Mink De Ville


Die Erde hat ihn wieder! Nachdem seine Plattenfirma ihn vor knapp zwei Jahren mit einem harten Tritt in die Wüste schickte, schien Willie De Ville auf Nimmerwiedersehen in der Versenkung zu verschwinden.

Doch dieser Mann ist zäh… In einem Telefon-Gespräch spricht Willie über Themen, die ihn derzeit bewegen: Seine bitteren Erfahrungen mit dem Plattengeschäft, die neue Band, seine Vorliebe für Kraftwerk und – last not least – den neuen, Brillianten-besetzten Goldzahn …

Das Thema ist ja sicher nicht das angenehmste, aber vielleicht kannst du zunächst mal erzählen, was in den letzten zwei Jahren passiert ist?

„Ich versuche, möglichst gar nicht darüber nachzudenken. Es war die erste Lektion, die man als Musiker in diesem Geschäft früher oder spater lernen muß. Du mußt lernen, zwischen Künstlern und Geschäftsleuten strikt zu unterscheiden.

Capitol hat mich rausgeworfen. Sie wollten LE CHAT BLEU, das letzte Album, nicht veröffentlichen. Dabei war es das beste Album, das ich bis dahin gemacht hatte. Aber sie haben es einfach nicht geschnallt.“

Vielleicht lag es daran, daß sie als amerikanische Firma nicht gecheckt haben, was in Europa vor sich geht und welchen Stellenwert du hier hast. Vielleicht war es einfach nicht das richtige Album für amerikanische Ohren?

„Doch, es war durchaus für Amerika geeignet, das haben ja die Importe bewiesen. Es war ein phantastisches Album. Sie haben mich schlecht behandelt, das ist alles.“

Vielleicht kam der stilistische Wechsel zu abrupt? Mit den ganzen Streichern klang LE CHAT BLEU ja nun wirklich anders als die beiden ersten LPs.

„Sicher, es war eine überraschende Platte, aber das einzig Überraschende war, daß sie so gut war. Ich glaube, die Leute bei der Plattenfirma haben einfach nicht damit gerechnet, daß ich ein so gutes Album abliefern würde. Sie dachten wohl, ich würde in Paris irgendwelche schrägen Edith-Piaf-Imitationen aufnehmen. Wen ich Platten mache, dann mache ich sie im Hinblick auf die Spielbarkeit im Radio. Es ist absolut hirnrissig, mir vorzuwerfen, ich würde Musik machen, die nicht kommerziell genug sei.“

Welche Erfahrungen hast du denn aus der ganzen unglückseligen Affäre gezogen? Verhältst du dich zu deiner neuen Plattenfirma anders?

„Da kannst du unbesorgt sein. Ich versuche, so wenig wie möglich mit dem ganzen Apparat in Berührung zu kommen. Und wenn, dann deale ich nur mit Ahmed Ertegun. Er ist der Boß von Atlantic Records, er hat mich persönlich gesigned – und er ist meine einzige Kontaktperson.“

War es denn schwer, nach fast zwei Jahren die Scherben wieder zusammenzusetzen und von vorne anzufangen?

„Nein, das war nicht schwer. Doch, es war doch schwer! Schwer, insofern mir die Vorgänge um das ‚Blue-Cat‘-Album doch gehörig auf die Nieren gegangen sind. Ich habe mein ganzes Herz, meine ganze Liebe in diese Platte gesteckt – und diese Leute sperren nicht mal ihre Ohren auf!“

Was hast du denn in den zwei Jahren eigentlich getrieben? Habt ihr mit der neuen Gruppe überhaupt schon gespielt?

„Ich habe die Zeit genutzt, ein bißchen smarter zu werden (lacht). Ja ja, wir haben hier in New York schon Gigs gemacht Phantastische Reaktionen..

Lebst du also noch in New York?

„In New York, Paris und New Orleans.‘ Hast du noch immer ein Faible für Paris?

Klar, es ist die schönste Stadt der Welt – oder nicht? Rom ist O.K., aber ich mag das Essen nicht. Pasta all the time.“

Hast du denn eigentlich jemals mit dem Gedanken gespielt, völlig mit Musik aufzuhören?

„Das wäre so, als würde ich mirm einen rechten A rm abhakken. Musik ist ein zu wichtiger Bestandteil meiner Person und deshalb hat die Ablehnung, die ich bei dem Blue-Cat‘-Album zu spüren bekam, auch so weh getan. Daß etwas, was ich zum ersten Mal so gut gemacht habe, wie an einer Gummiwand abprallt!Sie sollten es sich noch mal in Ruhe anhören, es ist ein phantastisches Album. Und gerade dann ficken sie dich. Das kann dich glatt zum Terroristen machen.“

„Das macht dich glatt zum Terroristen“

Um ganz ehrlich zu sein, gab es auf der Platte auch für mich einige Passagen, die mir mit dem ganzen Streicher-Schmalz ein wenig zu … pathetisch waren.

