Motörhead – Kein Schlaf bis Hammersmith


Trinkfest mußte er sein - der Reporter, der die gefürchteten Drei eine Woche lang auf ihrer Tournee begleiten sollte. Wolfgang Welt schien der ideale Mann. Daß er sich gerade jetzt zu alkoholischer Abstinenz durchgerungen hatte, machte uns aber einen Strich durch die Rechnung...

Ich werde das Gefühl nicht los, daß mich irgendwelche dunklen Machte unbedingt unter Torf bringen wollen… Letzter – und wie ihr seht – gescheiterter Versuch war, mich eine Woche lang mit Motörhead auf Tournee durch England zu schicken – ein Angebot, das ich nur akzeptierte, weil ich endlich mal wieder andere Tapeten sehen wollte und mir für die nahe Zukunft ein Interview mit Girlschool in Aussicht gestellt worden war.

Bekanntlich sind Motörhead nicht gerade als Anti-Alkoholiker verschrien und haben deshalb auch auf ihrem Live-Album NO SLEEP TIL HAMMERSMTTH ausdrücklich der Spirituosen-Firma „Smirnoff“ und der „Carisberg“-Brauerei gedankt. Nun bin ich aber leider oder Gott sei dank geistigen Getränken seit geraumer Zeit abhold. Um jedoch allen unvorhergesehenen Versuchungen, denen auch Harald Juhnke mitunter erliegt vorzubeugen, machte ich eine Blutsenkung, ein EKG (alles negativ) und plünderte unsere Hausapotheke. Tranquilizer wollten eingepackt weiden, Kreislaufmittel und besonders Pillen, die zur Regeneration nach erhöhtem Alkohol- und Nikotinmißbrauch dienen. Für den Fall der Falle packte ich auch noch mein tragbares Sauerstoffzelt ein. Vor der Lautstärke des berüchtigten Trios hatte ich keine Bange aufmerksame Leser werden anhand meiner Artikel erkannt haben, daß ich fast taub bin.

Zunächst stand noch ein Abstecher nach Paris auf dem Programm, wo mich Alan Vega damit beauftragte, Motörheads Bassisten Lemmy einen schönen Gruß zu bestellen. Vom Flughafen „Charles de Gaulle“, dann in Richtung Heathrow. In der Maschine saß ich direkt neben Jane Birkin, die sich gerade auf dem Weg zur „Royal Gala Performanced“ in London befand. Ich umgarnte sie mit meinem Charme, d.h. eigentlich fragte ich sie nur, ob sie mal aufstehen könnte, um Pipi zu machen. Was ich wirklich auf dem Klo trieb, geht keinen was an!

Von London aus sollte ich in ein Kaff nahe der walisischen Grenze tigern. Zunächst verpaßte ich jedoch den Zug, hielt mich drei branden an einer Tasse Tee in der Euston-Station fest und erfuhr aus den „News Of The World“, daß in England von einem Tag auf den anderen die Fahrpreise um 100 % erhöht worden waren. Nach einer vierstündigen Fahrt holt mich Joan von Bronze-Records in Chester ab, dann gleich weiter ins „Deeside Leisure Centre“, wo Tank gerade ihr Vorprogramm absolviert haben. In diesem Freizeit-Zentrum drehen normalerweise Rollerskater ihre Runden, auch sind Poolbillard-Tische vorhanden – und vor allem Killer- Automaten An einem von ihnen. „Rattlezone“, spielt Lemmy, der bis zu meinem Abflug ununterbrochen seinen Patronengurt um die Hüfte tragen wird. Er ist freundlich, macht aber erstmal weiter Schiffeversenken. In der Garderobe treffe ich seine beiden Kumpane Eddie und Phil. In einem überdimensionalen Papierkorb sind unter Tausenden von Eiswürfeln einige Dutzend Dosen „Carlsberg Special Brew“ vergraben. Ich darf mich bedienen. Vom schmalen Kalten Buffett sind nur noch einige trockene Salatblätter sowie matschige Tomaten übrig. Während ich Kohldampf schiebe, überprüft Phil in dem spartanisch eingerichteten Umkleideraum sein Gewicht.

Mick Murphy, ein Karwenzmann von Tour-Manager, der alles im Griff hat und auch das Taschengeld an die drei Saufbolde ausgibt (gegen Quittung), sagt den Jungs Bescheid, daß es in zwei Minuten losgeht. Lemmy, Eddie & Phil parieren. Was dann auf der Bühne beginnt, werden alle Motörhead-Fans kennen und die, die keine sind, verpassen nichts.

