Malcolm McLaren: Pop-Mephisto


Was haben die Sex Pistols, Adam Ant, BowWowWow and die New Tork Dolls gemeinsam? Macher und Mastermind Malcolm McLaren. Das "enfant terrible" der Popmusik initiierte Trends und Moden, entwarf das Bürgerschreck-Image der Pistols und irritierte Presse und Pu- blikum mit revolutionären Ideen. Sein neuester Coup: eine musikalische Weltreise, die ihn nach New York, Buf- falo, Puerto Rico, Peru, Südafrika und Kuba führte. Das bizarre Resultat erläutert McLaren in einem ME/SOUNDS-Interview.

Unbestechliche Peitschenhiebe einer Rhythmusmaschine zischen aus den superteuren Lautsprechern der Disco. Dann hört es sich an, als ob die Platte hin und her gedreht, plötzlich angehalten wird, dann wieder diese niedersausenden Peng-peng-Schlage des Computerrhythmus. Eine Stimme erzählt von weit weg etwas von „Buffalo Gals“. Bizarr, bizarr!

Eigentlich war es immer derselbe Mann, der dafür gesorgt hat, daß bizarre Ideen in der Rockgeschichte nicht das Eigentum eines elitären Untergrundes blieben, sondern in Discos, Hitparaden und großen Konzertarenen wiederzufinden waren. Malcolm McLaren hat mit den „Buffalo Gals“ wieder mal dafür gesorgt, daß wir beim Tanzen was zu knabbern haben.

McLaren, Schotte, war in den Sechzigern in Paris Anhänger der „Situationistischen Internationale“, einer halbkünstlenschen, halbpolitischen Bewegung, die schließlich maßgeblich an den Unruhen vom Mai ’68 beteiligt war. Doch merkte er bald, daß er seine politischen und theoretischen Ideen am wirksamsten in einer Welt ausleben kann, die seit Elvis Presley die sicherste Plattform dafür bietet, Ungewöhnliches einem möglichst breiten Publikum nahezubringen: Rockmusik.

Anfang der Siebziger übernahm McLaren das Management der New Yorker Skandal-Ghtterund Junkie-Band New York Dolls. Gemeinsam mit seiner Freundin (heute Ehefrau) Vivian Westwood entwarf er ein Image, das irgendwo zwischen Ziggy Stardust. Rolling Stones und Schmuddel-Transvestiten lag: gigantisch hohe Plateau-Stiefel, knallenge Jeans, tuntige Bewegungen und billig-lasziver Augenaufschlag, dazu harter, lärmiger New Yorker Straßen-Rock ’n‘ Roll – es hat lange gedauert, bis die Dolls verdaut wurden. In England erleben sie gerade ein Revival, während die Original-Mitglieder rettungslos an der Spritze hängen wie Johnny Thunders oder bürgerliche Rock-Entertainer geworden sind wie David Johansen. McLarens zweiter Schlag war dennoch ungleich spektakulärer. Er kreierte die Sex Pistols. Aus den Leuten rund um Viviens Avant-Boutique „Sex“ rekrutierte er einen Kreis von Straßenkids, die mit ihrer angeborenen Frechheit, ihrem Schauspielerund Entertainer-Talent und mit McLarens genial entworfenem Bürgerschreck-Image für die größte Aufregung sorgten, die die Rockwelt seit den Beatles und Stones heimgesucht hatte.

Spätestens seit er die Pistols managte, bekam McLaren auch selber ein Image: Scharlatan oder Genie‘ Ausbeuter oder Ideenfabrikant? Noch heute gibt es Dutzende von Gerüchten über ihn. Mal wird ihm der Drogen(?)-Tod von Sid Vicious, mal betrügerisches Management zur Last gelegt, dann heißt es wieder, die Musiker hätten die Tragweite seiner Ideen nie richtig begriffen und seien selber daran schuld, daß McLarens Unternehmungen zwar allemal spektakulär, aber selten von großer Dauer waren. McLaren über die Pistols-Ära: „Das Gute an Sid Vicious war, daß man ihm jedes Lied in die Hand drücken konnte, er sang es. Hätte man dagegen Johnny Rotten . White Clifls Of Dover‘ gegeben, hätte ersieh erst mal zwei Wochen auf der Toilette eingeschlossen und über den Sinn der Worte nachgedacht. .. Punk war eine der wenigen englischen Musikbewegungen, die wirklich subversiv und revolutionär waren. Die von niemandem etwas gestohlen hatte. Das war genuin englische Kultur. Johnny Rotten ist doch direkt aus einem Dickens-Roman entsprungen. Er ist näher an David Copperfield als an Muddy Waters.“