„Es dreht sich nun mal um Gefühle. Du hast recht, über dem Album liegt eine gewisse Sentimentalität und Melancholie. Es ist eben ein bestimmter Teil deiner Gefühls-Palette.“

Ich glaube, du bist einer der wenigen Leute in dieser Musikszene, die sich nicht scheuen, ihre Gefühle auf den Tisch zu legen, selbst wenn …

„… selbst wenn es pathetisch klingt (lacht). Das Leben ist nun mal pathetisch, mein Freund“

Wärst du denn mit dieser Beschreibung von dir einverstanden?

„Ob ich das von mir behaupten würde? Ich glaube, das wäre ein wenig anmaßend.“

Wenn du ganz ehrlich bist?

„Ich weiß nicht. Über sowas möchte ich lieber nicht reden. Man muß auch seine Geheimnisse haben können – nicht wahr?“

O.K., sprechen wir von was anderem. Wie lange hast du gebraucht, um die neue Gruppe auf die Beine zu stellen. Es sind doch wohl alles neue Leute?

„Sie sind alle aus New York und endlos besser als die letzte Band. Ihr da drüben in Europa . werdet vom Stuhl fallen, wenn ihr uns hört.“

Sind es wieder alles Leute mit mexikanischem oder hispanischem Background?

„Hispanischer Background? (lacht) Ja, ja, fünf puertoricanische Terroristen – und wir kommen und holen euch. Wir krallen uns die Deutschen und verschleppen sie nach Puerto Rico (lacht). Das könnte ganz lustig werden.“

Gibt’s denn auch wieder einen so schönen Background-Chor wie die „Immortals“ auf der letzten Tournee?

„Nein, nein, nein! Die ganze Gruppe singt. Die Band ist so viel geiler als die letzte. Ich hob‘ sie alle gefeuert, Louis X. Erlanger und wie sie alle heißen. Und jeder in dieser neuen Band ist so gut wie ich. Also kannst du dir ungefähr ein Bild machen, wie gut sie sind Richtig?“

Zu welchem Zeitpunkt hast du denn die alte Band aufgelöst?

„Als der Ärger mit dem ‚Blue-Cat‘-Album passierte. Die Lage wurde brenzliger, der Druck stärker. Die Gruppe konnte das nicht packen, glaubte vielleicht auch noch nicht so fest daran wie ich – und schon ging es in die Brüche. Und dann hat mir mein Manager obendrein noch einen Prozeß aufgehalst. Für das Geld, das ich ihm zahlen mußte, hätte ich ihn problemlos um die Ecke bringen lassen können. Er könnte schon längst als Wasserleiche im Hudson schwimmen. Jedenfalls, dieser ganze Druck war zuviel. Sie glaubten eben nicht mehr daran, daß wir noch einmal wieder die Sonne sehen würden.“

Wie hast du dich finanziell über Wasser halten können?

„Durch den Soundtrack „Cruisin“, auf dem ein paar Titel von mir waren.“

Und das hat gereicht?

„Es war genug für die Miete. Aber mehr brauche ich eigentlich auch nicht. Ich lebe nicht besonders stilvoll.“

Als dich Capitol damals feuerte, hatte ich eigentlich die Befürchtung, daß auch die anderen Firmen sich an dir nicht die Finger verbrennen wollten. Es gab ja immer dieses Gerede von Unzuverlässigkeit, Drogenprobleme…

„Drogenprobleme? Als wir uns das letzte Mal trafen, hattest du da den Eindruck, ich hätte Drogenprobleme?!“

Es geht ja auch nicht um mich, sondern um diese Gerüchte, die sicher die eine oder andere Plattenfirma abgeschreckt haben.

„Das ist richtig. Sie sind mißtrauisch geworden. Aber das hat mich so angekotzt, wenn ich zu hören bekam, ich sei drogenabhängig. Jeder weiß doch, daß es stimmt (lacht). Warum also der Wirbel?“

Aber man kann es doch einer Plattenfirma nachfühlen, daß sie sich etwas zurückzieht, wenn es sich um Investierung einer größeren Summe in eine Person dreht, von deren Zuverlässigkeit man nicht überzeugt ist.

„O.K., aber in dem Punkt gab es doch nun wirklich nie ein Problem mit mir. Ich bin immer pünktlich auf der Bühne. Das Problem ist höchstens, mich von der Bühne runterzuholen. Ich hob‘ doch nun alles gemacht! Hab‘ auf ihren internen Vertreter-Sitzungen gespielt, hob‘ alle gottverdammten Interviews gemacht, die sie von mir verlangten, ich hob‘ mir den Arsch abgearbeitet – undsiehaben mich gefickt.“

Willst du jetzt wieder voll einsteigen, Tourneen und …

„Ich hasse Tourneen.“

Warum?

Zu viele Flugzeuge.“

Aber es muß dir doch einen Kick geben, wenn du in einem fremden Land, in einem fremden Stadt, vor einem fremden Publikum spielst – und trotzdem so spontane Reaktionen hast, wie das auf der ersten Deutschland-Tournee passierte?

