Lone Justice


Schüchtern nähert sich das unscheinbare Wesen in schlichten Jeans dem Mikrofon. Die Band beginnt, die Sängerin legt los. Von einer Sekunde zur anderen verwandelt sich besagtes unscheinbares Wesen zu einer der umwerfendsten Sängerinnen, die man in dieser Konzertsaison erlebt hat.

Maria McKee schüttelt ihre engelsgleichen Locken, dreht ihre Gitarre achtlos zur Seite, schließt die Augen und wagt als ersten Song „You are The Light“ vom Lone Justice-Debütalbum — eine ergreifende, langsame Ballade. Wer kann sich erinnern, daß eine junge Rockband mit einem zurückhaltenden Lovesong beginnt, anstatt ihr Publikum von der ersten Sekunde an lautstark zu beeindrucken?

Was vom ersten Moment dieser einzigen Deutschlandvorstellung im knapp gefüllten Saal der Großen Freiheit geschieht, ist elektrisierend. Diese explodierene Barbie-Puppe aus Los Angeles singt so hingebungsvoll, daß Konzertbesucher mit synthieverdorbenen Gehör und Gefühlsnerven fast schon verwirrt und verunsichert zur Bühne starren. Mit schreckgeweiteten Augen verfolgen sie. wie sich diese niedliche Lolita in einen mikrofongeilen Rockund Soul-Orkan verwandelt.

Bei „Shelter“ wirft sie sich auf den Boden, kickt ihren Monitor weg, kniet auf den Bühnenbrettern, schluchzt fast atemlos „I Light The Fire In Your Eyes“, und Gitarrist Shane Fontayne klopft ihr am Ende auf die schmale Schulter, als wolle er sie vor gesundheitsschädigenden Exzessen bewahren. Nichtsdestotrotz springt Miss McKee auf, haut mit gespreizter Kinderhand auf die Saiten ihrer Gitarre (die bei ihr eh aussieht, als stamme sie aus dem nächsten Spielzeugladen) und keucht ins Mikro: „Wir haben noch nie auf einer Bühne gestanden, wo die Beatles mal gespielt haben. Was für ein Gefühl.“ Und dann jubelt sie, als wolle sie die Mauern Jerichos einstürzen lassen, „I Found Love“ — und ihre Band muß sich tierisch beeilen, um tempogerecht mithalten zu können.

Als sei sie über das plötzliche Ende ihres Auftritts selbst total verblüfft, verabschiedet sich Maria, vergißt in der Aufregung, ihre äußerst kompetenten Mitstreiter vorzustellen, und ist wieder ganz das zauberhafte Wesen. Erstaunt blickt sie auf die rettungslos verzückte Gemeinde runter, als wolle sie sagen: „Huch! Was hab‘ ich da bloß wieder gemacht?“ Wunderbar, einfach wunderbar!