Morrissey


Klassikerdebüt: Der Mann gibt vielleicht nicht alles. Aber hätten wir alles überhaupt ertragen können?

Hier hinten an der Brötchenbude gibt es heute kein Schwein in Scheiben. Nur Käse auf die Semmel. Weil Morrissey das so will. Vorne gibt es nach Kristeen Youngs auch nicht eben nach Hausmacherart belegtem Support und vor dem ersten Auftritt des Meisters in der Weißwurststadt überhaupt ein paar Kurzfilme zu sehen: von James Dean bei der Kostümprobe zu .Jenseits von Eden“ und den New York Dolls im „Musikladen“, von Brigitte Bardot und Gigliola Cinquetti. Kleine Schätze, die einen „Saugut! Es war schlichtweg ergreifend. Und mit 47 Jahren auch noch so eine Power zu haben … Auch die alten Songs funktionieren noch bestens. Ich hatte ihn ja auch auf dem „Frequency- Festival“ schon gesehen, war nur wegen ihm hingefahren. Und das war auch schon sensationell.“ Markus Wagner, 35, Diplom-Volkswirt „Ich bin seit 22 Jahren Fan von Morrissey und hatte ihn auch schon einmal liue gesehen. Die Smiths allerdings leider nie: l.inmal waren sie in Hamburg „stecken geblieben „, das andere Mal wurde es einfach abgesagt. Bei einerWertung von l bis 10 war das heute jedenfalls einej bis 8.“

Claudius, 38, „beschäftigt in der schreibenden Zunft „Das war sehr gut. Dabeihatte ich mich erst kurz davor entschieden, zu kommen. Ehrlich gesagt bin ich sogar von der Weihnachtsfeier im Krankenhaus geflohen. Wir wollten ihn eigentlich schon in Paris sehen. Aber da hatte es nicht geklappt. So war das eben heute mein erstes Morrissey-Konzert“L.yn Kohl, 26, Medizinstudentin schnell hinüberziehen in eine Welt des Gesterns und seiner Helden. Morrisseys Welt. Die Welt eines Nostalgikers, eines grenzenlosen Bewunderers der Aufrechten und Unverrückbaren und folgerichtig eines unbedingten Moralisten und vergeblich Liebenden (der seine Schwüre, Tiraden und Schwelgereien in großartige Songpoesie zu kleiden weiß). Das fing in einem Jugendzimmer in Manchester an, und das hört hier, auf der Bühne der musikfeindlichsten Halle der Stadt, nicht auf. Morrissey, es ist Morrissey! Da mag er sich als Bühnenfigur doch noch eines Tages akzeptiert haben und sich heute nun sogar mit einer, nicht zuletzt gesunden, Distanz inszenieren als Musiker, Entertainer sogar. Als jemand, der die eigenen Texte kommentiert, mit Gesten und Zitaten (von seinen Idolen) spielt. Ja, der tatsächlich Rollen aus-, einen Job erfüllt und Hände drückt wie Königs beim Staatsbesuch. Der scherzt, souverän und süffisant: „Welcome to a very very dangerous evening. lf yougettoo dose, you’Ugetbitten!“Kein unter Gladiolen begrabener, von entrückten Bühnenstürmern bedrängter Charismati ker jenseits von Eden steht und wankt da mehr. Und doch: Morrissey, es ist Morrissey! Das weiß das Publikum sofort, weil der und seine nicht minder souveräne Kapelle gleich mit dem vielleicht größten Smiths-Klassiker beginnen: „Panic“. Eine Eroberung im Sturm. Feuchte Augen. Kaum einer, der nicht wenigstens stumm mit den Lippen fordert: „Hang the DJ! Hang the DJ! “ Leider sind kaum Menschen mit Textproblemen gekommen: Das Zenith ist recht überschaubar fast ausschließlich mit gealterten Jüngern gefüllt, die auf die Einkehr ihres Helden eine halbe Ewigkeit gewartet haben. Die Jungen, die durch Morrisseys „Comeback“ (als wäre er je weg gewesen) gelockt werden sollten, sind nicht gekommen. Bestimmt waren die Tickets zu teuer. Schade. Nichtsdestotrotz gibt es eine musikalische Darbietung, die einem Klassiker, wie Morrissey nun also einer ist, absolut gerecht wird. Mit Kesselpauke, Trompete, Posaune und fast metallenen Gitarren, mit dieser breiten, schweren Band, die tut, was eine Rockband täte, wenn Ennio Morricone ihr vorstehen würde. Tosen. Donnern. Und dann auch regnen. Doch könnte Morricone singen? … Morrissev kann es. Mit einer Stimme, die so kräftig und so stark klingt, als müsste sie gegen alles Schlechte, Lügen, Tod und Teufel ansingen. Und da steht dieser Held, in Anzug und Krawatte, das Hemd fliegt später nur für eine Geste ins Publikum und wird umgehend durch ein frisch aufgebügeltes ersetzt, und er wankt nicht mehr. Und doch: Morrissey, es ist Morrissey! Seine Dämonen wird er nie mehr los. Es gibt Seh lachten, die kann Morrissey nicht gewinnen. Aber diese Sicherheit und Grandezza, die er heute auf der Bühne zeigt, die muss man ihm doch von ganzem Herzen gönnen. >»www.morrissevmusic.com