAO/Celluloid (Material, Manu Dibango, Toure Kunda, Fela Kuti. Gilberto Gil etc.). Nach Etat- und Personalkürzungen. Stress mit Laswell und der Trennung von Celluloid traf er sich mit Lorsac, der gerade im Südzipfel Bahias an einem Film arbeitete.

Im örtlichen Nachtleben haben die beiden dann offenbar so viele kaffeebraune Popos wackeln und Hüften kreisen gesehen, daß sie Geld witterten. Viel Geld. Sie kauften die Rechte an über 400 Lambada-Songs (leider beim Falschen, aber dazu später). Lorsac drehte eine Fernseh-Dokumentation. dann ging’s erstmal zurück nach Paris. Eine Band mußte her.

Nachdem sich die leidlich, aber nie so richtig erfolgreiche Afro-Gruppe Toure Kunda gerade aufgelöst hatte, klinkten sich Keyboarder Jean-Claude Bonaventure und Gitarrist Jacky Arconte in Karakos“ neues „World Beat‘-Projekt ein. „Ich wollte eine Band, die Einflüsse aus der ganzen Well zu Popmusik verarbeitet“, erklärte der umtriebige Franzose sein Vorhaben, „so wie sich die Briten in den 60ern über das musikalische Erbe Amerikas hergemacht haben.“ Karakos suchte und fand einen Rocktrainierten Schlagzeuger (Michel Abihssira). einen dreadlockigen Bassisten (Chyco Roger Dru). engagierte zwei brasilianische (Loalwa Braz, Monica Nogueira) und eine senegalesische Sängerin (Fania Niang) – fertig war Kaoma. Für die Optik wurden in und um Sao Paulo, Bahia und Porto Seguro acht Lambada-Tänzer(innen) rekrutiert.

Platten-Gigant CBS und Sprudelfabrikant Orangina gefiel die hüftenkreisende Schenkelschieberei so gut, daß sie allein für Promotion-Zwecke über anderthalb Millionen Mark locker machten – was es wiederum Lorsac und Karakos ermöglichte, im Juni 1989 mit Veröffentlichung der ersten Kaoma-Single eine regelrechte Lambada-Lawine loszutreten. Kaum eine Stunde verging, in der Lorsacs niedlich-erotischer Videoclip nicht über französische Bildschirme flimmerte. „Lambada“ war zwei Wochen nach Charts-Einstieg auf Platz eins, blieb dort für zwölf Wochen und hat sich allein in Frankreich an die zwei Millionen Mal verkauft.

Was danach im Rest der Welt abging, hat jeder, aber wirklich jeder mitgekriegt: So viele Singles hat CBS-Europa noch nie von einem Song verkauft, nicht mal von „We Are The World“ und Europes „The Final Countdown“ zusammen. Wer das Video nicht gesehen hat, ist blind, wer den Song nicht gehört hat, taub.

Irgendwann hörten ihn auch die Brüder Gonzales und Ulysses Hermosa in Bolivien, denen die Nummer merkwürdig bekannt vorkam. Dazu muß man wissen, daß es sich beim Namen des „Lambada“-Komponisten und Texters, Chico de Oliveira, um ein Pseudonym handelt, das ebenfalls auf dem Mist von Karakos/Lorsac gewachsen ist. Eigentlich sei „Lambada“ eine HiFi-Coverversion von Märcia Ferreiras melancholischem Akkordeon-Lied „Chorando Se Foi“, bei dem es sich wiederum um ein Remake des bolivianischen Lieds „Llorando Se Fue“ handele, verfolgte die New Yorker „Village Voice“.

Karakos erklärt dazu: „Der brasilianische Verleger, bei dem wir die Rechte erworben haben, besaß sie gar nicht. Er hat uns auch versichert, die Komponisten seien längst tot, dabei lebten sie noch. Wir haben sofort Kontakt mit ihnen aufgenommen und uns geeinigt, aber bald ging es um so viel Geld, daß ihnen interessierte Musikverleger aus der ganzen Welt auf der Pelle hockten.“

Nachdem in der angesehenen französischen Tageszeitung „Le Monde“ zu lesen gewesen war, die Bolivianer hätten gerichtliche Schritte gegen die Plagiatoren eingeleitet, hatten Karakos und Lorsac auf einmal nicht bloß die Presse im Nacken, sondern schließlich sogar den bolivianischen Ministerpräsidenten, der sie übler, kolonialistischer Ausbeutungsmethoden zichtigte.

