Loreley Open Air – Joe Cocker


Sekt oder Selters – das war in den vergangenen Jahren für Joe Cocker immer wieder die Frage. Noch im Spätherbst des letzten Jahres mußte Cocker einen Gig in München ausfallen lassen, weil er offensichtlich wieder zu tief ins Glas geblickt hatte. Bei seinem Auftritt im Bremer TV-„Musikladen“ mit Jennifer Warnes hielt er sich auch nur mühevoll auf den Beinen.

Einen völlig anderen Joe Cocker aber erlebten jüngst die Besucher des Open-air-Festivals im Münchner Reitstadion: Vor über 37000 Fans enterte Old Joe die Bühne, griff sich das Mikro und ließ die folgenden Chris De Burgh und Supertramp fast schon wie Veteranen aussehen.

In einer Stunde kämpfte er sich durch seine unvergessenen Klassiker – von „With A Little Help From My Friends“ bis zu „You Are So Beautiful“. Cocker sang intensiv und emotionsgeladen, nß die Fans mit, obwohl die wenigsten wegen ihm gekommen waren, wenige nur seine Songs kannten und sicher nur einige Promille jemals die Chance hatten, ihn überhaupt schon einmal live gesehen zu haben, Joe Cocker war der Überraschungs-Sieger von Riem und könnte es auch wieder beim Loreley-Festival am 20. August gewesen sein.

Wenn er dort oben über dem Rhein auftritt, wird er im Gepäck seine neue LP „ONE MORE TIME“ haben, von der vor einigen Tagen bereits die Single „Threw It All Away“ veröffentlicht wurde.

In Nashville nahm er das Album auf. Lange ließ sich Cocker, der außerhalb von Los Angeles lebt, für diese Platte Zeit. Sorgfältig wählte er unter den angebotenen Songs aus. Der Mann, der in seinem Leben noch nie etwas selbst komponierte, stützt sich auch diesmal auf die Einfälle komponierender Kollegen Die Ups und Downs seiner Karriere könnten inzwischen das Thema für einen abendfüllenden Spielfilm liefern: Bereits im September 1964 erschien seine erste Single: „I’ll Cry Instead“ – die Coverversion eines Beatles-Songs. Erfolg gleich Null.

Mit Pianist Chris Stainton und Gitamst Henry McCullough gründete er daraufhin die Grease Band – und diesmal klappte es: „With A Little Help From My Friends“ schoß im Herbst an die Spitze der englischen Hitparade. Cocker wurde über Nacht ein Star, obwohl er mit seinen spastischen Bewegungen auf der Bühne nie so recht in das Star-Klischee passen wollte. Durch seinen umjubelten „Woodstock“-Auftritt schien der Erfolg zementiert zu sein.

Der Sturz kam plötzlich und war tief. Im Sommer 69, kurz vor Beginn der dritten US-Tournee, ging die Grease Band in die Brüche. Cocker drohten gewaltige Konventionalstrafen Leon Russell, einer seiner besten Freunde, griff ihm unter die Arme. Nicht nur den Hit „Delta“ schrieb er für ihn, sondern stellte praktisch über Nacht eine komplette Band auf die Beine: „Mad Dogs And Englishmen“.

Die Tour wurde em Riesenerfolg – doch für Cocker wieder ein Fiasko. Ganze 800 Dollar bekam er am Ende der zweimonatigen Tour ausgezahlt. Mehr war angeblich nicht da. Cokker. der in seinem Leben nie lernte, mit Geld und Managern umzugehen, warf resigniert das Handtuch.

Immer und immer wieder unternahm er m den letzten Jahren einen Anlauf – meist ohne nennenswerten Erfolg Die einen wollten ihn als „Woodstock“-Legende verheizen, die anderen nannten ihn einen unzuverlässigen Säufer und warfen ihn zum alten Eisen.

Erst mit der LP SHEFFIELD STEEL machte Cocker im letzten Jahr nachdrücklich auf sich aufmerksam. Und als er sich dann doch noch mit Jennifer Warnes und der Film-Melodie zu „Ein Offizier und Gentleman“ in die Charts sang, schien alles wieder im Lot.

Man kann ihm nur wünschen, daß der Schein nicht wieder einmal trügt.