Latenight mit Axl


Er ist gewissermaßen mit Rock am Ring aufgewachsen: Heute ist André Lieberberg, Sohn des wichtigsten deutschen Konzertveranstalters Marek Lieberberg, in der Agentur des Vaters für das Programm des Festivals verantwortlich. Und zeigt Mut zum Risiko.

Was sind deine frühesten Erinnerungen an Rock am Ring?

Naja, das geht sehr weit zurück, ich war tatsächlich schon als Kind öfter mit dabei und saß dann mit dicken Schutzkopfhörern auf der Tribüne. Aber zunächst hat mich das Ganze gar nicht so beeindruckt – weil ich als Kind halt ganz andere Dinge und vor allem auch ganz andere Musik toll fand. 1994 war dann das erste Jahr, das ich selber auch so richtig als Fan erlebt habe. Da war ich 17, es hatte sich inzwischen mein eigener Musikgeschmack herausgebildet, und ich bin zusammen mit einem Freund bei Rage Against The Machine so richtig abgegangen ~ da habe ich erst die Leidenschaft für unser „eigenes“ Festival entwickelt. Vorher war das keine so große Sache für mich – wobei mir jetzt einfällt, daß ich eine Zeitlang in der Schule während des Unterrichts heimlich Programme für Rock am Ring entworfen habe. Also so Zettel geschrieben, welche Bands ich auftreten lassen würde und an welchem Tag und so weiter.

Und wie sind deine Mitschüler mit deinem speziellen Verhältnis zu Deutschlands größtem Festival umgegangen?

Das fing auch so um 1994 an, daß die sich dafür interessierten und auch mal gefragt haben, ob ich ihnen Karten besorgen oder sie mit backstage nehmen kann. Ich hab‘ eine Woche lang versucht, in der Schule aus dem Spind heraus Festivalkarten zu verkaufen. Genau drei Stück bin ich losgeworden, dann hat mich die Direktorin erwischt. Mit der gab’s ziemlichen Ärger – und mit meinem Vater noch viel größeren! Da habe ich das dann wieder gelassen. Aber seit der Zeit haben mich Mitschüler und später Kommilitonen immer wieder ausgefragt, wer denn spielen wird und wie es backstage zugeht. Und es gab schon auch Kritik von Leuten, denen das alles zu groß oder zu kommerziell war.

Hat dein Vater das Feedback, das du aus der Schule und später von der Uni mitbrachtest, dann auch genutzt?

Ja, natürlich. Vor allem auch das, was mein älterer Bruder Daniel (heute Director Rock/Progressive bei Universal Music – Anm. der Red.) mit eingebracht hat. Er ist ja auch früh in die Firma eingestiegen. Eine der ersten wichtigen Anregungen, die von mir kam und die mein Vater auch umgesetzt hat, war seinerzeit, die Fugees am Ring spielen zu lassen. Ich stand damals ziemlich auf die Drum’n‘ Bass-, HipHop- und Dancehall-Schiene, während mein Bruder als Nirvana-Fan der ersten Stunde eher die Alternative-Acts angebracht hat. Aus diesen zwei Perspektiven heraus hatten wir durchaus Einfluß auf das Festivalprogramm, obwohl ich damals noch kein MLK-Mitarbeiter war.

Seit wann war für dich klar, daß du in die Agentur mit einsteigst?

Während der Studiums war mir vor allem klar, daß ich erstmal nicht zu MLK gehe. Ich war zunächst in New York, habe dort ein Broadway-Musical-Seminar gemacht und beim Plattenlabel Epic gearbeitet. Als mein Bruder dann zu Universal ging, hat mein Vater, der gern enge Vertraute in der Firma um sich herum hat, mich überzeugt, in die Firma zukommen.

Das Jahr 2003, als du erstmals für das Künstlerbooking bei Rock am Ring/Rock im Park verantwortlich warst, gilt rückblickend als das Jahr des großen programmatischen Generationenwechsels beim Festival…

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß man aber sagen, daß mein Vater und mein Bruder das zuvor schon eingeleitet hatten. Bereits in den späten 90er Jahren hatten sie begonnen, das Festival zu modernisieren, mit weiteren Bühnen auszustatten, weil sie einen Umbruch in der internationalen Festivalkultur insgesamt wahrgenommen hatten. Nur deshalb konnte Rock am Ring/Rock im Park das rührende Festival im deutschen Sprachraum bleiben. Aber ein Jahr wie 2002, wo wir als Headliner drei doch eher alteingesessene Acts wie Santana, Ozzy Osbourne und Neil Young hatten, wollten wir danach nicht mehr machen, von daher kann man das extrem erfolgreiche Festival von 2003 mit den Headlinern Metallica, Marilyn Manson und Placebo vielleicht tatsächlich mit dem Etikett „Generationenwechsel“ versehen.

Ihr leistet euch in in diesem Jahr ein Risiko: Guns N’Roses sind als Late-Night-Attraktion für das Festival am Ring angekündigt, obwohl ihr mit Axl Rose zweimal schlechte Erfahrungen gemacht habt, als er fest zugesagte Auftritte noch kurzfristig gecancelt hat. Was wettest du darauf, daß es tatsächlich zu dem Guns-N’Roses-Auftritt kommt?

Wir hätten uns nicht darauf eingelassen, wenn es nicht vorher intensive Gespräche mit dem Management der Band gegeben hätte. Die Anzeichen dafür, daß es tatsächlich klappt, waren noch nie so gut: Das Album CHINESE DEMOCRACY wird wohl nun endlich wirklich erscheinen. Wir haben uns bewußt erst zu diesem Wagnis entschlossen, als feststand, daß wir in diesem Jahr mit Depeche Mode, Metallica und Tool wirklich ein Wahnsinnsprogramm auf die Beineb ekommen.

Von Nürnberger Festivalfans hat es jetzt Proteste gegeben, weil Guns N’Roses nur am Ring auftreten…

GNR werden als Special Guest am frühen Morgen des 3. Juni zwischen 1 und 3 Uhr auftreten. Für Nürnberg wäre ist dies aufgrund der zeitlichen Restriktionen in der vorgegebenen Form nicht möglich und ist deshalb auch nie erwogen worden. Durch die Verlegung aufgrund der Fußball-WM sind wir noch näher an Wohngebiete herangerückt, somit gibt es für ein Late-Night-Special à la Nürburgring im Park kein zeitliches Fenster. Ich denke aber, Rock im Park präsentiert 2006 das wahrscheinlich beste Festivalprogramm seit seinem Bestehen. Die bisherige Resonanz ist hervorragend und läßt eine Besucherzahl nahe am Ausverkauf erwarten.

Was war das Wüsteste, womit du backstage in all den Jahren konfrontiert warst?

Nicht das Wüsteste, aber das Unverschämteste waren eindeutig die Towers Of London im vergangenen Jahr. Ausgerechnet eine Band, der wir einen Gefallen getan haben, indem wir sie mit ins Programm nahmen. Es hat sich dann rausgestellt, daß die sich schlicht aus PR-Gründen überall danebenbenehmen. Bei ihrem allerersten Gig überhaupt haben sie in einer Uni-Aula in London das Bühnen-Rigg heruntergerissen. Sie haben sich bei uns backstage wie die Schweine benommen, Dinge zerstört, Türen eingetreten usw., aber man hat gespürt, daß das eine ganz kalkulierte Sache war, kein Rock’n‘ Roll, sondern bloß Fake. Obendrein haben sie einen beschissenen Gig gespielt. Das war wirklich eine Enttäuschung. Gott sei Dank haben aber gerade auch im letzten Jahr die positiven Aspekte bei weitem überwogen.