Leben wie die Toten Hosen in Frankreich


Johann Wolfgang, der Dichterfürst, wäre vermutlich ins Grübeln gekommen. Auf Einladung des Goethe-Instituts nämlich machten Deutschlands Renommier-Chaoten den Süden Frankreichs unsicher. Randale vom Rhein bis an die Rhone. Ein Tourbericht von Karl May (aus Band 1 seiner Erzählungen "Durch die Wüste").

Es geht los in Frechen, einer kleinen Stadt südwestlich von Köln. Auf dem Marktplatz des niedlichen Provinznestes parkt der „Musik-Convoy“, eine Play-Back-Livesendung des Westdeutschen Werbefernsehens, das uns hier im arbeitenden Herzen Deutschlands täglich – außer sonntags – zwischen sechs und acht Uhr abends mit kurzweiligen Sendungen wie „Drei Damen vom Grill“, „Büro, Büro“ und „Falcon Crest“, der bisher wohl besten Intrigen-Serie (nach „Arm und reich“ versteht sich) versorgt.

Da außer dem Auftritt der Toten Hosen auch noch King Kurt anstehen, verlegt man die Bühne für beide Bands direkt vor ein Gebäude, welches gerade frisch renoviert wurde. (Prompt muß das Fernsehen aufgrund der zwangsläufigen Schweinereien mehr als 2000,- DM Reinigungskosten bezahlen und zudem viele bitterböse Briefe über sich ergehen lassen!) Nach einem früheren Auftritt der Toten Hosen in der Null-Sendung des „Musik-Convoy“, wo es zu gelinden Ausschreitungen im alkoholisch-sprituellen Bereich gekommen war, (und sich zudem eine gewisse Heike als Double für den – seinen Soldatendienst ableistenden – Hosen-Sänger Campino mit ihren gesamten – von Experten vorsichtig geschätzten -160 Pfund profilierte), herrscht diesmal strengstes Alkoholverbot.

Trotzdem schmuggelt die Band mittels Cola-Dosen, Benzinkanistern und Verbandskissen ihr Lebens-Elixier auf die Bühne. (Muß ja manchmal hart sein, immer die Besoffenen mimen zu müssen, auch wenn jemand zufällig Appetit auf Tomatensaft haben sollte. Aber das ist der Preis des Ruhms! Wenigstens etwas, über das wir Normale uns freuen sollten, wenn wir schon nicht die wahren Freuden des rockenden Untergrunds teilen dürfen…) Also, die Band, oder sagen wir der Haufen, kommt mit einem kleinen Faß, in dem die TV-Verantwortlichen sofort DIE DROGE vermuten, das jedoch laut Angaben von Schlagzeuger Trini Trimpop nur Benzin für die „Hip-Hop-Bommi-Bop-I ‚m black in New York & its very cold, so we need ftre“-Show enthält.

Gemeinsam mit Freddy Love, dem Rapper, haben die Hosen an diesem Tag einen schweren Stand, ist es doch für viele Jugendliche verlockender, mit Mehl und Eiern auf King Kurt und die TV-Moderatoren zu ballern, als dies bei den Toten Hosen bleiben zu lassen und sich dem, bei den militanten Fans der Gruppe eh nicht sonderlich beliebten Rap-Rhythmus hinzugeben.

Als ein Ei in Richtung Bühne fliegt, köpfelt Trini direkt in die Menge, um sich die werfende Person gleich vorzuknöpfen, während seine Kumpels Bier aus dem Benzinkanister ins Publikum gießen. Der Regisseur schnallt das ziemlich schnell und schaltet blitzartig auf Freddys perlweiße Zahnreihe um, wodurch dieses Desaster – noch einmal – von deutschen Bildschirmen ferngehalten wird.

Der Gerechtigkeit halber darf nicht unerwähnt bleiben, daß auch ohne dieses kleine Intermezzo noch hinreichend Chaos für die TV-Zuschauer geliefert wurde, mit Sicherheit mehr als in – grob geschätzt – 352 ZDF-Musik-Shows, bei denen einem das Gesicht einschläft, bleistiftweise bei dieser einen, na, wie heißt sie gleich, die …. ach egal, jedenfalls hampeln da drei unsägliche Tanten unglaublichen Schwachsinn vor. Musik kann grausam sein!

Na ja, Frechen liegt schon ziemlich nahe an Aachen, das seinerseits, quasi als Passau des Nordens, wiederum verhältnismäßig nahe an Belgien und… Frankreich liegt. Und dahin geht es nun in Riesenschritten.

Da die Hosen anläßlich der letzten Grenzübertritte stundenlang durchsucht worden waren, mit Leibesvisitation, peinlichen Befragungen und allem, was dazu gehört, tarnen sie sich mit dem Lembke-Schweinderl-rosafarbenen Hanomag-Kleinbus der Metamorphosis Blues Band, dessen Anblick allerdings geradezu eine Folter ist. Erwähnte Combo aus Herne kleisterte ihren Namen in der obligatorischen pseudo-psychedelischen Schrift auf das Gefährt, mit welchem aber der Grenzübergang offensichtlich kein ernstes Problem darstellt. Auf diese Weise kann man dann schon mal bis Mittelfrankreich kommen, bis man zum ersten mal kontrolliert wird. Am Rande des Dorfes Aubergnac winkt ein Herr mit der typisch französischen Apfelpflücker-Polizei-Mütze freundlich aber bestimmt das Fahrzeug an den Straßenrand.

