Naughty by Nature


Fast wie im Märchen. Treach, Vinnie und Kay Gee machen Millionen, ohne dabei ihre Herkunft zu vergessen: Guter Rat für ihre Ghetto-Brüder ist jederzeit erschwinglich. Der ME/Sounds-Raporter Uwe Pütz erlebte die Drei im Sherwood Forestvon New Jersey

Ein kalter Januarabend in New Jersey. Treach steht mit ein paar Freunden vor einer Bar, Ecke 6.Avenue und i4.Straße. Treach mit seiner schweren Gliederkette, die den MC der Rapper Naughty By Nature schon von weitem unübersehbar macht. Man lungert herum und unterhält sich. Plötzlich biegen zwei Polizeiautos mit heulenden Sirenen um die Ecke. Drei Cops springen heraus und gehen entschlossen auf die Gruppe zu. „Verlaßt sofort das Lokal!“ Rapper Treach nimmt’s gelassen. Das ist seine Straße, sein Revier, East Orange, und er ist MC von Naughty By Nature, mit mehreren Millionen verkaufter Platten. Was zum Teufel denken die Bullen eigentlich von ihm? Sie denken nichts, rein gar nichts. Sie erfüllen bloß ihre Pflicht. Jemand aus der Nachbarschaft habe behauptet, er und seine Gang würden mit Drogen dealen. Ausgerechnet in dieser Bar, unter 20 anderen Gästen, bei greller Beleuchtung. Alltag in East Orange.

Ein Vorfall, der Treach an die Zeit erinnert, als er, der i4Jährige Anthony Criss, durch die schäbigen Straßen von East Orange streifte, um sein Geld mit Drogen zu verdienen. Immer auf der Hut vor der Polizei. Mit 15 lernt er Vinnie (Vincent Brown) kennen, der mit einem Ghettoblaster umherzieht. Beide rappen zum Spaß ein paar Zeilen zu Musik. Vinnie überredet Treach und einen Freund, DJ Kay Gee (Kier Giest), bei einem Talentwettbewerb auf der High School aufzutreten. Die Reaktionen bestärken sie darin, es mit Musik zu versuchen.

„Wir wollten raus aus der Armut“, erzählt Vinnie im Büro der Firma ‚Flavour Unit‘ und spielt dabei an einer Mütze mit den Initialen von Queen Latifah. „Wir rappten mit anderen Kids in lokalen Klubs und hofften,daß jemand von den Plattenfirmen vorbeikommen würde.“ Aber es kam niemand. Deshalb kratzten die drei ihre letzten Dollars zusammen und preßten ihre ersten Stücke unter dem Namen The New Style auf Vinyl. Das war’s dann auch die Platte ‚Independent Leaders‘ ging spurlos unter.

1989 verschickten sie über Hundert Demo-Tapes an die Companies, bis die Queen ihr Schicksal zum Guten wendete. Latifah hatte gerade die Management-Agentur ‚Flavour Unit‘ (DJ Mark The 45 King, Lakim Shabazz, Freddie Foxx) gegründet und nutzte ihren guten Kontakt zu Warner Brothers. Schließlich landete besagtes Tape beim renommierten Sub-Label Tommy Boy, das den Song ‚O.P.P.‘ als erste Single veröffentlichte. Aus The New Style wurden über Nacht Naughty By Nature – abgeleitet von einem Songtitel der Band.

From poverty to paradise:

‚O.P.P.‘ schoß wie eine Rakete in die Charts. An jeder Straßenecke skandierte man den Refrain, das Debüt-Album ‚Naughty By Nature‘ veredelte sich in wenigen Monaten zu Doppel-Platin, und die Band gewann 1992 den Music Award als „beste neue Rap-Gruppe“. Auch dem Nachfolger ‚Nineteen Naughty III‘ eilte mit ‚Hip Hop Hooray‘ ein Chart-Topper voraus. Für das neue Werk ließen sich die Naughties zwei Jahre Zeit. Und doch hält es Vinnie für das frischeste Album. „Auf den ersten beiden Platten gab es eine Menge Tracks, die wir schon lange fertig hatten. Diesmal ist alles von Grund auf neu.“

‚Poverty’s Paradise‘ entpuppt sich als das komplexeste Hip Hop-Werk des Trios. Lässig balancieren Naughty zwischen Streetstyle und Party-Rap und haben sich dafür in England bereits den Titel „Sgt.Pepper’s des HipHop“ gesichert.

Naughty wollen nicht die Welt verändern – höchstens ein kleines bißchen Welt, dort, wo sie bis heute zuhause sind, in East Orange. Deshalb halten sie ihrem Hood die Treue. Sie wissen, woher sie kommen. Und sie wissen, was sie wollen: „Es gibt keine kommerzielle Grenze für uns“, betont Vinnie. „Ich kann das Gerede von ’seil out‘ nicht mehr hören. Nimm Snoop oder Ice T: Sie sind berühmt und genießen trotzdem bei allen größte credibility.“

Jersey Niggaz are the craziest. New York Niggaz are the craziest, D.C.Niggaz… Mit dem Song wollen sie ein für allemal klarmachen, daß HipHop ein globales Ding und kein Spielfeld für Sektierer ist. „Warum wir keine Rapper dissen? Das wäre so, als würde ich mich selbst dissen“, erklärt Treach, bevor Vinnie das Mikro an sich reißt. „HipHop hat so viele Stile. Warum sollten wir Leuten, die nicht von der Straße kommen, verbieten, Rap zu machen?“

In den vergangenen zwei Jahren haben sich die Naughties fleißig mit anderen Projekten beschäftigt: Kay Gee startete mit ‚Illtown Records‘ ein neues Label und der smarte Treach in dem love & crime-Streifen ‚Jason’s Lyric'(i994) seine Filmkarriere als Gangsta. „Es hat Spaß gemacht, aber ich will nicht auf eine Rolle festgelegt sein. Ich bin genau so wenig ein Gangsta wie Naughty By Nature eine Gangsta-Bands ist.“ Mit ‚Illtown Films‘ gründete Treach seine eigene Filmfirma und steht demnächst zusammen mit Ice Cube vor der Kamera. Vinnie eröffnete im Stadtteil Newark einen ‚Naughty Gear Shop‘, in dem man sich vom Schuh bis zur Wollmütze mit NBN-Devotionalien eindecken kann. Der zweite MC versteht den Laden allerdings auch als soziale Einrichtung für die Schwarzen in Jersey. „Wir haben offene Ohren für die Probleme anderer, helfen ihnen bei Demo-Tapes oder geben ihnen Anträge zur Wahlberechtigung. Wir sind hier jederzeit präsent.“

Naughty als Retter der Armen und Unterdrückten? „Quatsch, wir leisten Hilfe zur Selbsthilfe“, erwidert Treach. „Wir geben den Leuten den guten Rat, etwas aus ihren Talenten zu machen, daß sie genauso gut sind wie die Weißen.“ Sie meinen es ernst. Um aus dem Armenhaus ein Paradies zu machen, reicht es nicht, ein paar provokante Raps abzufeuern. Die Drei wollen mit gutem Beispiel vorangehen und etablieren, mitten in „ill town“, ihr kleines Imperium. Das ‚black business‘ macht sich in Jersey breit.