Alles Blödsinn, heißt es in einer Presse-Mitteilung der französischen CBS vom Ende letzten Jahres: „Die Hermosas arbeilen eng mit unseren Produzenten zusammen und haben eingewilligt, daß der Lambada unter dem Pseudonym Chico de Oliveira eingetragen wird. In einer Erklärung vom 5. Oktober bestätigen sie, daß sie die Herren Lorsac und Karakos nie kritisiert oder des Plagiats beschuldigt haben. “ Statt dessen verklagten Lorsac und Karakos die Zeitungen „Le Monde“ und „Liberation“ wegen hier Nachrede. Dem ungebremsten kommerziellen Erfolg tat das Rechte-Gerangel keinen Abbruch – ganz im Gegenteil. Es lambadate an allen Fronten, auch bei uns. Teeny-Gazetten schwärmten von „Dirty Dancing auf brasilianisch“ und erklärten Tanzschritte. Gutsortierte Plattenläden mußten eine Unter-Abteilung „Lambada“ eröffnen, um die einsetzende Flut obskurer Brasil-Sampler und in Deutschland produzierter Coverversionen unterbringen zu können. Von Ralph Siegels Jupiter-Label (LAMBADANCA) bis zu Günter Noris (LAMBADA PARTY) sicherten sich alle ihr Scheibchen vom Kuchen, u.a. begegnet man im Kleingedruckten auf den Hüllen deutscher Lambada-Produktionen diversen Ex-Mitgliedern der Hamburger Rock-Formation Lake.

Der allgemeine Tanzwahn trieb immer seltsamere Blüten: die Kinoklamotte „Limba Limba Lambada“ zum Beispiel. Im amerikanischen Original heißt der Streifen „Fast Food“ und hat mit Lambada überhaupt nichts am Hut, sondern erzählt die albernen Abenteuer einer Handvoll Studenten mit ihrer ersten eigenen Hamburger-Bude. Hierzulande wurde der Film nicht bloß umgetauft, sondern auch mit einem neuen Soundtrack sowie nachträglich in der Münchner McGraw-Kaserne gedrehten Tanz-Szenen versehen. Hauptsache Lambada! Wer konnte sich da noch wundern, als Außenminister Genschman Thomas Gottschalk und dem deutschen Volk in „Wetten, daß …?“ verriet, auch seine Gattin besuche einen Lambada-Kurs?

Für Helmut Schäfer. Pressesprecher des Allgemeinen Deutschen Tanzlehrer Verbands, war der Lambada „ein Über-Hammer. Bei Cha-Cha und Mambo / ‚Dirty Dancing‘ lief’s ähnlich, aber diesmal ging es arg schnell, das war schon unheimlich. “ Die Tanzschritte choreografierte man anhand des Kaoma-Videos und Lorsacs Film-Dokumentation. „All die südamerikanischen und romanischen Völker können zwar tanzen“, lacht Schäfer, „aber die wissen halt nicht so genau, was sie da machen, hahaha! Diesen ganzen Ethno-Pop, der da getanzt wird, muß man schon etwas umsetzen: Der Gehalt muß drinbleiben, aber für die Menschen unserer Regionen tanzbar gemacht werden. „

Da sieht auch Jürgen Neumann, Schäfers Kollege von der „Vereinigung Deutscher Tanzlehrer und Tanzschulen“, das eine oder andere körperkulturelle Problem, vor allem seitens der älteren Semester. „Das Hauptinteresse hatten wir bei Jugendlichen zwischen 14 und 16“, erklärt Neumann, „und in der Altersgruppe von 22 bis 25 Jahren. Ältere zeigten zwar auch Interesse, haben aber nach dem Kennenlernen der ersten Schritte oft wieder Abstand genommen, weil… (Pause)… das ja doch gewisse Körperbewegungen erfordert, die … (lange Pause).. „halbwegs gut aussehen sollten.“