Nachdem sich der Vorhang geöffnet hat, legen die drei harten Burschen los. Zu verstehen ist aus dem Sound-Brei kein Wort, es sei denn, man schnappt mal „Ace Of Spades“ oder „Overkill“ auf. Sie beginnen aber, – ich entnehm’s, am Bühnenrand stehend ihren Spickzetteln – mit „Iron Fist“, der eisernen Faust, die ihrer neuen Platte und dieser Tour den Titel gibt. Hinter der Combo ist tatsächlich eine riesige Faust mit beweglichen Fingern installiert, deren Kuppen beleuchtet sind. Bereits nach zwei Nummern jedoch streikt das Ding. Dafür wird Nebel ins hauptsächlich männlich-pubertäre Publikum gejagt und Blitze in die Höhe geschossen, als wolle uns die GSG 9 wie in Mogadischu blenden und überfallen. All der Firlefanz kann nicht darüberhinwegtäuschen, daß Motörhead nichts Weltbewegendes auf der Pfanne haben. Eddie ist zwar ein hervorragender Gitarrist, Phil ein quirliger Wirbelwind am Schlagzeug und Lemmy mit zum Mikrofon gestreckten Gesicht der Heavy-Metal-Sänger schlechthin, doch wissen Motörhead auf der Bühne wenig zu überzeugen. Die paar tausend Fans in Deeside gehen denn auch nur bei den Nummern richtig mit, die sie schon seit geraumer Zeit kennen.

Nach einem halben Dutzend Nummern verdrücke ich mich in die Garderobe. Neben der Bühne sind vorsorglich einige Tragen mit den dazugehörigen Sanitätern aufgereiht. Vor der Pommesbude übersteige ich eine Bierleiche. „Born to lose – live to win“ steht in Anspielung auf Lemmys Tätowierung auf der Jacke. Drinnen kündigt Lemmy den letzten Song an, es sei denn, „we get a fuckin‘ encore“. Natürlich wird’s eine Zugabe geben!

Nach dem Gig sind die Jungs etwas unzufrieden. Es war ihr vierter Auftritt seit Tourneebeginn. Phil zeigt mir seine Finger. „An den ersten zwei, drei Tagen bekomm ich immer Krämpfe und anschließend Blasen. Diese Konzerte sind sowieso nur zum Aufwärmen.“ Diverse Pharmazeutika werden konsumiert. Plötzlich stehen zwei Bobbies in der Tür. Sie wollen aber keine Razzia veranstalten, sondern bitten Motörhead nur um ein Autogramm, das sie auch bereitwillig erhalten. Überhaupt sind Motörhead furchtbar nett zu ihren Fans. Sie sind überhaupt nett. „Nur“, meint jemand aus ihrer Umgebung, der nicht genannt sein will, „warum machen diese lieben Jungs nur eine so schreckliche Musik?!“

Die haben beschlossen, nicht in Deeside zu übernachten, sondern wollen lieber noch am selben Abend nach Newcastle durchfahren, wo sie drei Abende hintereinander aufspielen sollen. Ich könnte theoretisch – wie eine Ölsardine eingequetscht – mitfahren, aber ich habe erstmal die Fahrerei satt und hau mich in die Koje. „Ohnehin,“ behauptet Mick Murphy, „würdest Du das beim ersten Mal nicht überleben!“ Na dann gute Nacht.

Von Deeside aus fahre ich in einem Leihwagen am nächsten Morgen mit Joan, Jenny Torring (der Pressefrau von Tank) und den Kollegen Paul Makowski sowie Chris, der gerade ein Buch über Motörhead schreibt, über die Autobahn in vier Stunden nach Newcastle. Das „Holiday Inn“, in dem die ganze Entourage logiert, liegt 10 km außerhalb, isoliert, ein piekfeiner Laden mit Kabelfernsehen und allem Pipapo. Ich würde mir gerne mal die Stadt ansehen, aber ich habe keinen Schotter fürs Taxi. Stattdessen geht’s zur Bar, wo Lemmy und Eddie gerade Wodka mit Orangensaft zum Frühstück einnehmen.

Zwei Fans haben seit zehn Uhr gewartet und erhielten von ihren Idolen das gewünschte Autogramm. „Wir würden ja gerne mit allen Kids vor’m Auftritt einen trinken gehen „, bekennt Eddie, „aber wir sind leider einfach zu populär. Wir kämen noch nicht mal bis zum Tresen.“

Lemmy und Eddie verbringen offenbar mehr Zeit untereinander als mit dem wesentlich jüngeren Phil. Abends sind einige Interviews angesagt, auch soll hinter der Bühne fotografiert werden. Phil will die Termine vordem Auftritt absolvieren. „Nachher wollen wir uns besaufen!“ Dabei tun die den lieben langen Tag schon nichts anderes!

Phil scheint ein bißchen eifersüchtig. „Alles identifiziert Motörhead mit Lemmy! Dabei sind wir doch eine Gruppe! Das muß mal deutlich gemacht werden!“

Phil trägt seine Aufsässigkeit ziemlich unverblümt mit sich rum und stiftet damit einige Unruhe.

