NEIL YOUNG


EEine der ganz großen, las zinierendsten Person lichkeiten des amerika nischen Rockgeschäfts, hat nacl mehr als einer halben Dekade wieder den Sprung über der großen Teich getan: Ein Mann der sich stets einen Dreck um ir gendwelche kommerzieller Strömungen gekümmert hat, dei immer nur seinen eigener Rock’n’Roll-Weg gegangen ist und der seine Anhänger haufic genug mit kontroversen LP-Ver öffentlichungen geschockt hat Neil Young. Mit neuer Begleitgruppe aus alten Freunden, dei „Trans Band“, war er im Septem ber Headliner zweier Open-Air Festivals, Anlang Oktober stan den mehrere Solokonzerte irr süd- und westdeutschen Raurr auf dem Programm. Wie sein Manager verlauten ließ, war Nei Young nur nach Europa gekom men, um Musik zu machen, niehl aber, um Interviews zu geben Dennoch, in den frühen Morgenstunden nach dem ersten Auftriti auf bundesdeutschem Boden wurde der Gesandte des ME in einem Frankfurter Restaurant an den Tisch des publicityscheuen Musikers gebeten. Innerhalb von dreizehn Jahren hat Young an die 20 LPs auf Reprise veröffentlicht, einer Firma, die außer ihm zuletzt nur noch Frank Sinatra und Sammy Davis jr. unter Vertrag hatte („01′ Blue Eyes, Ol’Red Eyes and Ol‘ One Eye“ -Originalton Young). Ein Wechsel war fällig („Ich kam mit vor wie ein Dinosaurier“), das neue Album TRANS wird in diesen Tagen bei David Geffen veröffentlicht, der offenbar dabei ist, die halbe Welt aufzukaufen (Simon & Garfunkel, Quarterflash, Asia, Joni Mitchell, von lohn Lennon ganz zu schweigen). Für Neil Youngs neue Band formierten sich alte Bekannte; Am Baß Bruce Palmer (ex-Buffalo Spnngfield), am Schlagzeug Ralph Molina (von Crazy rlorse), an Slide- und Steelgitarre 3en Keith (der als Sessionmann luf zahlreichen Young-LPs mitwirkte), Perkussionist Joe Lala ind als Gitarrist kein Geringerer als Nils Lofgren. Der macht mscheinend gerade Pause von seiner immer wieder auf Grund laufenden Solokarriere. Youngs ironischer, aber sicher nicht ernst gemeinter Kommentar zur Wahl Lofgrens: „Er kann höher springen als wir alle, er springt sogar höher als sonstwer, und außerdem kennt er hier alle Straßen …“. Zusatzlich aber tummelt sich noch eine Menge anderer Figuren auf vt i ii -¿ 111 r– _ TRANS, wie Neu enthüllt: „Da sind Tabuion, Sylvia And The Machines, also Neil 1 und Neil 2. Der originale und der geahnte Neil Young zum ersten Mal auf einundderselben Platte. Und natürlich die Maschinen. Tabu-Ion zum Beispiel … den hat noch nie jemand .gesehen. Er hat ein dreieckiges Gesicht, darir. große Knöpfe mit Klaviertastaturen. Wenn du ihm eine Frage stellst, verzerrt sich sein Gesicht ganz fürchterlich, er reißt sein Hemd auf und singt dann die Antwort in einer tiefen Baßstimme. Ein Roboter… Leider konnte er heute nicht auftreten, ebenso wie Sylvia And TheSyn thetics, weil wir einige technische Probleme hatten. Aber ein Song in der Zugabe, ‚Sample And Hold‘, das war ein Computersong mit einer elektronischen Stimme. Eine von denen, die ich in meinem Computer gespeichert habe – Tabuion gehört auch dazu, fch habe mehrere davon programmiert, so daß ich mit verschiedenen Stimmen singen kann. Das ist eine der Sachen, mit denen ich mich jetzt beschäftige, und das spiegelt sich auf der neuen Platte wider, fch habe nur noch einige der Songs in meinem alten Stil produziert.“ Es sieht so aus, als hätten sich Neil Youngs Hörgewohnheiten mit seinen musikalischen Interessen in den letzten Jahren durchaus geändert. Manch einer mag sich vielleicht über seine Freundschaft mit den Musikern von Devo gewundert haben (von denen stammt übrigens der Slogan „Rust never sleeps“), wie auch über seine Referenz an Johnny Rotten und Elvis Presley in „My My, Hey Hey“. Dies ging bekanntlich vor einigen Jahren als eine der meistzitierten Textzeilen Youngs durch die internationale Presse. Einen anderen markanten Slogan, „Every wave is new until it breaks“ (vom REACTOR-Album), will er keinesfalls als negativen Kommentar verstanden wissen. Denn ihn interessiert, wie er betont, jede Art von Erneuerung in der Populärmusik: Seit dem Konzertfilm „Rust Never Sleeps“ ist es auch kein Geheimnis mehr, wie Neil Young seine Freizeit gestaltet. Unter dem Namen seines Alter-Ego Bernard Shakey dreht er Filme. „Rust Never Sleeps“ war sein zweiter, der erste, Journey Through The Past“, erschien