Nach viel Krach und Auseinandersetzungen und einem sarkastisch bösen Film „The Great Rock ’n‘ Roll Swindle“ trennte sich McLaren von den Pistols bzw. diese sich von ihm und untereinander. Er schritt zu neuen Taten, indem er den bis dahin erfolglos vor sich hm wurstelnden Punk-Underground-Geheimtip Adam Ant unter Vertrag nahm. Er gab ihm Abenteuerromane zu lesen, entwickelte Ideen von einem modernen Piratentum, drückte ihm die Biographien großer Indianerhäuptlinge und legendärer Räuberhauptmänner in die Hand und schuf so die Voraussetzungen für dessen Erfolg als „Pnnce Charming“, als „King Oi The Wild Frontier“, als Idol für ein junges abenteuerliches Publikum.

Doch noch vor der ersten LP mit neuem Image trennte sich Adam von Malcolm, zahlte ihm hohe Summen für dessen geistiges Eigentum an Image, Outfit und Musikideen und überließ McLaren außerdem seine bisherige Band, die Ants. Malcolm taufte sie kurzerhand in Bow-WowWow um, setzte eine 16jähnge Anglo-Burmesin namens AnnabeJla Lu-Win als attraktiven Blickfang und kmdlich-tobende Leadsängerin ein.

Dazu dachte er sich den Coup aus, die Produktionen dieser Gruppe nicht als Platten, sondern nur noch als Cassetten auf den Markt zu bringen. Ihm schwebte angesichts der hohen Arbeitslosenziffern eine neue Generation vor, die nicht mehr arbeitete, sich vom Staat das Nötigste holte und ansonsten mit Walkman am Gürtel, ohne festes Zuhause, ohne bürgerliche Werte und ohne eine unmobile, teure Einrichtung wie einer Stereo-Anlage wild und beschwingt Städte und Parks unsicher machte. Er ließ Annabella „die Zerstörung des Arbeits-Ethos“ besingen, ließ sie ]ubeln „Nein, nein, nein! Mein Vater arbeitet nicht!“ und sogar die von der Phono-Industrie gefürchtete Methode des „Hometaping“ anpreisen.

Klar, daß sich die Industrie nicht gerade anfreunden konnte mit McLarens Ideen. Zumal BowWowWow, inzwischen gezwungenermaßen auf Platten, nicht der ganz große Erfolg wurden, den sich McLaren und die Plattenfirma erhofften. Während Adam abräumte, schafften BowWowWow gerade mal Achtungserfolge. McLaren heute. „Das war mir von Anfang an klar. Zunächst mal ist ein großer junger Mann immer erfolgreicher als ein kleines Mädchen. Das war von jeher so im Show-Geschäft Denn Adam war eine Institution für die ganze Familie. Auch Mama und Papa mögen Errol Flynn, mögen Piraten- und Indianerfilme. Annabella dagegen war wild und sie hatte auch nicht den unbedingten Willen zum Erfolg, wie Adam. Die Band verkündete gefährliche Dinge. Schließlich wollten sie auch ihren eigenen Weg, so daß wir uns voneinander trennten. Jetzt machen sie eine neue LP, für die Annabella selber die Texte schreibt, was ich vorher getan habe. „

In der Presse beschimpfen sie dich heute als Voyeur, als alten realitätsfremden Anarchisten und Betrüger.

„Das ist Rock n‘ Roll. Das kratzt mich nicht weiter. Solche Äußerungen gehören zum Spiel Nein, ich mag diese Band weiterhin recht gerne, auch wenn ich das, was ich mit ihnen vorhatte, nun anders weiterverfolge, ich wünsche ihnen viel Glück. „Immerhin sind sie die erste Band, die ein McLaren-Management halbwegs heil überstanden hat.