Unhöflicherweise wird seitens der Polizei nur französisch gesprochen, trotzdem ist augenblicklich klar, was sie interessiert: Nachdem sie darauf bestehen, daß alle Türen geöffnet werden, vermeinen sie Haschisch-Geruch zu bemerken. Als Andi jedoch die Einladung des Goethe-Instituts vorzeigt, sind sie zufrieden und lassen den Troß ziehen, nicht ohne sich vorher nach deutschem Bier zu erkundigen. (10 Liter Budweiser im Kleinfaß sind an Bord!) Erstes Ziel ist Ajon. Man freut sich, endlich einmal pünktlich zu sein, bis sich herausstellt, daß es zwei Orte dieses Namens gibt. Und es wären ja nicht die Toten Hosen, wenn sie von vornherein den richtigen Ort erwischt hätten. Das heißt folglich: 150 km Umweg und wieder zu spät.

Am richtigen Veranstaltungsort, den wir dann reichlich verspätet anlaufen, wartet die Familie des Bürgermeisters schon ungeduldig: nichtsdestotrotz bereitet die Frau des „Maire“ sofort Kaffee für uns. Schließlich finden sich in der durchbestuhlten Basketballhalle dann aber doch etwa 300 bis 400 Leute ein, bunt gemischt, ein paar Schulklassen, einige Punks, ein paar Offizielle, die aber schnell wieder aufgeben und verschwinden.

Dafür haben sich die Punks mit viel Liebe und Akribie extra für uns zurechtgemacht, zwei pogoen gar während des Auftritts – und das mitten in tiefer französischer Provinz!

Überhaupt muß man die hierzulande grassierenden Vorurteile gegenüber einzelnen Jugendsekten im romanischen Raum sowieso erstmal vergessen. In Rom beispielsweise, wo ich mit FAMILY 5 herbstens gastierte, entpuppten sich die vorsichtig auf zwei Meter geschätzten Skins als nette und äußerst modebewußte junge Herren eleganten Zuschnitts, die sich für alles interessieren, nur nicht für die Skin-üblichen Vergnügungen wie Randale, Prügeleien und Cockney-Rejeckts. Vielmehr berichteten sie uns. daß sie es normalerweise nie wagen würden, ohne uns in ein Kommunisten-Viertel zu gehen, weil sie nämlich von den rabiaten Linken vermöbelt würden.

Die Punks in Italien wiederum geben als bevorzugtes Interessengebiet Mode und schicke Cafes an, während die Hippies doch ein recht grober Scheißhaufen sind und schon auch mal ganz gerne zuschlagen. Oder, wie man beim Reparieren der Autoelektrik oder ähnlicher Teile sagt: Rot ist blau und plus ist minus. (Besonders wenn man durch das rhythmische Klappern freigewordener Metallteile, speziell eben auf den einsamen franzosischen Landstraßen, gezwungen wird, sich mit dieser Materie zu befassen…) Okay, das Konzert verläuft sang- und klangvoll ohne große Höhepunkte – getreu dem Hosen-Motto: Einfach, aber grob! Für die Nacht danach ist uns eine Privat-Unterkunft zugesagt, und zwar bei französischen Mädchen, die sich’s wohl nach dem Auftritt anders überlegt hatten. So landet der ganze Haufen schließlich im billigsten Hotel am Ort.

Tags darauf Bordeaux, innen wie außen. Die Toten Hosen fallen mit selbigen überhaupt nicht auf, die gesamte Bevölkerung scheint tagein-tagaus nichts anderes zu tragen. Eine geile Stadt also. Generell wirkt das Weichbild des Ortes wie ein gutsortierter Schrottplatz. Abwechslungsreich wieder das Publikum: Vielleicht hundert französische Jugendliche, die mit ihren Deutschlehrern anwesend sind und mit Punk überhaupt nichts am Hut haben. Gottseidank sind sie samt und sonders hackevoll.

Dem Anlaß gemäß und uns zu Ehren serviert man Königsberger Klopse, die man aber eher für Walfischkutteln mit Quallengelee halten mußte; mir wird unsäglich übel. Jedenfalls stellen wir fest, daß es in Frankreich, zumindest in der Provinz, vor Langeweile noch mehr stinkt als in Deutschland: Abends rumhängen in absolut drögen Discotheken, anschließend irgendwo am Bordstein sitzen, Wein trinken und die vielen riesigen Ratten beobachten, dies hier überall gibt. Auch in Marseille, einer wirklich schönen Stadt, von der uns allerdings nur das vorzügliche Essen in Erinnerung bleibt. Trini mag leider Austern nicht, weil er meint, sie würden schmecken, wie „Mädchen zwischen den Beinen“. Ich seh das ja eher umgekehrt…