bereits 1972. Aber ich kenne niemanden, der ihn gesehen hat. Was fasziniert Young an der Filmerei? „Man kann im Film andere Dinge realisieren als in der Musik. Ich bin kein großer Filmemacher, wahrscheinlich nicht einmal ein guter, ich weiß das. Ich bin Musiker, und ich mache Filme, weil ich Abwechslung brauche. Ich will das mir zur Verfügung stehende Talent nicht mißbrauchen, indem ich es Jahr für Jahr n ur um des Geldes willen ausbeute. Die Filmemacherei ist für mich A usgleich für meine kreative Energie. Ich habe jetzt gerade meinen dritten Film fertig, ich bin da nicht der Schnellste. Es ist ein Spielfilm, ‚Human Highway‘, (90 Minuten lang, eine Art Komödie). Ich spiele darin einen Kfz-Schlosser im Atomzeitalter. Musik gehört natürlich auch dazu, aber nicht viel, einige Titel kommen auch von TRANS. Neil Youngs drittes Leinwandwerk ist also weder ein Dokumentarnoch ein Musikfilm. Einer der letzten großen Musikfilme, der mit viel Trara in die bundesdeutschen Filmtheater gebracht wurde (und genauso blitzschnell wieder verschwand) war der „No Nukes“-Film, der mit begleitendem 3er LP-Set eine mehrtägige Konzert-Protestveranstaltung berühmter Persönlichkeiten der US-Rockszene gegen Kernkraftwerke dokumentierte. Zu den Initiatioren zählten Jackson Browne und Graham Nash, der zwar eine Reunion mit David Crosby und Stephen Stills zuwege brachte, auf Neil Young allerdings verzichten mußte. „Sie haben mich gar nicht erst gefragt. Sie wußten, daß ich nicht mitgemacht hätte. Es gefällt mir nicht, wenn sie rumrennen und schreien: ‚Stoppt die Kernkraft auf der ganzen Erde!‘. Das kommt mir so vor wie die Geschichte mit ‚Hol‘ dir ’n Pferd!‘, weißt du, als Henry Ford mit seinem A uto die Straße runterkam und die Leute schrien ‚Hol’dir ’n Pferd!‘. Ich stehe nicht gern dem Fortschritt im Wege… Wir werden bessere Wege zur Energieerzeugung finden, aber vielleicht brauchen wir die Kernkraft, um dahin zu kommen, wo wir die wahre Energiequelle finden können. Ganz offensichtlich ist Kernkraft nur ein Zwischenschritt. Wenn wir so weitermachen wie bisher und vorsichtig dabei sind, dann glaube ich, daß wir eine Energiequellejenseits der Kernkraft finden werden. Aufhalten werden wir sie ganz gewiß nicht. Ich hoffe, es wird niemals einen Atomkrieg geben, aber ich denke, daß es wahrscheinlich eine sehr saubere Sache ist, Licht mit Kernkraft anzumachen. Es ist mir schon klar, daß eine Menge Gefahren mit der Kernenergie verbunden sind, aber wenn wir heute dieselbe Menge Energie aus unseren Kohlevorkommen verbrauchen würden, dann wäre die Erde ein ziemlich schmutziger Planet. Wir würden dauernd nur Dreck atmen, und irgendwann merken, daß wir einen Handel eingehen müssen: Kernkraft bringt uns saubere Luft. Wenn die Sache hochgeht, ist zwar alles im Arsch, aber wenn nicht, m üssen wir wenigstens nicht erstikken. Wir müssen uns entscheiden, den Fortschritt werden wir nicht aufhalten können.“ In Wiesbaden, wo Neil Young und die Trans Band für einen fast zweistündigen Set auf der Bühne standen, hatten die Fans allerdings kaum einen Grund zur Hage. Die Buffalo Springfield-Nummern „On The Way Home“ und „Mr. Soul“ lieferten den Rahmen für eine nahezu vollständige Retrospektive des Young-Repertoires: „Everybody Knows This Is Nowhere“, „Cinnamon Girl“, „Birds“, „Southern Man“, „Old Man“, „The Needle And The Damage Done“, „Cortez The Killer“ und natürlich „Like A Hurricane“. Neil sprach wenig, nicht einmal die Titel der neuen Songs stellte er vor. Im gewohnten Stil Young’scher Rocksongs: „little Thing Called Love“ oder „like An Inca“. Eine ziemlich lange Nummer, bei der sich Young und Lofgren ein scharfes Gitarrendueü lieferten. Neu auch ein elektrischer Blues, (Titel klang wie „The Soul Of A Woman“) und der lateinamerikanisch eingefärbte Song „If You Got Love“ (?), in dem Joe Lala seine Daseinsberechtigung nachweisen durfte. Neil Young und die Trans Band spielten überwiegend elektrische Musik, die sich kaum vom Crazy-Horse-Sound unterschied: Lofgrens Part schien mir sehr bescheiden (Leadgesang bei „Beggars Day“ und Akkordeonbegleitung zu Youngs Solo-Version von „Comes A Time“), fast alle Leadgitarrenteile wurde von Neil Young selbst gespielt, unnachahmlich, auf wenige Noten beschränkt, aber dennoch von einer schrägen, absolut einmaligen Intensität. Michael Schlüter