Kurz nach dem Ende seiner Tätigkeit bei BowWow-Wow, denen er immerhin kostenlos die Idee überlassen natte, Shadows-Gitarrenmelo±en mit Burundi-Trommeln zu Koppeln, tat sich McLaren mit Hip-Produzent Trevor Hörn zusammen, dem Mann, der früher mit den Buggles erfolgreich war, bevor er mit der Produktion von Dollar und ABC zum Produzenten des Jahres ’82 wurde.

„Sem Name garantierte Geld. Mein Name und meine windigen Ideen bewegen keine Plattenfirma der Welt, besonders viel Geld lockerzumachen. Und das brauchte ich“. In der Tat, denn für sein neues Projekt mußte McLaren monatelang durch die Welt reisen.

„Ich gehe davon aus, daß winn England unsere musikalische Bedeutung überschätzen. Wir sind ein unmusikalisches Volk. Wir sind gute Geschichtenerzähler und wir sind gute Piraten. Wir sind gut darin, andere Kulturen zu bestehlen; das ist ein besonders ausgeprägtes Moment britischer Musik. Die Stones hatten’s von Chuck Berry, die Beatles von Tamla Motown und beide waren erfolgreich, so daß wir heute denken, wir wären der Mittelpunkt der Pop-Musik.

Meine Idee war es, diese Isolation der britischen Inseln zu überwinden und auf der ganzer. Welt Beispiele zu sammeln füi das, was ich mir unter wahren. Rock h‘ Roll vorstelle, sei es n. der South Bronx in New York, se es in den peruanischen Anden, bei den Zulus in Südafrika oder bei kubanischen Schwarzen. Wahrer Rock ’n‘ Roll ist älter als Beethoven oder Barry Mamlow, älter als Jesus Christus. Sieh dir die besten Momente in der Geschichte des weißen Rock h’Roll an. Elvis Presley – das war reinstes Afrika. Musik, die vom Beat kommt, von den Hüften, nicht vom Gehirn. Eine revolutionäre, sehr sexuelle Musik. Das ist Afrika, das sind afrikanische Tänze. Und das ist die älteste Kultur der Welt.

Heute findest du sowas in der South Bronx, dem verfallensten Teil von New York. Junge schwarze Gangs, die sich zwei Plattenspieler schnappen und aus den Platten den Beat herauskitzeln, den Groove. In England werden die Leute verückt, wenn es nicht alle 30 Sekunden ne neue Melodie gibt. Aber die Jungs halten die Platten immer wieder an, um einen Beat durchlaufen zu lassen. Dazu rappen sie oder tanzen – und das geht wirklich tief, das hat Magie.“

McLaren hat sechs Wochen in der South Bronx igelebt, um die Technik des „beratenen und „Ouffen zu lernen, also zu lernen, wie man mit zwei Plattenspielern, einigen guten Rhythmus-Platten und einer Rhythmusmaschine eine neue „magische Stammesmusik“ herstellen kann. Dann nahm er in den Apalachen einen „Square Dance“ auf, einen Rundtanz, der nach ganz bestimmten Regeln (die von einem Sprecher immer wieder rhythmisch gebrüllt werden: „Und jetzt drehst du deinen Partner im Kreis“, „Und nun alle als Promenade“) organisiert wird.

Dieser Tanz ist der einzige Beitrag weißer Volkskultur auf McLarens musikalischer Weltreise. Und das auch nur, weil für ihn bei diesem Tanz der rituelle Aspekt so unverfälscht vorhanden ist wie sonst nur bei schwarzen Tänzen; „Der Stamm oder die Dorfgemeinschaft trifft sich auf dem Dorfplatz, bildet eine Runde und tanzt nach bestimmten Regeln. Ziel der Sache: Sex. Der Junge soll sich ein Mädchen suchen. „

Mit den Aufnahmen des Squaredances „Buffalo Gals“ fuhr McLaren nach New York zurück, wo er zusammen mit einer Rap/ DJ-Gang eine Scratch-Version von „Buffalo Gals“ herstellte. Die ist nun auf der A-Seite, der Originaltanz mit unterlegtem Baßund Schlagzeug, beides im Super-Trevor-Horn-Sound, auf der B-Seite der ersten Single.