Während sich Motörhead flaschenweise mit Smirnoff auffüllen und die Vorgruppe Tank, die kurz vor ihrem Durchbruch in England steht, versiert einheizt, höre ich mich bei den Fans in der Lounge-Bar in der Newcastle City Hall um. „Warum gehst Du eigentlich zu Motörhead?“ frage ich Julie Daswell aus South Shields. „Im mad!“

„Und Du, Kathy?“ – „Ich finde Van Haien besser, aber Motörhead gehen auch zur Not.“ Einige Boys tragen Lederjacken, auf denen sie sich als Fans der Damned und Sex Pistols zu erkennen geben. Andere schwärmen quer durch den Schwermetallgarten. Brausender Applaus treibt uns in die Halle.

Der Vorhang wird beiseite gezogen. Wo zum Teufel aber sind Motörhead?! – Auf einer mobilen Bühne haben sich Lemmy, Eddie und Phil samt Anlage und einem Techniker an die Decke hieven lassen. Sieht verdammt gefährlich aus, manch eine Box droht umzukippen. Durch einen deutschen TÜV kriegten die das Ding bestimmt nicht. Die Bühne wird sachte herabgelassen. Anderthalb Stunden Motörhead-Banging folgen. Am Ende der Show entschwinden die drei wie weiland die griechischen Götter wieder nach oben.

IN ach dem Auftritt wollen sie erstmal alleine bleiben. Nur Phils Verwandtschaft, die aus dieser Ecke stammt, darf rein. Die Nacht wird feuchtfröhlich – allerdings ohne mich. Wenn‘ s den Brei regnet, habe ich normalerweise immer den dicken Löffel dabei, aber derzeit ist strikte Alkohol-Pause. Tagsüber, während die ganze Baggage knackt bis in die Puppen, langweile ich mich mit einigen Fans, die von weither angereist sind und auf ein Autogramm warten. Abends gibt’s eine kleine Veränderung: Lemmy will sich am Schluß nicht wieder mit der Bühne hochziehen lassen. Wir plaudern über Musik. Eddie tut sich gerne mal die eine oder andere 10-CC-Nummer rein, während Phil mehr auf Reggae und alte Motown-Sachen steht. Motörhead sind wohl die einzige Heavy-Metal-Gruppe, die von Punks respektiert, wenn nicht gar bewundert wird. „Die New-Wave-Musiker“, meint Lemmy, „hatten viel Enthusiasmus, aber zu wenig musikalische Erfahrung, während die älteren Typen genug handwerkliche Fähigkeiten besaßen, aber zu wenig rüberkommen ließen, was Begeisterungsstürme auslösen konnte. Wir vereinigen, glaube ich, beides und sind deshalb so erfolgreich. „

Am darauffolgenden Tag geht’s für die Gruppe direkt nach dem Auftritt in Richtung London, wo sie in ihren eigenen Häusern wohnen werden. Für mich ist weder in Motörheads fünfsitzigem Caravan noch im überfüllten Bus der Crew Platz. Dankenswerterweise darf ich Dave in seinem LKW begleiten, der in der Nacht Tanks Anlage nach London transportieren muß. In dem engen unbequemen Karren kann man kaum pennen. Dave, der bereits seit 16 Stunden wach ist, greift zu Speed. Acht weitere Stunden muß er noch durchhalten, mit zwei Kaffeepausen. Ich nicke ein und träume die Bilder zu Ian Durys Zeilen, „… h had a love affair with Nina / in the back of my Cortina.“

Wir kommen pünktlich in den Maida Vale Studios der BBC an, wo Tank heute auftreten sollen. Wir warten drei Stunden. „Time Out“ entnehme ich, daß die ersten beiden der vier Konzerte im Hammersmith Odeon bereits ausverkauft sind. Die Backstage-Pässe werden nach einer Hierarchie verteilt. Hatte ich in Deeside und Newcastle noch „access to all areas“, so habe ich hier in London keinen Zugang mehr zur Bühne oder zu Motörheads Garderobe. Während ich am Bühneneingang warte, läuft Eddie mit einem Wodka durch die Gegend. Er macht den Manager Mick an: „Hey, give Wolfgang a pass!“ Der Rest: wie gehabt. Lemmy und Eddie sind guter Dinge, während sich Phil vor dem Auftritt rar macht.

Dann, ohne Verspätung, wird wieder mit der eisernen Faust gefegt, ohne – wie eigentlich geplant – den Film einzuspielen, den ich am Nachmittag in den Büros von Bronze Records gesehen habe, in dem Motörhead als mystische Ritter auftreten. Vor der Halle bettelt jemand um meinen Backstage-Pass, will ihn mir sogar abkaufen. Ich schenk ihm den und mir die weiteren Auftritte von Motörhead.

Viele hatten mich bereits vor Antritt der Reise für tot erklärt Aber Eddie, Lemmy & Phil zwingen keinen zum Mitsaufen. Sehr tolerant und privat ungewöhnlich zuvorkommend. Jede Mutter würde sich einen der drei als Schwiegersohn wünschen (bei entsprechender Kleidung). Nur Lemmy, warum macht ihr eigentlich so schreckliche Musik?!!!