„Absolut. Das geht schon gut los. Aber irgendwann kommt dann der Punkt, wo alles ins Negative umschlägt. Wo dein Leben dich lebt – statt du dein Leben lebst. Das ist ok tür eine Weile, aber Plattenfirmen neigen nun mal dazu, dich bis an die Grenzen deiner körperlichen Kräfte zu treiben.“

Was hat sich denn deiner Meinung nach in den vergangenen zwei Jahren musikalisch verändert? Gab es irgendwelche Konzerte, Platten, neue Bands, die dir einen Anstoß gegeben haben?

„Ich würde mich freuen, wenn in der Szene etwas Nennenswertes passieren würde. Aber es ist alles nur Krampf, was man zu hören bekommt. Ich höre gar nicht wirklich zu, ich mache mir keine Gedanken darüber.“

COUP DE GRACE, dein neues Album, klingt für meine Ohren relativ konservativ – eher wie die beiden ersten LPs als wie LE CHAT BLEU. Und verglichen zu dem, was sich in den letzten zwei Jahren allgemein verändert hat, klingt deine Musik ohnehin fast unverändert.

„Wie soll ich das sagen … Wenn es nicht in dieser Form aus mir rauskäme, hätte es mit mir nichts mehr zu tun. Die Musik ist noch immer die gleiche, weil es die gleiche Person ist. Aber die Person ist inzwischen eine andere geworden, sie sieht die Dinge anders und verhält sich anders. Das ist der Punkt.“

Ist Edith Piaf eigentlich immer noch dein Idol?

„Billie Holiday mag ich ebenso sehr. Und Marlene Dietrich. Sie klingt genauso wie Lou Reed.“ (Fängt mit rauchiger Stimme an zu singen.) „Falling in love again … Meinst du nicht? Es wäre eine verdammt gute Idee, wenn sie eine Platte machen würden.“

Wer?

„Na, Lou Reed und Marlene Dietrich – so wie Peaches & Herb‘ (lacht). Lotte Lenya mag ich übrigens auch.

Alles Namen aus der Vergangenheit.

„Ja, manchmal denke ich mir auch, daß ich zur falschen Zeit geboren bin.

Ich habe übrigens einen neuen Goldzahn bekommen, gleich vorne der Schneidezahn. Gold – undin der Mitte hat er ein Pentagram. Ich hob‘ es gerade in New Orleans machen lassen.“

Hmm, sieht sicher cool aus.

„Klar, es sieht obercool aus. Toots hat auch einen bekommen, steht ihr auch hervorragend.“

Wer?

„Toots, meine Freundin. Du kennst sie doch.“

Lebt ihr noch immer zusammen? Arbeitet ihr eigentlich auch gemeinsam?

„Klar, was sonst? Aber sie will nun rein gar nichts mit dem Geschäft zu tun haben. Sie ist auf ihre Weise auch ein Künstler, aber sie will nichts verkaufen. Eher verschenkt sie es.“

Erzähl vielleicht noch ein paar Details über die neue Platte.

„Alles neue Songs. Ich spiele viel Leadgitarre selbst. Inzwischen habe ich es besser gelernt, beim Singen auch gleichzeitig zu spielen. Und die Band ist einfach so geil! Wir sind jetzt seit einem Jahr zusammen und es klingt Klassen besser als die letzte Besetzung.“

Steht denn eigentlich eine Deutschland-Tournee schon konkret zur Diskussion?

Ja, ich glaube, es sind einige Städte für November oder Dezember im Gespräch. Haben sie eigentlich in Europa aufgehört zu spucken ?“

Wer?

„Na, die Punks bei den Konzerten!“

Ja, ja, das hat sich wieder ziemlich beruhigt.

„Na gottseidank! Schreib‘ doch bitte: Wenn sie unbedingt etwas auf die Bühne schmeißen müssen, sollen sie ein paar gute Drogen schmeißen. Nein, nein, besser nicht, sonst krieg’ich nur Arger bei der Einreise. Jedenfalls ich werde euch bald in Deutschland besuchen, ein deutsches Bier trinken … wie geht es eigentlich Kraftwerk?“

Ganz gut, glaube ich.

„Bestell‘ ihnen bitte viele Grüße. Ich hab‘ COMPUTERWORLD gerade noch in einem Schaufenster gesehen, sie aber noch nicht gehört.“

Kannst du denn da was mit anfangen? Ist das nicht zu exotische Musik für dich?

„Sie klingen für mich wie die deutschen Beach Boys. Was nun überhaupt nicht negativ gemeint ist. So wie die Beach Boys die kalifornische Plastik-Gesellschaft verkörpern, so verkörpert Kraftwerk die junge Intelligenzia in Deutschland“

Tja, ich glaube, das war’s, was momentan an Fragen zu stellen ist. Oder hast du noch was Wichtiges auf dem Herzen?

Ja, ich habe Gott gefunden.“

Mach keine Witze.

Doch, ich habe Gott gefunden. Er heißt Willie de Ville (lacht). Nein, im Ernst – bei mir läuft alles wie bisher: rumhängen, Pizza kaufen, ins Kino gehen und dann und wann den Dealer im Park treffen, haha.“