Auf der LP kommen aber noch wesentlich spektakulärere Stükke Musik ans Tageslicht: „Du kennst vielleicht Afrika Bambaata (Discogängern von der Single „Planet Rock“ bekannt – Anra d. Verf.), diesem Rapper aus der Bronx. Er nennt seine Gang Zulu-Nation, weil er eine starke Verbindung zu der Kultur der Zulu empfindet. Die Zulu sind das einzige afrikanische Volk, das je ein Heer des britischen Empire besiegt hat. Und zwar kam das so: Es gab da einen Häuptling namens Chaka. Dieser Chaka kannte die Engländer und wußte, daß er ein richtiges Heer braucht, um sie zu besiegen, also sammelte er 500000 junge Zulus, denen er zunächst einmal jeden Kontakt zu Frauen verbot. Dann trainierte er sie durch einen Tanz. Ein harter, simpler Tanz zu einem harten Beat. Sie mußten solange tanzen, bis die Erde unter ihnen anfing zu brechen, bis es deutliche Risse im Erdreich gab. Du kannst dir denken, daß sie vor nichts und niemanden Angst hatten. Der Tanz kommt auch auf unserer Platte.“

Produzent Trevor Hörn, der ruhige, zivilisierte Engländer, der seine Erfolge als Produzent der von McLaren so gehaßten, englichen Pop-Musik machte, reiste zunächst widerstandslos mit. Erst als McLaren sein Interesse für magische Musik nach Kuba trieb, kam es zum Konflikt.

„Die Schwarzen auf Kuba haben sich von allen ehemaligen Sklaven am wenigsten mit der weißen oder anderer Bevölkerung vermischt, sie haben ihre Kultur bis heute am reinsten gehalten. Als ich mit Trevor in Kuba war, hatte ich eine schwarze Percussion-Truppe organisiert und ms Studio geholt. Und anders als überall sonst in der Welt, übernahmen sie sofort das Kommando und stürzten Trevor in heillose Konfusion. Sie sprachen nur spanisch oder afrikanisch, er konnte ihnen also nicht sagen, welche Mikros sie benutzen sollten und so weiter.‘ Und mir passierte etwas, was mir in meinem ganzen Leben noch nie passiert war: Ich fiel m Trance. Trotzdem haben wir irgendwie etwas aufgenommen.

Wir gingen also zurück ms Hotel und hörten uns die Bänder an. Trevor drehte durch: „Ich kann den Beat nicht finden, ich kann den Rhythmus nicht finden!“ Er sollte ja etwas Eigenes zu der Musik spielen. Wir hatten zu allen Aufnahmen, die wir gemacht hatten, noch einen eigenen Beitrag geleistet, aber jetzt ging es nicht. Der gefeierte Musiker und Produzent Trevor Hörn konnte den Beat nicht finden, er konnte die Melodie nicht finden, obwohl es ganz klar war, daß es einen Beat und auch eine Melodie gab. Trevor wollte also zurück nach England und ich dachte. Da fliegt mein Etat! Ich flehte ihn an, zu bleiben, ließ einen Musikwissenschaftler aus New York ein fliegen, der sofort die Melodie und den Beat raustüftelte, auf dem Synthi einspielte und mir eine erstaunliche Eröffnung machte: Das Regelmäßige an dieser Musik war nicht das, was sie spielten, sondern das, was sie wegließen, die Pausen. Und er ging noch weiter: Möglicherweise war diese Musik bewußt so verschlüsselt, daß sie nicht imitiert oder übernommen werden kann. „

Das alles hindert Malcolm nicht, wenige Monate nach Erscheinen seiner LP SQUARE-DANCES OF THE WORLD (in Deutschland gibt’s bislang nur die Single) noch einen Schritt weiterzugehen m Sachen Gigantomanie: Er will alle Mitwirkenden aus New York, Buffalo, Puerto Rico, Peru, Südafrika und Kuba nach London zu einem Konzert holen und bei Erfolg und Finanzierung sogar eine Tournee veranstalten..