Lenny Kravitz – Mama Said


PRO

Mama hat gesagt: Junge, entscheide dich endlich, was du willst.“ Mütter sagen oft solchen Blödsinn, schließlich weiß ein Mann — davon sind sie überzeugt — immer, was er will. Auch Lenny Kravitz hat sich das so lange eingeredet, bis er es selber glaubte. Die Folge: Er läßt sich bei seiner Musik von niemandem dreinreden, er macht alles selber. Und bescherte der Rock-Welt mit seinem Debül-Album ein derart derbes, unangepastes Stück, daß sogar Top-Produzentenkoltegen danach Zweifel an den Segnungen moderner High Tech bekamen. MAMA SAID verzichtet ebenso auf jeglichen Einsatz teurer Studio-Effekttechnik, Lenny klingt wieder, wie er will, sprich: wie vom Vierspur-Demo. Die Instrumente schmoren nicht in fetter Effekt-Soße, sie sind allenfalls leicht pochiert — vitaminreich und knackig. Lieben muß man dos genauso wenig wie die noch frecheren Klauereien aus den Nachlässen von John Lennon, Jimi Hendrix oder Smokey Robinson. Nur: Bei Prince regt sich darüber ja auch keiner mehr auf. Bedenklich finde ich allenfalls die nachlassende Trefferquole: Gerade mal vier Songs erreichen die Genialität eines ,Let Love Rule“, ein Titel (.Stop Draggin‘ Around“) ist bestes Handwerk, die restlichen sieben Nummern sind wie Bio-Verpackungsmaterial — überflüssig, aber schnell abgebaut. Trotzdem — ich würde diese vier Nuggets niemals gegen die dreifache Menge herkömmlicher Rock-Songs eintauschen.

CONTRA

Obwohl die Texte auf Lennys Debütalbum alle Klischees der letzten 30 Jahre in 55 Minuten rekapitulierten, herrschte in der Musik eine rauhe Dringlichkeit, die das Gleichgewicht zu seinen Gunsten ausschlagen ließ. Irgendetwas in dieser Kombination aus Selbstvertrauen und Orientierungslosigkeit wirkte anziehend, und er sang fast gut genug, um unsere Aufmerksamkeit von dem, was er sang, abzulenken. Aber auf seinem zweiten Album wirkt die Naivität einstudiert, und die stilistische Multi-Direktionalität scheint schon ein müder Trick zu sein — wie der Auftritt eines Verwandlungskünstlers in einer Variety-Show. .Fields Of Joy“ beispielsweise, ein Hippie-Stück, taucht gleich zweimal auf, um zu zeigen, wie breit Lennnys Spektrum ist. ,H Ain’l Over Till It’s Over“, ein echter Nicht-Song, klingt wie ein Stück von Smokey Robinson — aber daß eine Sitar im Arrangement auftaucht, wirkt irgendwie völlig doneben. ,Stop Dragging Around* und ,When The Morning Turns To Nighl“ haben beide die für Hendrix typischen Phosing-Effekte des Jahres 1967, aber leider nicht die gleiche Wirkung. Und ,Butlerfly* ist offensichtlich der Versuch, ein Remake von Jimis schönem Song .Angel“ hinzukriegen. Doch wer beide Versionen hintereinander hört, der wird nie wieder Kravitz haben wollen. MAMA SAID ist lediglich erstaunlich clever, bleibt ober an der Oberfläche. No Soul.