Trotzdem tanz(t)en alle Lambada, ganz egal wie es aussah – und im Fasching schon gar. Drahtzieher Jean Karakos weiß auch warum: „Ich glaube, die Leute wollten schon lange einen neuen Tanz“, verriet er David Hershkovits vom New Yorker „Paper“. „House Music ist doch nach fünf Nummern langweilig. Außerdem haben Männer und Frauen seit 20 Jahren nicht mehr eng getanzt. Die Frau, die ich mag, hab ich doch lieber direkt bei mir, als daß sie irgendwo ihren eigenen Scheiß macht. Ich fand, es war mal wieder Zeit für Körperkonlakl, und der ist im Moment sogar noch wichtiger als Sex. Vor Sex haben die Leute Angst, aber Lambada-Tanzen ist wie Safer Sex.“

Treffender hätte kein Kommunikations-Psycho-Soziologe seinen Erfolg analysieren können. Lateinamerikanische Rhythmen waren schon lange im Kommen, und sämtliche Zeitgeist-Magazine druckten in regelmäßigen Abständen Bruce Webers gestylte Fotos fröhlich-knackiger Buben und Mädel an brasilianischen Stränden. Alles, was Karakos und Lorsac zu tun hatten, war zwei und zwei zusammenzuzählen.

Mitte Januar wurde zum Großangriff auf die letzte Pop-Bastion geblasen: Amerika. Vier Seiten Kaoma/Lambada-Selbstdarstellung im Branchenblatt „Billboard“, wo zur Erfolgsgeschichte u.a. behauptet wird: „Streikende französische Auto-Arbeiter erzählten Reportern, sie würden eher Lambada tanzen als an die Fließbänder zurückkehren, und 50000 Ostdeutsche tanzten Lambada, um Michail Gorbatschow bei seinem Besuch willkommen zu heißen.“

Kaoma besuchten sämtliche einschlägigen Fernsehshows und spielten live im New Yorker Palladium, das seine Freitagabende fortan zu „Lambada Nights“ erklärte. Andere Clubs zogen nach, und nachdem der Videoclip mit seinem unterschwelligen Kindersex vielen prüden TV-Gewaltigen zunächst zu gewagt erschienen war, verlor schließlich doch ein Sender nach dem anderen seine Hemmungen. Schließlich kann man Lambada in den Staaten sogar schon essen, seit ein findiger Brötchenschmierer das „Lambada Sandwich“ erfunden hat.

Gleich zwei US-Filmproduktionen begannen am 22. Januar mit den Dreharbeiten: „Lambada – The Movie“ und „Lambada! The Forbidden Dance“. Selbst der feist gewordene Mickey Rourke wird in seinem „9 1/2 Wochen“-Nachfolger „Wilde Orchidee“ (kommt im April in unsere Kinos) erstmal zum Hüftenschwenken nach Brasilien geschickt. Böse Zungen munkeln, daß es demnächst auch eine spezielle „Lambada-Levi’s“ geben soll: feucht im Schritt.

Mindestens diesen Sommer wird uns Lambada sicher noch begleiten – der Begriff als solcher vermutlich sogar noch länger, weil er für viele Popfans mit beschränktem Horizont schon zum Synonym für lateinamerikanische Musik schlechthin geworden ist. Man wünscht sich beim Discjockey nicht mehr Salsa. Samba oder schlicht „was Südamerikanisches“ – seit Kaoma ist für Otto Normalverbraucher alles ein und dasselbe und heißt Lambada.

Für alle, die sich fragen, wie sich die Musik des brasilianischen Nordens und Nordostens denn nun tatsächlich anhört, zum Schluß ein paar Namen: Fafá de Belém. Tixeira de Manaus oder Saxofonist Pinduca stammen aus den nördlichen Bundesstaaten – im Nordosten sind Bands und Musiker wie Obina Shock. Banda Mel, Geronimo. Reflexu’s Da Mäe Africa, Chiclete Com Banana. Elba Ramalho oder Luiz Caldas populär.

Fragt sich, was schwieriger ist. die Suche nach dem echten Lambada oder der Versuch, einen gekonnten „Wie-ge-schluß“aufs Parkett zu legen. Was frustrierte Tanzschüler nie vergessen sollten: Das ganze Sex-Gerede ist eine europäische Erfindung. „Bei uns gilt Lambada gar nicht als besonders erotisch“, versicherte mir eine Brasilianerin. „Da ist das einfach nur Tanzen. „

Wer etwas wirklich Heißes will, muß weiter im Norden, auf den französischen Antillen, nach einem Tanz namens „Bei Air“ suchen. Der wird in einsamen, entlegenen Buchten sogar noch nackt getanzt.