Boom Tschak


Die Electro-Kolumne von Albert Koch

Sitzmusik

Einer von mehr als 500 Soundtracks, die der italienische Komponist Ennio Morricone, 82, im Laufe seiner über 50-jährigen Karriere geschrieben hat, ist der zum Film „Ecce Homo: I Sopravvissuti“ aus dem Jahr 1968. Morricone hat in seinem ausufernden und musikalisch breiten Werk auch eine Reihe von Kompositionen elektronischer Musik geschrieben. Elektronische Musik definiert der Komponist im Sinne der frühen Pioniere aus den 1950er-Jahren, Karlheinz Stockhausen, Györgi Ligeti, Iannis Xenakis, you name it – Musik, die mit Ringmodulatoren und Oszillatoren hergestellt wird, nicht mit Synthesizern.

Die Musik auf dem Soundtrack Ecce Homo: I Sopravvissuti mit der Komposition „Venuta Dal Mare“ ist nicht elektronisch – ganz im Gegenteil, es ist rein akustische Musik, eine minimalistische Komposition für sechs SolistInnen (Flöte, Bratsche, Harfe, Marimba, Percussions, Gesang), ein Werk der Neuen Musik, der „modernen Klassik“. Ennio Morricone aber lässt die klassischen Musiker im Lauf der knapp 35 Minuten von „Venuta Dal Mare“, das in 16 nummerierte Sektionen aufgeteilt ist, ihre Instrumente stellenweise jenseits der Wiedererkennbarkeit spielen und durch die Fremdheit der Töne ein Gefühl elektronischer Musik aufkommen. Bei Musik, die sich nicht damit begnügen will, ein Wohlgefühl der Vertrautheit beim Publikum zu bedienen, geht es um Soundästhetik, nicht um Herstellungsverfahren.

Abstraktion in der Musik kann bedeuten, mit relativ konventionellen Instrumenten einen relativ unkonventionellen Sound zu erzeugen. Das gilt für Dubstep-Elektro-Akustiker wie Mount Kimbie, James Blakes Live-Trio und das britische Duo Cloud Boat, das gerade in Deutschland im Vorprogramm von James Blake unterwegs gewesen ist. Die Bühnenbilder ähneln mehr einer Versuchsanordnung im Labor als dem einer traditionellen „Show“. Der visuelle Eindruck ist schwer in Einklang zu bringen mit der Musik, die da so basslastig aus der Anlage kommt. Da sitzt zwar ein Gitarrist auf der Bühne, aber das, was er spielt, hat keine Ähnlichkeit mit der konventionellen Vorstellung, wie eine Gitarre zu klingen hat, schon gar nicht mit dem phallussymbolischen Gehabe der klassischen Rockbands. Vor allem aber: Die Musiker sitzen auf der Bühne nahezu bewegungslos hinter ihren Instrumenten und geben damit ein Statement ab – sie zeigen eine Anti-Entertainment-Haltung. Diese Zurücknahme, dieses Understatement lenkt die Aufmerksamkeit auf den Klang, auf die Musik, sie ist der Star und nicht der Musiker. Hier schließt sich der Kreis, der mit Ennio Morricones Ecce Homo-Soundtrack geöffnet wurde.