Wenn Neil Young auf Heinz Rudolf Kunze trifft: Archiv-Interview
Heinz Rudolf Kunze trifft Neil Young: Zum 80. Geburtstag von Young haben wir dieses Gespräch aus ME-Dezemberheft 1992 wieder hervorgeholt. Ein Deep Talk über Musik, Instinkt und Haltung.
HRK: Sie haben Ihre Retrospektive schon vor langer Zeit versprochen …
Young (lacht): Stimmt! Aber ich habe nicht gesagt, wann ich fertig sein werde. Ich sitze seit drei Jahren daran.
HRK: Glauben Sie, dass „Harvest Moon“ die große Versöhnung mit Ihren alten Fans bewirken wird?
Young: Ich weiß ja nicht mal, ob die überhaupt noch leben!
HRK: Ich kenne eine ganze Menge deutscher Lehrerinnen in den Mittdreißigern, die Sie für Platten wie „Weld“ hassen, weil ihnen das zu starker Tobak ist.
Young: Oh mein Gott (schüttelt erschüttert den Kopf).
HRK: Was kann ein jüngeres Publikum, das vielleicht nur Ihre letzten Gitarrenrockplatten kennt, mit dieser neuen Platte anfangen?
Young: Es wird mit einer anderen Seite meiner Arbeit konfrontiert und kann dann frühere Alben entdecken, auf denen ähnlich gearbeitet wurde. Die neue Platte kommt aber gar nicht so unvermittelt: Auf „Freedom“ gab es durchaus ähnliche Stücke wie jetzt. „Freedom“ war im Grunde aufgebaut wie „Rust Never Sleeps“ — beide Seiten meiner Arbeit kamen zum Tragen. Klar, manche Leute, die „Ragged Glory“ und „Arc Weld“ lieben, werden mit der neuen Platte nicht warm werden. Aber im Grunde ist sie den härteren Sachen in ihrer melodischen Struktur ähnlich, nur anders dargeboten.
HRK: Sie haben oft gesagt, dass Sie die Reaktion des Publikums nicht allzu sehr interessiert. Ist das wirklich wahr — oder nur der Abwehrmechanismus eines Künstlers?
Young: Natürlich ist die Reaktion des Publikums wichtig — in dem Moment, wo der Künstler ihm gegenübersteht. Aber nur dann. Sicher hilft es mir, in einem Konzert von den Leuten Zuspruch zu erfahren, aber damit hat sich’s dann auch. Wenn ich schreibe, denke ich nicht an ein Publikum. Klar, wenn ein Song fertig ist, denke ich manchmal: Oh, das wird ihnen gefallen, oder: Das werden sie wohl hassen. Aber dann ist es bereits zu spät, der Song ist fertig (lacht)! Die Songs sind meine Kinder. Ihnen muss es gutgehen, nicht der Nachbarschaft.
HRK: Als „Ragged Glory“ veröffentlicht wurde, schrieb die britische Musikpresse: Er hat wohl die guten Kritiken für seine harte Gitarrenarbeit auf „Freedom“ und „Eldorado“ gelesen. Haben Sie?
Young (mit versteinertem Gesicht): Nein. Das zeigt wieder mal die selbstverliebte Haltung dieser Trottel, die glauben, mit ihrem Geschreibe die Arbeit eines Künstlers beeinflussen zu können.
HRK: Aber Ihnen ist bewusst, dass die Kritiker Sie wegen Ihrer Unberechenbarkeit lieben?
Young: Na ja, diese Haltung ist eben nicht ganz so langweilig. Bei manchen Musikern kann man beruhigt die Plattenkritik schreiben, ehe man die Platte gehört hat, bei mir nicht.
HRK: Ihre Unberechenbarkeit ist also keine Gefälligkeit, kein Ritual — Sie können tatsächlich nicht anders?
Young: Nein, ich bin ein Instinktmensch. Das ist der Kern meiner Kreativität. Ich will und muss immer das tun, was ich tun möchte. Was mich an meinem Leben am meisten ärgert, ist, dass ich aufgrund irgendwelcher Verpflichtungen nicht jede Idee sofort verfolgen und umsetzen kann. Ich höre einen Song — und habe keine Gitarre bei mir! Außerdem muss ich gerade jemandem wie Ihnen logisch zusammenhängende Antworten geben … schrecklich schwierig, manchmal …
HRK: Ich verspreche Ihnen, ich werde Sie nicht allzu lange aufhalten …
Young: … oh, das ist schon okay. Sie kommen im richtigen Moment. Im Augenblick habe ich ja keine Ideen (lacht). Zuhause betreibe ich ein Electronics Development Business. Ich entwerfe Konzepte und lizenziere sie an andere Firmen. Das ist kreativ, obwohl es mit Logik und Mathematik zu tun hat, und es macht Spaß. Ein gutes Gegengewicht zur künstlerischen Arbeit.
HRK: Man trifft nicht so oft Musiker, die sich in Mathe auskennen.
Young: Mathematik und Musik, das ist das Gleiche. Nicht nur in der Klassik.