Nach dem zweiten Auftritt in Bordeaux stellen wir das Budweiser Faß im Hotelzimmer auf und besaufen uns. Als Zapfhahn-Ersatz wird ein Stück von der Gardinenstange gebrochen und ins Loch gehauen, ein Grund mehr für den Hotelier, uns noch tiefer zu hassen! Kuddel, der erste Gitarrist, hatte inzwischen eine ganze Menge von Freddy Love gelernt und klappt, als alle schon ziemlich hinüber sind, ein Porno-Heft auf und stellt es auf ein Regal an die Wand. Alles sitzt auf einem Bett gegenüber und starrt auf die Bilder. Nach jeweils fünf Minuten wird die Seite gewendet. Fernsehen im ökologisch einwandfreien Stil! Aber ein einwandfreies Indiz dafür, daß die Hoffnung auf scharfe Groupies während der gesamten Frankreich-Tour nicht erfüllt wurde… In einem kleinen Plattenladen entdeckt Campino dann ein Plakat von Eddie & The Hot Rods aus dem Jahre 77. Auf die Frage, wann jener denn wirklich zum letzten Mal hier gespielt habe, erklärt der Verkäufer frech: „Gestern!“ War der also tatsächlich zwischen dem ersten und dem zweiten Hosen-Gig vor Ort.

Das ist eh merkwürdig mit den Franzosen; Johnny Thunders scheint hier zuhause zu sein – und überhaupt ist Frankreich wohl das einzige Land, in dem Iggy Pop Nummer eins der Charts schaffte; Lou Reed ist hierzulande Gott, auch im kommerziellen Bereich. Jedenfalls stehen die Franzosen doch sehr auf harte Gitarrenmusik; dies zumindest als Hoffnungsschimmer für uns. (Auf dem ersten französischen Punkfestival war’s 77 oder 78? – in Marseille kamen die überdrehtesten Gruppen ebenfalls aus Frankreich, beispielsweise die herrliche Krachband Metal Urbane mit dem Single-Meisterwerk „Panique“. Soviel nur am Rande.) Immerhin erscheinen zum zweiten Auftritt in Bordeaux außer den erwähnten Schulklassen auch schon die ganzen Bordeaux-Punks, es kommt sogar richtig Stimmung auf. Ansätze von Massen-Pogo sind nicht zu übersehen. Mit anderen Worten: Heute stimmt alles.

Unsere zwei Helfer, Faust und Bollock, bekommen Ärger mit dem Chef des Ausschanks nun gut. Daß dann doch nichts passierte – noch besser! Jemand von der Vorgruppe brennt mit einem Effektgerät von Kuddel durch. Eine Verkäuferin des oben erwähnten Plattenladens weiß sogar, wer das Teil in Besitz genommen hat, will uns aber nur dorthin führen, wenn wir den Menschen verschonen. Nachdem wir feierlich den Eid geleistet haben, fahren wir zu einem Keller, der unter einer Bar ist. Zuerst tut die französische Band so, als verstünden sie uns nicht. Nachdem wir ihnen aber etwas von einer Pistole, die wir dabei hätten, (natürlich Unfug) erzählen, klappt alles erstaunlich schnell; das Gerät landet wieder in den Händen des Besitzers. Aus Freude darüber prellen wir noch eben die Zeche beim anschließenden Essen (fünf Gänge, zwei mehr als unser Leih-Bus, dem dafür als Strafe des Himmels auf der Rückfahrt nach Deutschland der Auspuff abfällt).

Um am Wochenende wieder in Düsseldorf zu sein, fahren wir in Rekordzeit (der Bus macht satte 90 km/h) nach Düsseldorf zurück, haben aber durch eine geniale Erfindung des französischen Fremdenverkehrs Gelegenheit, die wesentlichen Sehenswürdigkeiten des nordromanischen Raumes zu sehen: Am Rand der vielen National-Straßen stehen Hinweisschilder zu den unzähligen Schlössern. Die Schlösser selbst sind auch gleich per Gemälde darauf abgebildet, damit man nicht mehr von der Hauptstraße abfahren muß. Möglicherweise der Grund, warum die Autobahn in Frankreich soviel kostet: Der Staat läßt sich diese ausgereifte Ökonomie teuer bezahlen!

Übrigens: Obwohl wir uns alle von einem Barbier rasieren ließen, klappt mit Frauen auf der gesamten Reise absolut nix. So sind die Konzerte auch nur im Vollrausch zu ertragen. Die Band ist schon mittags immer betrunken, entsprechend hört sich auch die Musik an. Was nichts daran ändert, daß das Publikum die Sachen ganz toll findet. Mindestens zwei Zugaben pro Auftritt sind normal.

Und obwohl die gesamte Mannschaft auf der Heimreise höllisch stinkt, (es gab nur in seltenen Fällen eine Dusche in den Hotels) passieren wir ohne Kontrolle die Grenze und landen noch vor Sperrstunde in der Düsseldorfer Altstadt beim Altbier. So daß man abschließend sagen kann: ABER SCHÖN WAR ES DOCH!